Redaktionsgespräch mit Peter Fricke

"Veraltete gesetzliche und regulatorische Vorgaben haben zu einem Standortnachteil geführt"

Peter Fricke, Foto: Deutsche Börse AG

Die Deutsche Börse hat im Jahr 2015 ein Venture-Capital-Netzwerk gegründet, weil sie das Ökosystem für Wachstum in Deutschland, aber auch in Europa als unterentwickelt ansah. Peter Fricke sieht im Redaktionsgespräch daher einen steten Bedeutungsverlust des deutschen Kapitalmarktes im internationalen Vergleich. Vor allem in der Spätphase von jungen Unternehmen klafft demnach eine Lücke. Laut einer Studie werden aus den 67 Prozent inländischem Kapital in der Frühphase nur noch 12 Prozent in späteren Finanzierungsrunden. Dadurch steige auch die Wahrscheinlichkeit, dass ein folgender Börsengang auch im Ausland stattfinde. Dennoch habe es 2021 in Deutschland ein Rekordjahr bei den IPOs gegeben, angeführt vom E-Commerce- und Tech-Sektor. Aber der Autor sieht hier noch keine Trendwende. Daher fordert er eine neue Bundesregierung auf, hier neue Impulse zu setzen, unter anderem durch eine Anpassung der steuerlichen Rahmenbedingungen, in dem Sinne, dass Eigenkapital gegenüber Fremdkapital strukturell nicht mehr benachteiligt wird. (Red)

Herr Fricke, die Deutsche Börse ist im Venture-Capital-Markt ziemlich aktiv. Neben dem Venture-Capital-Investmentarm DB1 Ventures gibt es noch das Deutsche Börse Venture Network. Was ist die Aufgabe dieses Netzwerkes?

Vereinfacht gesagt: Wir wollen Kapital mit innovativen Unternehmen zusammenbringen, damit diese ihre Wachstumsambitionen finanzieren können. Denn auch wenn Ideen, Kreativität und Mut die Grundlage für neue Geschäftsmodelle sind, können Innovationen ohne Finanzierung nicht umgesetzt werden und vielversprechende Geschäftsmodelle nicht wachsen und expandieren. Für große Wachstumsambitionen führt an der Finanzierung über die Aktie kein Weg vorbei.

Mit dem Deutsche Börse Venture Network (DBVN) begleiten und unterstützen wir junge, aufstrebende Unternehmen mit unserer Kapitalmarktexpertise und unserem umfassenden Netzwerk aus erfahrenen Marktteilnehmern. Wir wollen langfristig mehr Startups den Weg an die Börse ebnen. Unser Serviceangebot reicht von Netzwerk- und Veranstaltungsformaten zu Trainingsprogrammen und Workshops - maßgeschneidert auf die individuellen Bedürfnisse unserer Mitgliedsunternehmen. Unser Ziel ist, dass sich noch mehr zukunftsträchtige Geschäftsmodelle in Deutschland entwickeln können.

Warum spielt der Venture-Capital-Markt für einen Börsenbetreiber eine so große Rolle

Die Deutsche Börse hat das DBVN 2015 gestartet, weil in Deutschland und Europa schlicht das Ökosystem für Wachstum unterentwickelt war. Es geht darum, Innovationen zu fördern und die dafür notwendige Finanzierungssituation zu verbessern. Seit Jahren müssen wir beobachten, wie der deutsche Kapitalmarkt im internationalen Vergleich an Bedeutung verliert. Dabei ist es eigentlich simpel: Wenn Unternehmen in ihrem Heimatland die notwendigen Wachstumsvoraussetzungen vorfinden, dann gehen sie auch dort an die Börse. Die Frühphasenfinanzierung von Unternehmen hat sich in Deutschland zuletzt zwar erfreulich entwickelt, aber Börsengänge spielen noch immer eine viel zu geringe Rolle.

So zeigt eine aktuelle Studie, die wir in Kooperation mit Dealroom durchgeführt haben, dass die größten Defizite bei Firmen bestehen, die kurz vor der Börsenreife sind: Während in den Finanzierungsrunden in den frühen Phasen noch rund 67 Prozent inländisches Kapital vertreten ist, schrumpft der Anteil bei späteren Finanzierungsrunden auf 12 Prozent. Müssen sich Start-ups aber über Europas Grenzen hinaus Kapital beschaffen, dann steigt konsequenterweise auch die Wahrscheinlichkeit auf einen Börsengang im Ausland. Das kann in Deutschland und in Europa weder im Interesse der Börsenbetreiber noch im Interesse der Finanzintermediäre und Investoren liegen. Schließlich ermöglicht jedes neue Unternehmen am Kapitalmarkt Anlegern die direkte Beteiligung an dessen Erfolg - und damit die Möglichkeit, Vermögen aufzubauen.

