Schwerpunkt: Bewertung und Inflation

Bewertung in transaktionsarmen Zeiten

Obwohl für 2010 ein höheres Transaktionsvolumen für deutsche Immobilien prognostiziert wird (gemäß dem aktuellen Trendbarometer von Ernst & Young Real Estate wird es von 13,4 Milliarden Euro im Jahr 2009 auf 16 bis 18 Milliarden Euro in diesem Jahr ansteigen), ist davon auszugehen, dass das Transaktionsvolumen auch 2010 deutlich unter dem früherer Jahre liegen wird. Für die Immobilienbewerter bedeutet das, dass sie für die Ermittlung von Immobilienwerten auch weiterhin nur auf wenige Vergleichstransaktionen zurückgreifen können.

Liegenschaftszins

Dennoch gibt es Möglichkeiten, auch ohne aktuelle Vergleichstransaktionen einen Marktwert abzuleiten. Einen ersten Anhaltspunkt für die Bewertung bietet der sogenannte Liegenschaftszins. Dabei handelt es sich nach §11 Abs. 1 der deutschen Wertermittlungsverordnung um den Zinssatz, mit dem der Verkehrswert von Liegenschaften im Durchschnitt marktüblich verzinst wird. Mit der Ermittlung und Veröffentlichung des Liegenschaftszinses sind die örtlichen Gutachterausschüsse betraut. Der Liegenschaftszinssatz impliziert auch Prognosen über Wertzuwachs und Mietpreissteigerungen. Auf diese Einschätzung der örtlichen Gutachterausschüsse können Immobilienbewerter zurückgreifen.

Häufig übernehmen Bewerter den von örtlichen Gutachterausschüssen ermittelten Liegenschaftszins, jedoch ohne seine fallbezogene Plausibilität zu prüfen. Dies kann insbesondere dann zu Fehleinschätzungen führen, wenn der veröffentlichte Liegenschaftszins älteren Datums ist und sich das Marktumfeld mittlerweile gewandelt hat. In einem solchen Fall ist es notwendig, den Liegenschaftszinssatz für die Bewertung eines Objekts zu korrigieren und ihn an die aktuelle Marktsituation anzupassen.

Doch selbst alte Werte beinhalten Chancen: Bewerter können aus der Historie des jeweiligen Liegenschaftszinses Erkenntnisse für die aktuelle Situation ableiten. Der Blick in die Vergangenheit kann hilfreich sein, um zu untersuchen, welche Liegenschaftszinssätze in den vergangenen Zyklen - vor allem in Krisenzeiten - benutzt wurden. Diese Vergleichsebene bietet Bewertern wichtige Anhaltspunkte für die Prognose möglicher Transaktionsparameter. In entwickelten Immobilienmärkten wie Deutschland können Gutachter fast flächendeckend auf historische Marktdaten zurückgreifen und sich an den Zyklen der Vergangenheit orientieren. Auf diese Weise können Bewerter den aktuellen Marktparameter eines Objekts in einem ersten Schritt eingrenzen.

Die Orientierung an vergangenen Marktzyklen stellt jedoch nur eine Richtschnur für die Einschätzung des Bewerters dar. In Marktphasen mit geringem Transaktionsgeschehen ist dies in der Regel immer noch eine Herausforderung. Gutachter müssen hier ihr Gespür für die Einschätzungen und Befindlichkeiten der Marktteilnehmer und deren Investitionsprofil unter Beweis stellen.

An diesem Punkt entzündete sich im vergangenen Jahr eine kontroverse Debatte zwischen angelsächsischen und deutschen Immobilienbewertern. Deutsche Bewerter seien - so der Vorwurf einiger britischer Kollegen - zu weit vom Marktgeschehen entfernt, als dass sie realistische Aussagen zum Anlageprofil der Investoren machen könnten. Während britische Sachverständige häufig aus großen Beratungs- und Maklerhäusern stammten und damit eine große Nähe zum Transaktionsmarkt mitbrächten, würden die deutschen Kollegen zum großen Teil in den Kreditabteilungen der Banken ausgebildet. Dort spielten bei der Ermittlung der Beleihungswerte die aktuellen Marktwerte eine eher untergeordnete Rolle. Vielmehr gehe es bei der Ermittlung der Beleihungswerte um nachhaltige Wertansätze, die sich an den langfristig realisierbaren Mieterlösen in einem gesunden Marktumfeld orientieren.

Die Ansicht, britische Bewerter hätten eine größere Nähe zum Markt und demnach ein besseres Verständnis für das Verhalten von Investoren, ist nicht immer richtig. Weniger entscheidend ist, in welchem Bereich Bewerter ausgebildet wurden. Eher geht es darum, wie sorgfältig, plausibel und nachvollziehbar ein Immobilienbewerter seine Marktannahmen und Bewertungsparameter ableitet. Zwar gibt es wesentliche Unterschiede in der Methodik, dennoch sollte das Resultat einer qualitativ hochwertigen und transparenten Immobilienbewertung bei britischen und deutschen Gutachtern identisch sein.

