Herr Mackel, ganz aktuell: Wie ist die Situation am Finanzplatz Luxemburg im Zusammenhang mit der Pandemie?
Zunächst einmal sind wir froh, dass wir bei uns in Luxemburg - ähnlich wie bei Ihnen in Deutschland - die erste Infektionswelle offenbar hinter uns gebracht haben und dass unser Gesundheitssystem der Belastung standgehalten hat. Was unsere Branche angeht, ist es gelungen, die operative Stabilität auch während des Lockdowns aufrechtzuerhalten. Der Finanzplatz Luxemburg war jederzeit offen, selbst in der Zeit der vorrübergehenden Grenzkontrollen. Auch die grenzüberschreitenden Kapitalströme waren durchgängig intakt. Das war wichtig, um neben der gesundheitlichen Krise und den wirtschaftlichen Folgen nicht auch noch Verwerfungen im Finanzsystem zu haben.
Das heißt, die Stabilität ist gewährleistet?
Bislang hat sich die Finanzindustrie äußerst stabil in der Krise gezeigt. Es wurden die richtigen Lehren aus der Finanzkrise vor rund 10 Jahren gezogen. Die Kapital- und Regulierungsvorschriften haben die Stabilität der Banken erhöht und einen Rahmen geschaffen, der sich in der aktuellen Krise bewährt hat. Die Stabilität zeigt sich nicht nur bei Banken, sondern in der Finanzbranche insgesamt. Beispielsweise ist das verwaltete Vermögen in Luxemburger Fonds, nachdem die Volumina im März gesunken waren, im April wieder angestiegen. Das zeigt, dass die Maßnahmen der Regierungen und Zentralbanken Vertrauen im Markt geschaffen haben.
Und nun? Was erwarten die Akteure am Finanzplatz, wie lange es dauert, die Krise hinter uns zu lassen?
Angesichts der schwierigen Lage sind die Finanzakteure überwiegend skeptisch, was die wirtschaftliche Entwicklung angeht. Fast drei Viertel gehen davon aus, dass die Gesamtwirtschaft frühestens in einem Jahr wieder auf das Niveau vor der Krise zurückkehren wird. Ein großer Teil davon erwartet, dass diese Entwicklung sogar 2 bis 3 Jahre dauern wird. Viele Befragte erwarten sinkende Erträge für ihre Unternehmen und etwa die Hälfte geht von sinkenden Gewinnen aus.
Was sorgt Sie beziehungsweise die Vertreter der Branche am meisten?
Ich habe Sorgen, dass die falschen Schlüsse aus der Krise gezogen werden. Die Ergebnisse der Umfrage, dass Entscheider mit einer verlangsamten Globalisierung und einer weiteren Fragmentierung des EU-Binnenmarktes rechnen, zeigen, dass die Branche in eine ähnliche Richtung denkt. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Pandemie unsere globale Zusammenarbeit, den weltweiten Handel und Kapitalflüsse beendet.
Mehr denn je kommt es darauf an, dass Kapitalströme intakt bleiben und zum Wohle aller eingesetzt werden können. Wir müssen dafür werben, dass die Globalisierung sozialen Wandel, Wachstum und wirtschaftliche Entwicklung bringt und den Mehrwert des europäischen Binnenmarktes für die Finanzindustrie und Wirtschaft insgesamt verdeutlichen.
Sehen Sie dieses Bemühen auch in der Branche insgesamt?
Der Finanzsektor denkt und handelt nach wie vor international - auch wenn das Virus und mehr noch die Versuche populistischer Akteure, die Lage für ihre Interessen auszunutzen, die internationale Zusammenarbeit gefährden. Wir in Luxemburg gehören nicht nur in geografischer und historischer Perspektive zum Kern der EU. Offenheit, internationaler Austausch und grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist Teil unserer DNA. Dass Grenzen in Europa auf einmal wieder ein Thema wurden, hat uns deshalb, wie jeden überzeugten Europäer, tief getroffen. Ich bin froh, dass die Kontrollen nun Schritt für Schritt wieder zurückgefahren werden.
Wie sehen Sie die Rolle der Finanzindustrie im Wiederaufbau?
Schon in der direkten Antwort auf die Krise hat der Finanzsektor bewiesen, dass er Teil der Lösung ist. Die Unternehmen haben den Zahlungskreislauf aufrechterhalten, Liquidität sichergestellt und nicht zuletzt haben Banken eine wesentliche Rolle darin, die staatliche Hilfe schnell an die betroffenen Unternehmen und Menschen zu bringen. Auch auf lange Sicht hat der Finanzsektor die Aufgabe, weltweit die Realwirtschaft zu unterstützen. Wir können die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen der Pandemie nur gemeinsam und im europäischen Kontext bewältigen.
Das gilt vor allem, weil wir mit der grünen Transformation und der Umsetzung des Green Deal vor wichtigen Aufgaben stehen. Auch hierzu kann der Finanzsektor einen wichtigen Beitrag leisten. Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht überraschend, dass die befragten Unternehmen Sustainable Finance als eines ihrer wichtigsten künftigen Wachstumsfelder einstufen.
Sustainable Finance ist ein gutes Stichwort. Wie sehen Sie die Perspektiven für Green Finance angesichts der durch Corona veränderten Situation?
Die Menschheit wird sich es weder bei der Bewältigung der Pandemie-Folgen noch beim Klimaschutz leisten können, Zeit zu verlieren. Es werden in den kommenden Jahren gigantische Mittel erforderlich sein. Allein der "Green Deal" der EU-Kommission beläuft sich auf ein Volumen von 1 Billion Euro bis zum Jahr 2030. Auf dem Weg zur europäischen Klimaneutralität werden derweil noch weitere Summen zu mobilisieren sein, die nicht allein durch die öffentliche Hand getragen werden können.
Welche Rolle hat hier die Finanzindustrie?
Was die Investitionen in die grüne Transformation der Wirtschaft und entsprechende Geschäftsmodelle angeht, lautet die gute Nachricht: Sowohl die erforderlichen Strukturen wie auch die Nachfrage vonseiten der Investoren nach grünen Finanzprodukten sind grundsätzlich vorhanden. Am Kapitalmarkt ist in den vergangenen Jahren ein "grünes" Segment entstanden, das Schritt für Schritt aus dem Nischendasein herausgewachsen ist.
Zudem bilden auch klassische Fonds und andere Finanzprodukte zunehmend Nachhaltigkeitsaspekte in ihren Anlageentscheidungen ab. Sie reagieren damit nicht zuletzt auf Forderungen institutioneller wie privater Anleger. Und hier in Luxemburg arbeiten die Regierung wie die Unternehmen daran, die grüne Transformation weiter voranzutreiben.
Sustainable Finance ist ein wichtiges Wachstumsfeld. Welche weiteren Wachstumsfelder sehen die befragten Experten?
Befragt nach möglichen Wachstumsfeldern nennen die Branchenvertreter neben Sustainable Finance vor allem die Digitalisierung. Dies überrascht nicht. Die Erfahrungen mit digitalem Arbeiten in der Corona-Krise und auch die wachsende Bedeutung von bargeldlosem Zahlen sind offensichtliche Beispiele für das weitere Potenzial der Digitalisierung. Das stimmt zuversichtlich für die Zukunft - und das sehen wir auch an der immer weiter wachsenden Fintech-Gemeinde in Luxemburg.