Wohnungswesen

Demografie: Schrumpfung muss akzeptiert werden

Das Phänomen ist seit mindestens 30 Jahren bekannt: Die Bevölkerungszahl in Deutschland wird weiter sinken. Je nach Zuwanderung wird die Einwohnerzahl von knapp 82 Millionen bis 2050 auf 74 Millionen Menschen zurückgehen, im ungünstigeren Fall sogar auf 69 Millionen. Dabei nimmt die Zahl der Menschen, die jünger als 59 Jahre sind, stark ab. Umgekehrt wächst die Gruppe der über 80-Jährigen.

Demografiebedingter Nachfragerückgang

Auch die Auswirkungen auf die Immobilienmärkte mit ihren unterschiedlichen regionalen Ausprägungen der demografischen Entwicklung - mit wachsenden Großstädten und Ballungsräumen auf der einen Seite und sich entleerenden Regionen auf der anderen Seite - sind bekannt. Umso erstaunlicher ist es, dass die demografischen Wahrheiten trotz 30-jähriger Diskussion in vielen Städten und Kommunen heute noch immer nicht akzeptiert werden. Vielmehr setzt ein beträchtlicher Teil jener Gemeinden und Kommunen, die von Schrumpfungsprozessen erfasst sind, unbeirrt auf althergebrachte Wachstumsstrategien - und tappt in die Demografiefalle.

Betroffen sind grundsätzlich alle Nutzungsarten. Dem Institut der deutschen Wirtschaft zufolge wird die Nachfrage nach Büros in 14 der 20 größten deutschen Städte bis 2025 zum Teil drastisch zurückgehen. Der Rückgang beträgt in Frankfurt am Main 2,6 Prozent, in Leipzig fünf Prozent, in Berlin 6,5 Prozent und beispielsweise in Magdeburg über 20 Prozent im Vergleich zu 2006. Die Wohnraumnachfrage in den großen Städten stellt sich in den kommenden Jahren zunächst noch deutlich anders dar. Nur in vier der 20 größten Städte wird die Nachfrage bis 2025 zurückgehen. Essen beispielsweise wird 2,6 Prozent, Duisburg fünf Prozent und Magdeburg 6,2 Prozent weniger Wohnraumnachfrage verzeichnen.

Härter trifft es in vielen Fällen den ländlichen Raum sowie kleine Städte und Gemeinden. Selbst in vermeintlichen Gewinner-Bundesländern wie Bayern gibt es Verlierer-Regionen: Bezirke wie Ober- und Unterfranken müssen sich in den kommenden zwei Jahrzehnten auf deutliche Bevölkerungsrückgänge einstellen. Im Fichtelgebirge beispielsweise wird die Einwohnerzahl in einzelnen Landkreisen um mehr als 20 Prozent sinken. Zwischenfazit: Schrumpfung ist kein ostdeutsches, es ist ein gesamtdeutsches, letztlich ein europäisches Phänomen.

Einsatz von Fördermitteln

Auch die Unsicherheiten im Umgang mit Schrumpfungsprozessen sind in ganz Deutschland zu beobachten. Ein Beispiel: In vielen Schrumpfungsregionen im Westen und im Osten Deutschlands werden weiterhin in unveränderter Geschwindigkeit neue Gewerbe- und Wohngebiete ausgewiesen. Ohne Wachstum lassen sich jedoch nur Nutzer für solche Gebiete finden, wenn sie von anderen Gemeinden abgeworben werden. In der Folge ist bereits heute eine zunehmende interkommunale Konkurrenz zu beobachten - eine Entwicklung, die sich in der Zukunft weiter verstärken wird. In zu vielen Fällen wird schlicht darauf gehofft, dass - auf Kosten anderer Gemeinden - in der eigenen Kommune eine Rückkehr zum Wachstum möglich ist. Fast immer ist dies ein Trugschluss.

Teilweise finden solche Entwicklungen sogar unter Einsatz von Fördermitteln statt, da die Fördergelder nicht immer an die Voraussetzung geknüpft sind, dass Entwicklungen über die eigenen kommunalen Grenzen hinaus abgestimmt werden. Löbliche Ausnahme in dem Zusammenhang ist der Stadtumbau West in Hessen. Hier ist die interkommunale Zusammenarbeit eine der Fördervoraussetzungen. Gewerbegebietsentwicklungen werden entsprechend gemeinschaftlich vorangetrieben, genauso wie Projekte für die soziale oder touristische Infrastruktur.

Hürden in den bedrohten Regionen

Insgesamt gilt: Für die Zukunft von Regionen mit negativer Bevölkerungsentwicklung sind drei Aspekte maßgeblich.

