Leitartikel

Kein Grund zur Häme

sb - In den letzten Jahren ist die einst so schöne heile Kartenwelt in den Vereinigten Staaten ordentlich in Bewegung geraten. Lange hatten Emittenten mit den sich auftürmenden Kreditkartenschulden bestens leben und die Sorgen europäischer Kollegen um die Rentabilität ihres Kartengeschäfts wenig nachvollziehen können. Dann aber kam die Finanz- und Immobilienkrise und in ihrem Gefolge ein Eingreifen des Gesetzgebers, der angesichts des Schuldenstandes weiter Bevölkerungskreise den bis dahin fast unbegrenzten Möglichkeiten der Konditionengestaltung durch die Kartenemittenten erstmals Grenzen setzte. Die Verbraucher ihrerseits entdeckten, dass man auch ohne Schulden zu machen per Karte bezahlen kann. Der Trend zur Debitkarte ist unübersehbar. Und dann auch noch das: Analog zum Eingreifen der EU-Kommission in die Interchange (und motiviert durch diese Regulierung) hat der Kongress ebenfalls eine Deckelung des Interbankenentgelts beschlossen, umgesetzt im Sommer dieses Jahres durch die "Regulation II" der Federal Reserve Bank, bei der es zwar letztlich nicht ganz so schlimm kam wie anfangs befürchtet, aber doch schlimm genug.

Immer mehr gleichen sich damit das Kartengeschäft in den USA beziehungsweise dessen Rahmenbedingungen den Verhältnissen in Europa an. Vorbei sind die Zeiten, als das Debitkarten(un)wesen mehr oder weniger als "Anfängerfehler" zurückgebliebener Kartenmärkte belächelt und die Regulierung in Sachen Preispolitik als sonderbare Auswüchse der alten Welt betrachtet wurden. Die jüngsten Beschlüsse der großen Kartenorganisationen, nun auch in technischer Hinsicht (wenigstens teilweise) dem Rest der Welt zu folgen und in den USA die Chiptechnologie einzuführen, ist insofern nur konsequent.

Schadenfreude darüber, dass die Kartenbranche in den USA nun mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, mit denen sich die Europäer schon länger herumschlagen, ist sicher fehl am Platze. Und doch mag das Verschwinden gewisser Unter schiede das Verständnis für die Nöte und Wünsche des jeweils anderen verbessern und manche Abstimmungsprozesse und Weiterentwicklungen vereinfachen. Nicht zuletzt rückt hierzulande der endgültige Abschied vom Magnetstreifen wenn schon nicht in Reichweite, so doch immerhin in Sichtweite. An den bis dahin noch zu erledigenden Hausaufgaben (Stichwort zum Beispiel Fallback) wird bereits emsig gearbeitet.

Also reine Befriedigung aus europäischer Sicht? Wohl doch nicht. Zum einen sind die Zeitpläne viel zu weit gefasst, als dass es Grund zur Euphorie gäbe. Zum anderen könnten sich durch die Entwicklung in den USA auch für hiesige Emittenten durchaus negative Rückkopplungen ergeben. Dass der US-Gesetzgeber die europäische Regulierung in Sachen Interchange gewissermaßen zum Modell genommen hat, dürfte deren Protagonisten mit einer gewissen Befriedigung erfüllen. Und noch ist in der Interchange-Frage das letzte Wort vermutlich lange nicht gesprochen, in Europa ebenso wenig wie in den USA (siehe Beitrag MacDonald auf Seite 30). Prinzipiell ist also nicht auszuschließen, dass sich die Regulatoren diesseits und jenseits des Atlantiks in gewisser Hinsicht gegenseitig aufschaukeln.

In Sachen Chip ist zudem erst der Anfang gemacht. Visa setzt dabei auf den Point of Sale, Mastercard bisher allein auf die Bargeldversorgung am Geldautomaten. Und wenn - wie es Julie McNelley befürchtet (siehe Beitrag auf Seite 34), zumindest die privaten Betreiber von Geldautomaten-Netzwerken erst einmal die weitere Entwicklung abwarten wollen und zwischenzeitlich die Maestro-Akzeptanz an ihren Automaten einstellen sollten, müssten sich auch hiesige Emittenten über ihre Debitstrategie beziehungsweise Lösungen zur Bargeldversorgung ihrer Kunden im außereuropäischen Ausland neue Gedanken machen.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X