Schwerpunkt Stadtentwicklung

Bürgerbeteiligung durch Online-Verfahren?

Lange Zeit galten die Deutschen im internationalen Vergleich als protestfaul. Spätestens seit den Demonstrationen gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 ist diese Wahrnehmung ins Wanken geraten. Die Bürger wollen mehr direkten Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen - und nicht nur periodisch Vertreter wählen, die für sie entscheiden. Das belegt auch eine aktuelle Emnid-Umfrage im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Demnach wünschen sich knapp 90 Prozent der Bürger mehr Mitsprachemöglichkeiten bei Infrastrukturprojekten wie neuen Straßen, Kraftwerken oder Stromtrassen. Jeder zweite Befragte ist außerdem bereit, Möglichkeiten zur Beteiligung während des Planungsprozesses aktiv zu nutzen und sich in seiner Freizeit zu engagieren.

Zeithorizont - früh und langfristig

Auch die Politik hat die Relevanz des Themas Bürgerbeteiligung mittlerweile erkannt. Dabei gewinnt neben der gesetzlich vorgeschriebenen Form der Partizipation, der formellen Beteiligung, die freiwillige Form zunehmend an Bedeutung: In Zukunftswerkstätten, Planungszellen und Bürgerforen, auf Internetseiten und in sozialen Netzwerken wird mit den Bürgern darüber diskutiert, auf welche Weise mehr Beteiligung ermöglicht werden kann.

Dabei zeigt sich: Vor allem Zeitpunkt und Dauer der Beteiligung spielen eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, die Bürger erfolgreich einzubinden. Der Grund: In der frühen Phase eines Projekts sind die Handlungsalternativen am vielfältigsten. Sind dagegen wesentliche Entscheidungen bereits getroffen und erste Investitionen getätigt, nimmt der Entscheidungsspielraum kontinuierlich ab. Die Bürger frühzeitig mit einzubeziehen ist somit nicht nur sinnvoll, sondern erforderlich.

Neben der frühzeitigen Einbindung ist auch eine langfristige, kontinuierliche Beteiligung wichtig. Eines der Kernprobleme, mit denen die Partizipation zu ringen hat, ist der lange Planungs- und Umsetzungszeitraum. Von der Idee bis zur Fertigstellung von Infrastrukturprojekten und städtebaulichen Maßnahmen können mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte vergehen. Damit die Bürger aber wirklich dauerhaft eingebunden werden, sollten sich die Maßnahmen über die gesamte Laufzeit eines Projekts erstrecken. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Betroffenen kontinuierlich über entscheidende Änderungen in der Planung informiert werden und nicht von plötzlichen Wendungen überrascht werden.

Neben Zeitpunkt und Dauer der Beteiligung ist noch ein weiterer Aspekt entscheidend: die Art der Kommunikation. Zwar haben Proteste gegen Großprojekte viele Ursachen und ihr Ausgangspunkt sind meist Einwände gegen einzelne Aspekte eines Projekts wie hohe Kosten, Eingriffe in die Natur oder eine befürchtete Einschränkung der eigenen Lebensqualität. Doch solche sachlichen Einwände alleine reichen nicht aus, um einen Protest so eskalieren zu lassen, wie es bei Stuttgart 21 geschehen ist.

Dynamik erfährt der Protest vor allem dann, wenn grundsätzliche Skepsis gegenüber Projektverantwortlichen, Verwaltung und Politikern hinzukommt und die Bürger das Gefühl haben, nicht richtig informiert zu werden. Vorwürfe, dass Informationen vorenthalten wurden oder gar bewusst Falschinformationen gestreut werden, sind nicht selten.

Kommunikation auf Augenhöhe

Um derartige Kritik an der Informationspolitik zu vermeiden, ist eine Kommunikation auf Augenhöhe unabdingbar. Denn häufig ist es der Stil der Kommunikation, der kritisiert wird: Politiker und Projektträger würden "von oben herab" mit den Bürgern sprechen und ihre Einwände nicht ernst nehmen. Ziel muss es deshalb sein, alle entscheidungsrelevanten Materialien so aufzubereiten, dass sie jedem Bürger schnell und einfach zugänglich sind. Hiervon profitieren nicht zuletzt auch die Politiker und Investoren. Denn die Praxis hat gezeigt, dass Projekte, die eine informative und transparente Öffentlichkeitsbeteiligung durchlaufen haben, eher von dem überwiegenden Teil der Öffentlichkeit akzeptiert werden.

