Schwerpunkt: Bilanz und Bewertung

Den Fair Value fairer machen

In der Immobilienbranche sorgt die Bilanzierung nach dem Zeitwert (Fair Value) seit einiger Zeit für Zündstoff. Als der Markt ständig zu wachsen schien, waren Zeitwerte für Immobilien in den Bilanzen gern gesehen. Anders als das lange gepflegte Anschaffungs- und Herstellungskostenmodell führten sie zu satten bilanziellen Gewinnen. Doch als der internationale Finanzmarkt ins Wanken geriet, sackten die Bilanzwerte in den Keller. Sofort gab es einen Aufschrei - und herbe Kritik am Fair-Value-Ansatz, den der Gesetzgeber vor wenig mehr als einem halben Jahrzehnt auf breiter Front einführte. Einige Stimmen forderten, auf die erfolgswirksame Ausweisung der Bewertungsdifferenzen zu verzichten. Andere redeten gar einer gänzlichen Rückkehr zu den Anschaffungs- und Herstellungskosten als Bewertungsgrundlage das Wort. War der Wechsel tatsächlich vorschnell erfolgt?

Internationales Bilanzmodell Fair Value

In Zeiten globaler Märkte muss auch die Rechnungslegung international vergleichbar sein. Das war der Hauptgrund, warum die Zeitwertbilanzierung (englisch: Fair Value Accounting) das alte Modell ablöste. In weiten Teilen ersetzten die Regeln des International Accounting Standards Board (IASB) nach der Jahrtausendwende die bis dahin gültigen Vorschriften des Handelsgesetzbuches (HGB). Das IASB hat diese Regeln bis 2003 in den International Accounting Standards (IAS) und danach in den International Financial Reporting Standards (IFRS) definiert. Durch Verordnungen der Europäischen Union erhielten die Normen europaweite Rechtskraft. Seit dem 1. Oktober 2005 sind - mit wenigen Ausnahmen - alle kapitalmarktorientierten Immobilienunternehmen verpflichtet, die neuen Regeln anzuwenden.

Nach diesen Regeln lassen sich Immobilien drei Kategorien zuordnen: Immobilien, die zum Verkauf bestimmt sind (IFRS 5, IAS 2, IAS 11), Sachanlageimmobilien (IAS 16) und Immobilien, die als Finanzinvestition gehalten werden, um Gewinne in Form von Mieteinnahmen und Wertsteigerungen zu erwirtschaften (IAS 40). Für die erstmalige bilanzielle Bewertung einer solchen Renditeimmobilie sind die Anschaffungs- und Herstellungskosten maßgeblich. Das ist in der Regel der Fall, sobald sie durch Kauf oder Neubau als Zugang im Portfolio verzeichnet wird.

In den Jahren danach kann der Bilanzierende entscheiden, ob er weiter so verfährt oder die Bilanzierung auf den beizulegenden Zeitwert abstellt. Die Methode, für die er votiert, muss er einheitlich für alle Objekte in seinem Bestand anwenden. Auch wer weiter nach Anschaffungs- und Herstellungskosten bilanziert, kommt indes nicht umhin - zumindest im Anhang zu jedem Stichtag - den Zeitwert in der Bilanz auszuweisen. Wer die Zeitwertmethode anwendet, ist verpflichtet, Wertveränderungen als Gewinne oder Verluste erfolgswirksam zu erfassen.

Zeitwert ist nicht gleich Marktwert

Das neue Modell kam vielen Eigentümern zupass. Durch die Umstellung auf die Zeitwertermittlung nach IFRS stiegen die Buchwerte der HGB-Abschlüsse teils erheblich an. Das eigentliche Problem aber wurde verkannt: Es mangelt an einem nachhaltigen Bewertungsansatz.

