Im Blickfeld

Entzauberter Mythos

Künftig werden voraussichtlich wieder vermehrt öffentliche Wohnungsbestände veräußert - eine Konsequenz der Sparzwänge. Immerhin wären nach einer Schätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) bei einem Komplettverkauf aller kommunaler und landeseigener Wohnungen Einnahmen von über 100 Milliarden Euro "nicht unwahrscheinlich". Nicht unwahrscheinlich ist jedoch auch, dass die Verkäufe - wie schon bisher beispielsweise in Dresden und Freiburg - auf Kritik stoßen werden. Traditionell wurde es als Ziel öffentlicher Eigentümer angesehen, preiswertere Mietwohnungen anzubieten. Dementsprechend wird dem öffentlichen Wohnungsbestand eine dämpfende Wirkung auf die Mietentwicklung zugesprochen. Diesen Effekt sehen Kritiker bei Verkäufen gefährdet. Dabei entspricht der dämpfende Effekt bedingt der Realität.

Zunächst ist ein hinreichend großer Anteil kommunalen Wohnungseigentums notwendig, um das städtische Mietniveau - einschließlich des Angebots privater Eigentümer - zu beeinflussen. Teilweise wird ein Mindestanteil von über 15 Prozent am Gesamtwohnungsbestand als Voraussetzung für eine dämpfende Wirkung angenommen. Tatsächlich bewegten sich bei deutschen Städten mit mehr als 200 000 Einwohnern, die vor fünf Jahren mindestens einen derart hohen Anteil kommunalen Wohnungsbestands aufweisen konnten, die Vergleichsmieten ausnahmslos bei etwa fünf Euro pro Quadratmeter. Bei Städten gleicher Größe mit geringerem kommunalem Wohnungsanteil gab es zwar durchaus auch zahlreiche Städte mit Vergleichsmieten um fünf Euro je Quadratmeter. Allerdings wies auch eine Reihe von Städten Vergleichsmieten um sieben Euro je Quadratmeter auf, einzelne Ausreißer sogar noch mehr.

Der hier skizzierte Zusammenhang zwischen dem Anteil kommunalen Wohnungseigentums und der ortsüblichen Miete genügt statistischen Gütekriterien zwar nicht. Dennoch scheint er als Grundlage für Beschlüsse wie beispielsweise auf dem Berliner SPD-Landesparteitag vom 1. April 2006 zu dienen. Dort heißt es: "Der öffentliche Wohnungsbestand ist in einer Größenordnung von 15 Prozent des Berliner Gesamtwohnungsbestandes festzuschreiben (270 000 Wohnungen). Die Größenordnung gewährleistet ein ausreichendes Marktgewicht, das sich nachhaltig auf die Mietentwicklung (dämpfend) auswirkt."

Neben der Notwendigkeit eines relativ hohen kommunalen Wohnungseigentumsanteils offenbart eine Studie der Universität Hamburg weitere Einschränkungen. Die Auswertung der Daten des Sozioökonomischen Panels zeigt, dass die (Anfangs-)Mieten in Wohnungen kommunaler Gesellschaften nur in großen Mietshäusern aus der Zeit vor 1949 niedriger liegen als bei privaten Eigentümern - in jüngeren Häusern hingegen nicht. Ob vom kommunalen Wohnungsangebot eine dämpfende Wirkung auf die Mieten ausgeht, ist folglich auch von der Struktur des Wohnungsangebots abhängig.

Darüber hinaus zeigt die Untersuchung, dass öffentliche Eigentümer ihre Miete mit jedem zusätzlichen Jahr des Mietverhältnisses um rund ein Prozent stärker erhöhen als private Eigentümer. Dies mag damit zusammenhängen, dass die kommunalen Eigentümer stärker als früher auf Kostendeckung oder gar Überschüsse pochen, um einen Beitrag zur Finanzierung der kommunalen Defizite zu leisten. Damit mag auch zusammenhängen, dass die Verwaltungen der kommunalen Wohnungsunternehmen in den vergangenen Jahren effizienter geworden sind. Zudem laufen für wachsende Teile der kommunalen Wohnungsbestände Belegungsrestriktionen aus, ohne dass mietrestringierte Neubauten hinzukommen. Ein weiteres Ergebnis der Studie: Während die Mieten in öffentlichen Beständen unerwartet stark gestiegen sind, fielen die Mietsteigerungen im privaten Sektor so niedrig aus, dass sie durchschnittlich unterhalb der Inflationsrate lagen.

Insofern hat gerade der im Zusammenhang mit dem Verkauf kommunaler Wohnungen häufig gescholtene freie Wohnungsmarkt, den es über öffentliche Bestände vermeintlich zu zähmen gilt, zur Dämpfung des Mietpreisniveaus beigetragen. Schließlich gibt es in vielen Städten Deutschlands Angebotsüberhänge im Wohnungssegment. Private Eigentümer sind stärker darauf angewiesen, Mieter zu halten oder im Auszugsfall rasch neue Mieter zu akquirieren. Wenn vergleichsweise deutliche Mietsteigerungen bei kommunalen Anbietern zu steigenden Leerständen führen, ist dies dort nicht existenzbedrohend - selbst wenn der Saldo aus steigenden Einnahmen aus den vermieteten Flächen einerseits und leerstandsbedingten Mindereinnahmen andererseits anhaltend negativ ausfallen sollte.

Prof. Dr. Wolfgang Maennig, IREBS International Real Estate Business School der Universität Regensburg

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