Sie bieten ja nicht nur das Matching von Investoren und Unternehmen an, sondern auch Kompetenz-Trainings. Was ist für die Start-ups wertvoller? Dass Sie Ihnen helfen, die Investoren zu finden oder die Coachings?

Das lässt sich pauschal nicht beantworten, denn das ist von der jeweiligen Entwicklungs- und Wachstumsphase abhängig, in der sich ein Unternehmen befindet. Unsere Angebote bedienen deshalb jeweils unterschiedliche Themen und beruhen auf den drei Säulen Kapital, Netzwerk und Training. So profitiert ein Unternehmen, das sich in Vorbereitung auf eine konkrete Finanzierungsrunde befindet, besonders von dem Matching-Angebot mit Investoren. Gründer, die sich zu Themen wie Wachstumsmanagement oder Kapitalmarktfinanzierung weiterbilden wollen, haben Zugriff auf passgenau zugeschnittene Trainings. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir unseren Schwerpunkt darauf legen, unserer Community umfassendes Kapitalmarktwissen zu vermitteln. Eine explizite Beratung zur Kapitalaufnahme bieten wir aber nicht - das ist der Aufgabenbereich der Banken.

Gibt es bestimmte Vorgaben an die Größe oder die Branche, damit ein junges Unternehmen vom Deutsche Börse Venture Network profitieren kann?

Für eine Mitgliedschaft im Deutsche Börse Ventures Network spielt es keine Rolle welcher Branche ein Unternehmen zugehört. Wir sind nicht nur auf Fintechs beschränkt - wie einige vielleicht vermuten würden.

Dennoch setzen wir einige Kriterien und Formalia als Zugangsvoraussetzungen an, um ein ausgewogenes Netzwerk sicherzustellen. Über ein Onlineformular kann erstmal jedes Unternehmen eine Mitgliedschaft beantragen. Im Aufnahmeprozess schauen wir uns dann unter anderem den Umsatz, das bisher aufgenommene Kapital und weitere wachstumsspezifische Key Performance Indikatoren an.

Können Sie ein paar Beispiele bringen, die auch schon den Exit und damit den Sprung an den Kapitalmarkt geschafft haben?

Unsere Erfolgsbilanz: Zehn Börsengänge hat unser Venture Network bereits hervorgebracht. Darunter NFON, ein Anbieter von cloudbasierten Telefonanlagen, welcher im Jahr 2018 erfolgreich in Frankfurt an die Börse gegangen ist. Die Kursentwicklung ist seit dem Listing sehr positiv - um 40 Prozent ist der Unternehmenswert gestiegen. Noch beeindruckender ist die Performance der Retail/E-Commerce-Unternehmen Delivery Hero und Hello Fresh, die beide im Jahr 2017 gelistet wurden. Delivery Hero hat einen Kursanstieg von rund 300 Prozent und Hello Fresh von knapp 700 Prozent vorzuweisen.

Stehen weitere Kandidaten aus dem Netzwerk kurz vor dem Sprung an den Primärmarkt? Wenn ja, welche Branchen dominieren dabei gerade?

Lassen Sie es mich so ausdrücken: Wir blicken auf ein erfreuliches IPO-Jahr zurück und die Pipeline sieht weiterhin vielversprechend aus - genaue Angaben dürfen wir vorab nicht machen. In Frankfurt haben wir dieses Jahr mit bisher 19 Transaktionen und einem Emissionsvolumen von knapp 10 Milliarden Euro ein Rekordjahr gehabt. Auffällig ist, dass rund 70 Prozent der Unternehmen, die ein IPO in Frankfurt durchgeführt haben, aus dem Tech- & E-Commerce-Sektor kommen. Auto 1, About You, Bike24, Mister Spex: Das sind nur einige der digital erfolgreichen Firmen - Made in Germany - die nun an der Frankfurter Wertpapierbörse beheimatet sind.

Der Mangel an Neuemissionen in den letzten Jahren war in Deutschland schon erschreckend, vor allem im Vergleich zu anderen Ländern. Langsam kommt der Primärmarkt, wie Sie feststellen, jedoch auch hier wieder in Schwung. Liegt darin vielleicht auch ein Stück weit die Motivation der Deutschen Börse, sich stark im Venture-Capital-Markt zu positionieren?