Nach IAS 40, Ziffer 5, ist der Fair Value der Preis, zu dem eine Immobilie "zwischen sachverständigen, vertragswilligen und voneinander unabhängigen Geschäftspartnern getauscht werden könnte." Entgegen der landläufigen Meinung entspricht der Zeitwert damit laut IAS keineswegs dem Markt- oder Verkehrswert. Die Vorschriften fordern wörtlich den Sachverstand der Vertragsparteien. Nicht der übliche Grundstücksverkehr ist abzubilden, sondern die Balance zwischen den potenziellen Geschäftspartnern. 'Balance' besagt hier, dass Käufer wie Verkäufer den gleichen sachverständigen Informationsstand haben, voneinander unabhängig sind und willig wären, zu einem bestimmten Preis einen Kaufvertrag zu schließen. Diesen Preis nur über vergleichbare aktuelle Verkäufe im aktiven Markt abzubilden, führt in die Irre. Denn Markt ist mehr als die reine Transaktion von Immobilien.

Untypische Finanzierungen als Ausschlusskriterium

Eine wichtige Einschränkung findet sich in IAS 40 unter der Ziffer 36. Danach sollen beim Ermitteln des Fair Value explizit all jene Kaufpreise außer Acht bleiben, die durch untypische Finanzierungen zustande gekommen sind. Das betrifft ohne Zweifel jene Immobilienkäufe, die in der vergangenen Hochkonjunkturphase mit einem exorbitant hohen Anteil an Fremdkapital finanziert wurden. Die Geldflut, die solche "Leverage-Effekte" erzeugten, führte zu deutlich überzogenen Preisen und Wertverzerrungen.

Auch die aktuellen Notverkäufe sind Spätfolgen dieser Finanzierungen. Die negativen Folgen einer riskant geringen Eigenkapitaldeckung sind im Konjunkturtal deutlich zu spüren. Durch die massive Verschuldung sieht sich mancher gezwungen, an sich rentable Immobilien regelrecht zu verschachern. Solche Marktbewegungen - so die IAS - können und dürfen nicht die Grundlage für einen "fairen" Wert bilden.

Immer wieder wird dem Zeitwert eine hohe Anfälligkeit für Schwankungen unterstellt. Doch diese Anfälligkeit steht und fällt mit der Risikoeinschätzung. In Zeiten des Aufschwungs wurden die bilanziellen Immobilienwerte vornehmlich am Best Market Value ausgerichtet - also am höchsten Preis, den ein Verkäufer erzielen konnte. Im Abschwung griff man wieder auf diesen Wert zurück. Nur entsprach er diesmal dem besten Preis für den Käufer. Den wirklichen Fair Value spiegeln Maximal- und Minimalansätze dieser Art zu keinem Zeitpunkt wider.

Markt ist mehr als Kaufpreise

Eine faire Wertermittlung braucht ein nachhaltiges Bewertungsmodell. Volkswirtschaftlich gesehen ist der Immobilienmarkt ein unvollkommener Markt. Für Immobilien existieren keine täglichen, stündlichen oder gar minütlichen Kurse, wie sie im Bereich des Aktien- und Devisenhandels üblich sind. Den richtigen Wert zu finden ist daher ein komplexer Prozess. Ein Prozess, in dem es unabdingbar ist, den Markt sachverständig abzubilden. Das geht weit über Vergleichspreise hinaus. Markt umfasst hier genauso jene Transaktionen, die nicht zustande kamen, und selbstverständlich auch das Abwarten und das bewusste Halten von Objekten. Anlageimmobilien, wie sie IAS 40 definiert, sind meist komplexe Büro-, Geschäfts- oder Gewerbeobjekte, die man hält, um dauerhaft Renditen zu erzielen. Häufig bestehen langjährige Mietpreisbindungen, die nicht selten einen gesamten Zyklus sinkender Mieten überdauern können.

Eine gute, rentierliche Immobilie in einer Schwächephase des Marktes mit erheblichen Abschlägen zu bilanzieren oder zu veräußern, widerspricht jedem Gedanken der Nachhaltigkeit. Folgte der Markt so absurden Grundsätzen, müssten Anleger mit hoher Eigenkapitalquote (wie zum Beispiel Offene Fonds) zurzeit eine freie Auswahl an Objekten haben. Dem ist aber nicht so. Den aktuellen Immobilienmarkt bestimmen weniger Verkäufe - die oft nur Notverkäufe sein können -, sondern überwiegend die nicht zustande gekommenen Transaktionen. Immobilien sind eben keine verderbliche Ware wie Tomaten.