Unterschiedliche Mentalitäten

Dass die Qualität der deutschen Gutachter nicht von der der britischen Kollegen abweicht, zeigt unter anderem eine Studie der IPD Investment Property Databank in Zusammenarbeit mit der Royal Institution of Chartered Surveyors (RICS), die Ende vergangenen Jahres vorgestellt wurde. Danach ist die Qualität der Bewertung in Großbritannien und in Deutschland absolut ebenbürtig: In beiden Ländern war der Anteil der ausgewerteten Verkäufe, bei denen der erzielte Verkaufspreis um weniger als zehn Prozent von der letzen Bewertung abwich, gleich groß. Er liegt in Deutschland und Großbritannien bei jeweils 60 Prozent.

Ein weiterer kontroverser Punkt, der insbesondere die Offenen Immobilienfonds betrifft, ist der zeitliche Abstand zwischen den einzelnen Bewertungen. Während in Großbritannien Immobilien quartalsweise und zum Teil monatlich bewertet werden, geschieht dies bei Offenen Immobilienfonds in Deutschland in der Regel nur einmal im Jahr. Diese Bewertungspraxis hat den Vorteil, dass sich sehr kurzfristige Ausschläge des Marktes nicht eins zu eins auf das Immobilienvermögen eines Fonds auswirken. In Zeiten dynamischen Marktgeschehens kann dieser Ansatz jedoch zu großen Unterschieden zwischen Markt- und Buchwerten führen - ein Grund, weshalb britische Bewerter die ausgewiesenen Immobilienwerte der Fondsgesellschaften teilweise in Zweifel ziehen.

Ein Lösungsansatz wäre, dass Offene Immobilienfonds ihre Objekte in Marktphasen mit großen Schwankungen unterjährig - das heißt mindestens halb- oder am besten vierteljährlich - bewerten lassen, damit die ausgewiesenen Vermögenswerte den Entwicklungen an den Immobilienmärkten nicht zu sehr hinterherlaufen. In ruhigeren Marktphasen ist eine Bewertung, die mehrmals pro Jahr erfolgt, jedoch nicht erforderlich. Da Immobilienbewertungen kostenintensiv sind und somit die Rendite der Anleger schmälern, sollten Fondsmanager ihre Portfolios nicht unnötig oft bewerten lassen. Optimal wäre es daher, anstelle von starren, im Vorfeld festgelegten Bewertungsintervallen flexiblere Lösungen zu etablieren. So könnte beispielsweise die Häufigkeit der erforderlichen Bewertung daran festgemacht werden, wie stark sich die Preise am Markt bewegen, was auch dem aktuellen Gesetzestext entspräche.

Abwertungen bei Offenen Immobilienfonds

Nach den massiven Abwertungen, die einige offene Immobilienfonds in jüngster Vergangenheit vornehmen mussten, steht die Frage im Raum, ob es in Zukunft noch weitere Abwertungen geben wird. Die Antwort hängt zu einem großen Teil vom Investitionsprofil des jeweiligen Fonds ab. Bei Fonds, die stark auf Immobilienmärkten vertreten waren, die große Einbrüche bei Mieten und Preisen zu verzeichnen hatten, werden möglicherweise weitere Wertkorrekturen erforderlich sein. Dies gilt insbesondere für Fonds, die auf den asiatischen und osteuropäischen Immobilienmärkten aktiv sind. Fonds, die vorwiegend in Deutschland und Westeuropa zu vernünftigen Preisen investiert haben, werden kaum weitere Abwertungen vornehmen müssen. Entscheidend ist auch, in welcher Marktphase die Fonds ihre Bestände eingekauft haben. Bei Fonds, die über viele Jahre oder gar Jahrzehnte ihre Bestände erworben haben, besteht ein viel geringeres Abwertungsrisiko als bei Fonds, die verstärkt in den Boomphasen vor der Krise auf der Käuferseite zu finden waren.

Eine einheitliche, für alle Bewerter vorgeschriebene Methode, wie in transaktionsarmen Zeiten zu bewerten ist, fehlt bisher. Eine erste Orientierung für Bewerter bietet der von den örtlichen Gutachterausschüssen ermittelte Liegenschaftszins. Auch ein Blick auf die vergangene Entwicklung des Liegenschaftszinses kann Bewertern wichtige Anhaltspunkte für den aktuellen Marktwert einer Immobilie liefern. Die aus vergangenen Marktzyklen abgeleiteten Werte müssen aber immer mit dem Anlageprofil der Investoren abgeglichen werden. Dies erfordert ein Gespür für den aktuellen Zustand des Transaktionsmarktes und seiner Akteure. Deutsche Bewerter stehen ihren britischen Kollegen in diesem Punkt in nichts nach. Wie aktuelle Studien belegen, ist die Qualität der Bewertung in Großbritannien und in Deutschland absolut ebenbürtig. Ein Lösungsansatz für die Frage nach den richtigen Bewertungsintervallen könnte sein, die Häufigkeit der erforderlichen Bewertungen am Ausmaß der Preisschwankungen festzumachen.

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