Wie bereits angesprochen ist 2021 ein Rekordjahr für Börsengänge, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Als Grund dafür ist vor allem ein gestärktes Marktumfeld zu nennen, welches sich im Vergleich zum Vorjahr enorm verbessert hat. Mit einer neu gewonnenen Planungssicherheit gehen nun wieder mehr Unternehmen an die Börse, jedoch können wir langfristig noch nicht von einer Trendwende ausgehen. Vor allem die Anzahl der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) bleibt auf einem niedrigen Niveau.

Dabei eröffnet doch gerade die Notierung an der Börse neue Möglichkeiten zur Skalierung des Geschäftsmodells und bringt globale Champions wie Tesla hervor. Deshalb will das Deutsche Börse Ventures Network noch stärker als Ansprechpartner für innovative Wachstumsunternehmen zur Verfügung stehen, um möglichst viele Unternehmen in ihrem Wachstumsprozess zu unterstützen.

Gerade auch bei der Aufgabe der nachhaltigen Transformation wird es junge innovative Unternehmen mit frischen Ideen brauchen. Was könnte die neue Bundesregierung beitragen, um den Markt noch weiter in Schwung zu bringen?

Klar ist: Deutschland ist ein sehr vielseitiges Land mit Ideen und Talenten. Die neue Legislaturperiode bietet der Bundesregierung die Chance, neue Impulse für den Kapitalmarkt zu setzen. Denn die Beispiele anderer Länder zeigen deutlich, dass der deutsche Kapitalmarkt weniger leistungsfähig ist als er mit geeigneten Maßnahmen sein könnte. Deshalb hat die Deutsche Börse im September ein entsprechendes Whitepaper veröffentlicht, das neben einer Analyse auch konkrete Empfehlungen für eine nationale Kapitalmarktstrategie enthält. Darin schlagen wir drei Aktionsfelder vor: Erleichterung der eigenkapitalbasierten Unternehmens- und Innovationsfinanzierung, Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Kapitalmarktes und bessere Teilhabe am wirtschaftlichen Erfolg.

Ein großes Thema, nicht nur bei jungen Unternehmen, sind die Daumenschrauben durch Regulierung. Wäre hier weniger Regulierung hilfreich beziehungsweise sinnvoll?

Deutschland braucht nicht unbedingt weniger, aber adäquate Regulierung, die genügend Raum für Innovationen lässt und bessere Rahmenbedingungen sowie mehr Anreize für die Aktienfinanzierung und die Aktienanlage bei gleichzeitigem Investorenschutz schafft. Denn veraltete gesetzliche und regulatorische Vorgaben haben zu einem erheblichen Standortnachteil geführt. So sollten beispielsweise die steuerlichen Rahmenbedingungen angepasst werden, die aktuell Eigenkapitalfinanzierung in Deutschland strukturell schlechter stellen als Fremdfinanzierung.

Andere Länder wie Italien, Schweden, Norwegen und Großbritannien zeigen, wie durch etablierte Steueranreize mehr Börsengänge hervorgehen - vor allem von KMU. Auch bei der steuerlichen Ausgestaltung von Mitarbeiterbeteiligungen hinkt Deutschland weiterhin hinterher, dabei ist die langfristige Beteiligung von Mitarbeitern am Unternehmenserfolg im "War of Talents" ein sehr wertvolles Mittel. Als weiterer Punkt sind die Transparenzanforderungen für kleine und mittlere Unternehmen zu nennen, die in Deutschland unverhältnismäßig hoch ausfallen.

Welche Schritte wären bei der lange herbeigeredeten, aber immer noch nicht vollzogenen Kapitalmarktunion in Europa gerade für junge Unternehmen besonders wichtig?

Um insbesondere für KMUs den Weg an den Kapitalmarkt attraktiv zu gestalten, muss ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen der Aufrechterhaltung eines liquiden und vertrauenswürdigen Marktes mit möglichst geringen Belastungen für Emittenten - und einem angemessenen Anlegerschutz gefunden werden. Dass der finanzielle und administrative Aufwand spürbar reduziert wird lässt, die derzeitige Ausgestaltung noch nicht erkennen. Es sind daher weitere Maßnahmen erforderlich. Darunter fallen vor allem Erleichterungen hinsichtlich der Marktmissbrauchsverordnung, deren Anforderungen an den Detaillierungsgrad und die Geschwindigkeit von Transparenz- und Mitteilungspflichten sowie das hohe Sanktionsniveau in keinem angemessenen Verhältnis zur administrativen und finanziellen Leistungsfähigkeit eines KMU stehen.

Peter Fricke , Head of Deutsche Börse Venture Network, Frankfurt am Main
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