Eine wesentliche Aufgabe der städtebaulichen Akteure liegt deshalb darin, die breite Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen sicherzustellen. Das gelingt am besten, wenn solche Maßnahmen angewendet werden, die auf breite Akzeptanz stoßen und den allgemeinen, auch dem Planungsziel übergeordneten gesellschaftlichen Trends entsprechen. Beispiele für solche Maßnahmen sind Bürgerstiftungen, Verfügungsfonds, städtebauliche Wettbewerbe und internetbasierte Beteiligungsverfahren. Auf letztgenannte soll im Folgenden genauer eingegangen werden.

Internetgestützte Beteiligungsverfahren

Häufig ist es die Wahl der Kommunikationskanäle, die über Erfolg oder Misserfolg der Öffentlichkeitsbeteiligung entscheidet. Weder die öffentliche Auslegung von Plänen noch klassische Bürgerversammlungen, Diskussionsrunden oder andere Informationsveranstaltungen locken die breite Bürgerschaft an. Im Gegenteil: Meist ist es nur ein kleiner Teil der Bevölkerung, der überhaupt mitbekommt, dass es solche öffentlichen Veranstaltungen gibt. Um mehr Menschen zu beteiligen, kommt dem Internet als Informations- und Kommunikationsplattform eine immer wichtigere Bedeutung zu.

Ein Grund hierfür liegt in dem vergleichsweise geringen Kommunikationsaufwand: Meinungen können schnell und unmittelbar geäußert werden - ganz ohne räumliche und zeitliche Barrieren. Hinzu kommt, dass die Meinungsvielfalt oftmals höher ist als bei klassischen Präsenzveranstaltungen. Denn während hier vor allem geübte Redner das Wort ergreifen, können bei Online-Diskussionen auch ruhigere Zeitgenossen einen schriftlichen Beitrag beisteuern. Ein weiterer Vorteil des Internets: Informationen können anhand von Animationen sehr viel anschaulicher dargestellt werden, als dies auf analogem Wege möglich ist. So können sich Bürger schon frühzeitig eine vergleichsweise konkrete Vorstellung des Projekts machen.

Neben den Vorteilen gibt es auch einige Schwierigkeiten, die es bei der internetgestützten Beteiligung zu beachten gilt. Eine davon ist der erforderliche Zeit- und Personalaufwand. Denn das Schreiben von Blogbeiträgen und das Reagieren auf Bürgerkommentare dürfen nicht nebenbei geschehen. Das gilt insbesondere dann, wenn negative oder unsachliche Kritik geäußert wird. Ein hoher Grad an Professionalität ist hier unabdingbar. Deshalb kann es sinnvoll sein, externe Dienstleister zu beauftragen, die als Moderatoren fungieren. Als Mittler zwischen Verwaltung, Politik und Bürgerschaft sind sie dafür zuständig, dass alle Beteiligten sich gleichermaßen einbringen können und der rote Faden auch bei komplexen Diskussionen nicht verloren geht.

Die Anforderungen an die Öffentlichkeitsbeteiligung haben sich rapide gewandelt - aber auch die Möglichkeiten sind vielfältiger geworden. Top-down-Ansätze, in denen eine einseitige Kommunikation stattfindet, sind überholt. Bürger wollen und müssen stärker integriert werden - und das nicht nur zu einem möglichst frühen Zeitpunkt, sondern vor allem auch über zeitgemäße Kommunikationskanäle. Dem Internet kommt hierbei eine zentrale Bedeutung zu. Denn Social-Media-Anwendungen wie Facebook, Twitter und Co. erlauben es Kommunen und Investoren, aktiv zu informieren und den Austausch mit den Bürgern zu fördern.

Multi-Channel-Ansatz

Zwar können internetgestützte Beteiligungsverfahren den Kommunikationsaufwand reduzieren und auf diese Weise die Barrieren klassischer Beteiligungsformen reduzieren. Gleichzeitig werden aber neue Barrieren konstruiert - denn noch immer ist nicht jeder im Internet aktiv. Deshalb muss es auch künftig die Möglichkeit geben, dass sich Interessierte "offline" informieren und engagieren können. Wünschenswert wäre ein Multi-Channel-Ansatz, also ein Mix aus verschiedenen Maßnahmen, beispielsweise aus Bürgerstiftungen und städtebaulichen Wettbewerben in Kombination mit Online-Verfahren. Ziel muss sein, einen möglichst breit gefächerten Adressatenkreis zu erreichen.

Außerdem gilt: Bürgerbeteiligung und Öffentlichkeitsarbeit müssen von der Information über die Konsultation zur Kooperation zu führen - nur dann kann sich der Erfolg auch auf lange Sicht einstellen. Denn je besser es gelingt, die Betroffenen zu Beteiligten zu machen, desto größer sind die Chancen für eine produktive Zusammenarbeit zwischen allen Interessengruppen und für die langfristige Akzeptanz von Projekten.

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