Erstens: Der demografische Wandel muss endlich als Tatsache akzeptiert werden. Nur wenn ehrlich mit dem Phänomen der Schrumpfung umgegangen wird, können sinnvolle Maßnahmen ergriffen werden, um die Folgen abzumildern und Chancen aufzuspüren. Die Stärkung der Innenstädte mit einer lebendigen gemischten Nutzung auch in Regionen mit abnehmender Bevölkerung erfordert eine bauliche Konzentration nicht nur einen Verzicht auf Neubaugebiete an der Peripherie, sondern darüber hinaus den Rückbau von Splittersiedlungen, deren technische Infrastrukturen nur mit enormem Aufwand am Leben gehalten werden können. Das heißt: Eine eventuell vorhandene kurzfristige Nachfrage muss konsequent ausschließlich durch Nachverdichtung und Aktivierung innerstädtischer Brachflächen sowie Baulücken befriedigt werden. Dies ist für viele Investoren - und auch für die öffentliche Hand - in der Regel der unbequemere Weg. Denn die Innenentwicklung und das Brachflächenrecycling sind tendenziell eher mit Problemen wie Bodensanierung oder Nachbarschaftsrechten behaftet als die Neuflächenausweisung auf der grünen Wiese. Dennoch ist es gerade bei schrumpfenden Regionen fatal, wenn einer kurzfristig vorhandenen Nachfrage nach Flächen in peripheren Lagen nachgegeben wird. Langfristig ist die Innenentwicklung der einzig gangbare Weg.

Zweitens: Es ist von großer Bedeutung, dass leer stehende Innenstadtimmobilien so lange wie möglich einer Zwischennutzung zugeführt werden. Das Problem ist auch aus zahlreichen größeren Städten bekannt. Warenhäuser beispielsweise, die leer stehen, strahlen negativ auf die benachbarten Grundstücke ab. Die Attraktivität für Passanten sinkt, das Image des betroffenen Quartiers leidet, eine Abwärtsspirale wird in Gang gesetzt oder verstärkt. Zwischennutzungen beispielsweise kultureller Art tragen dazu bei, die negativen Auswirkungen eigentlich leer stehender Gebäude abzumildern - sowohl in Großstädten als auch in kleinen Gemeinden. Voraussetzung ist aber auch hier die Bereitschaft der Kommune, den Leerstand als Tatsache zu akzeptieren und sich des Problems anzunehmen.

Drittens: Das hessische Modell der Förderpolitik, bei dem die interkommunale Zusammenarbeit an die Genehmigung von Geldern geknüpft ist, sollte auch für andere Bundesländer und Förderprogramme diskutiert werden. Vor dem Hintergrund knapper öffentlicher Haushalte müssen die vorhandenen Mittel strategisch sinnvoll und mit einem Höchstmaß an Effizienz eingesetzt werden. Denn eines steht fest: Wenn Förderprogramme die interkommunale Konkurrenz erhöhen und damit einer nachhaltigen Entwicklung zuwiderlaufen, sind die öffentlichen Gelder wohl kaum sinnvoll eingesetzt.

Werden jedoch die drei beschriebenen Hürden überwunden, dürfte sich manches Problem des demografischen Wandels gemeinschaftlich leichter lösen lassen. Ein Beispiel sind die mittelfristig überdimensionierten Ver- und Entsorgungsinfrastrukturen in schrumpfenden Regionen. Wasserleitungen drohen zu verkeimen, Abwasserrohre müssen aufgrund einer zu geringen Auslastung mit Trinkwasser gespült werden und vieles mehr. Ein konsequenter Lösungsansatz liegt in dezentralen Ver- und Entsorgungssystemen. Hier gilt es, die geeigneten Standorte gemeinschaftlich zu finden, um ein Höchstmaß an Nutzen zu generieren im Idealfall für eine Vielzahl von Gemeinden gleichzeitig.

Interkommunale Zusammenarbeit

Außerdem gilt: Für viele Kommunen ließen sich infolge einer besseren interkommunalen Zusammenarbeit nicht nur Probleme entschärfen, sondern es würden sich darüber hinaus auch neue Chancen ergeben, beispielsweise im sanften Tourismus. Überregionale Wander- und Radwege oder das Wasserwandern in geeigneten Regionen sind hier Beispiele für entsprechende Lösungsansätze. Auch sie lassen sich nur gemeindeübergreifend umsetzen, genauso wie gemeinsame Konzeptionen für die medizinische Versorgung oder den Einzelhandel.

Dass es sinnvolle Ansätze für Schrumpfungsprozesse gibt, hat zuletzt auch der Preis der Landes- und Stadtentwicklungsgesellschaften (LEG) gezeigt. Er wird an herausragende Arbeiten von Studierenden der Fachrichtungen Architektur, Stadt- und Raumplanung, Landschafts- und Umweltplanung, Geografie, Soziologie und Immobilienwirtschaft vergeben - im Jahr 2010 zum Thema Schrumpfung. Die Studierenden konnten zwischen drei Standorten im Saarland, auf Rügen und in Niedersachsen wählen. Alle drei Standorte sind in besonderem Maße von einer strukturellen und demografischen Abwanderung gezeichnet.

Vor allem durch die Vielfalt der fachlichen Blickwinkel innerhalb der Planungsteams eröffneten sich den regionalen Stadtentwicklungs- und Planungsunternehmen neue Perspektiven und Ansatzpunkte für innovative und nachhaltige Handlungskonzepte. Eine Erkenntnis des Wettbewerbs: Organisierter Rückzug kann schmerzlich sein und die Abstimmung mit den Nachbarn eventuell auch aufwendig, aber in vielen Regionen gibt es keine sinnvolle Alternative.

Schrumpfung muss endlich als Tatsache akzeptiert werden. Nur so kann mit ihr umgegangen werden.

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