Moderate Bewertung der Märkte

Der Immobilienmarkt der vergangenen Jahre war unverkennbar überhitzt. Grund für die Preisexzesse war eine Liquidität, die grenzenlos schien. Die Großzügigkeit der Banken führte zu massiven und unnatürlichen Leverage-Effekten - mit extrem geringem Eigenkapital bei maximalem Kredithebel. Verhältnisse von Eigen- zu Fremdkapital von Eins zu Zwanzig waren keineswegs ungewöhnlich. So floss immer mehr Geld ins globale Finanzsystem, das auf Anlagen wartete. Die Anzahl der Marktteilnehmer schoss in die Höhe. Für Immobilienpreise schien es bald keine Grenze nach oben mehr zu geben, und auch die Mieterwartungen waren mehr als überzogen. Als Folge wurden auch die Zeitwerte von Renditeimmobilien überschätzt und bilanziell überbewertet.

Nach dem vermeintlichen Boom folgte der ebenso scheinbar schnelle Werteverfall. Selbst Objekte mit langfristiger Mieterbindung, in guter Lage und mit hoher Bauqualität wurden drastisch abgewertet. Sinkende Preise auf dem Immobilienmarkt führen jedoch nicht zwangsläufig zu niedrigeren Zeitwerten. Langfristig erzielbare Mieten zu berücksichtigen und so Über- und Untertreibungen der aktiven Märkte auszublenden, ist von geradezu essenzieller Bedeutung. Eine faire Bewertung, die diese Bezeichnung auch wirklich verdient, sollte sich immer moderat im Markt bewegen - und Extremwerte vermeiden.

Immobilien als Investment sind nach wie vor gefragt. Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat der Nachfrage in diesem Segment nichts anhaben können. Marktteilnehmer mit hohem Eigenkapital buhlen derzeit um rentierliche Immobilien. Im überhitzten Markt der vergangenen Jahre haben sich viele von ihnen aus dem Bieterkampf um attraktive Objekte herausgehalten. Jetzt, wo die Zinsen auf dem restlichen Kapitalmarkt eher mager ausfallen, sind renditeträchtigen Objekte kaum weniger gefragt als in der Hausse. Kaufkräftige Investoren rücken mit ihren prall gefüllten Kriegskassen in die Toplagen vor. Die Renditen für Immobilien in Spitzenlagen wie der Londoner City fallen sogar schon wieder. Schätzungsweise beläuft sich das nicht gebundene Kapital von Offenen Immobilienfonds, Pensionskassen und Versicherungen noch immer auf rund 20 Milliarden Euro. Diese Gelder warten auf Beton - je schneller desto besser, wenn auch keinesfalls zu jedem Preis.

Sachverstand ist Marktwissen

Um den beizulegenden Zeitwert sachgerecht zu ermitteln, bedarf es einer sachverständigen, nachhaltigen Bewertung anhand von Daten eines vergleichbaren Marktes. Immobilien, die als Finanzinvestition gehalten werden, sollen Renditen erwirtschaften - und werden deshalb nur in geringem Maße gehandelt. Deshalb muss auch ihr Zeitwert auf eine langfristige Nutzung abgestellt sein. Natürlich haben tatsächliche Verkäufe eine große Bedeutung für die Bewertung, doch ohne den Sachverstand kompetenter Gutachter bleiben solche Daten unzuverlässig.

In der jahrzehntelangen Erfahrung von Sachverständigen hat sich das Marktverhalten in verdichteter Form niedergeschlagen. Diese Erfahrungen sind deshalb genauso wertvoll und wichtig wie statistische Analysen und Auswertungen des Grundstücksmarktes. Nicht umsonst empfehlen die internationalen Rechnungslegungsnormen ausdrücklich, externe sachverständige Gutachter bei der bilanziellen Bewertung einzubeziehen. Nachhaltigkeit und Sachverstand sind Grundvoraussetzungen für einen soliden Fair Value und das beste Mittel, Wertverzerrungen vorzubeugen, von denen am Ende dann doch niemand profitiert.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X