Rechtsfragen

Zivilrecht - Einfluss auf die Finanzstabilität?

Alexander Suyter

Am 21. Februar 2017 hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden: Verlangt ein Bausparer nach Erreichen der Zuteilungsreife seines Vertrages sein Guthaben zehn Jahre oder länger nicht zurück, kann die Bausparkasse den Vertrag kündigen. Der BGH argumentiert zivilrechtlich, dass der Bausparer mit seiner Einlage der Bausparkasse ein Darlehen gewähre. Sobald der Vertrag zuteilungsreif sei, könne der Bausparer sein gegebenes Darlehen zurückfordern und gegebenenfalls zusätzlich ein Darlehen von der Bausparkasse verlangen. Verzichtet er jedoch mindestens zehn Jahre lang darauf, dürfe die Bausparkasse das erhaltene Darlehen (die Bauspareinlage) auf Basis des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB kündigen und dadurch den gesamten Bausparvertrag beenden. § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB setzt voraus, dass das Darlehen vollständig empfangen wurde. Wie soll dies möglich sein, solange der Bausparer durch Einlagen sein Guthaben und somit sein Darlehen an die Bausparkasse erhöhen kann? Den BGH ficht diese Frage nicht an. Vielmehr wird die vollständige Darlehensvergabe kurzerhand indirekt durch das Er reichen der Zuteilungsreife des Bausparvertrages definiert - auch dann, wenn der Vertrag noch bespart werden kann. Dieser neue, vom BGH als "Zweckdarlehen" bezeichnete Produkttypus findet sich weder im Zivil- noch im Aufsichtsrecht. Das Urteil könnte noch unangenehme, weitreichende Folgen für die Bankenbranche insgesamt entfalten. Weshalb?

Das Risikoprofil einer Bausparkasse ändert sich durch das BGH-Urteil maßgeblich, wird doch ein Teil der in den Bausparverträgen zugunsten der Bausparer vereinbarten Rechte beziehungsweise Optionen nun auf einen Schlag dauerhaft und vollständig wertlos (zum Beispiel der Anspruch auf Bauspardarlehen ohne - insbesondere zeitlichen - Zwang). Ist es jetzt für die Bausparkassen deshalb regulatorisch geboten, für den Darlehenstypus "Zweckdarlehen" einen Neu-Produkt-Prozess zu durchlaufen? Die MaRisk jedenfalls verlangen dies (AT 8.1. Ziffer 1), wenn Auswirkungen auf das Gesamtrisikoprofil zu berücksichtigen sind, nicht zuletzt weil dadurch die Zinsbuch- und Kapitalsteuerung (ICAAP) maßgeblich betroffen sind, die im Rahmen des SREP in besonderem Fokus der Aufsicht stehen (Supervisory Review and Evaluation Process). Was viel schwerer wiegt: Fühlen sich Bausparkassen durch das BGH-Urteil zu noch offensiverem Vorgehen ermutigt? Jedenfalls liegen inzwischen sogar Kündigungen von Bausparverträgen vor, deren Zuteilungsreife weniger als zehn Jahre zurückliegt und somit noch nicht einmal die derzeitige Maßgabe des BGH erfüllen. Die kündigende Bausparkasse behauptet schlicht, dass die Geschäftsgrundlage wegen des niedrigen Zinsniveaus zwischen ihr und dem Bausparer gestört sei und leitet dabei unter Berufung auf § 313, 314 und 490 BGB ein außerordentliches Kündigungsrecht ab. Eine Kündigung gemäß § 314 BGB hat der BGH inzwischen verneint, während die behauptete Störung gemäß § 313 BGB hinreichend begründet werden müsse. Wäre eine aus dem Ergebnis einer aufsichtsrechtlichen SREP-Prüfung abgeleitete Begründung ausreichend (zum Beispiel verminderte Risikotragfähigkeit)? Spätestens wenn eine Bausparkasse diese vom BGH geöffnete Tür erfolgreich nutzt, dürften jedoch viele (Immobilien-)Darlehensnehmer mit gleicher Argumentation aus alten hochverzinsten oder unliebsamen Darlehensverträgen bei allen Banken aussteigen. Sie könnten sich ihrerseits auf die Störung der Geschäftsgrundlage berufen und ihren Darlehensvertrag ohne Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung und gemäß § 314 Abs. 1 BGB ohne Frist beenden.

Hier droht erhebliches Schadenspotenzial für alle Banken - und gemäß MaRisk (AT 4.1, 4.2) eine äußerst fordernde Aufgabe für das Risikomanagement der betroffenen Institute (Zinsbuchsteuerung, Risikotragfähigkeit, Kapitalplanung). Schließlich bekommen die Darlehensnehmer aller Banken durch richterliches Urteil schlagartig eine wertvolle Option (tief im Geld) zugewiesen, wenn sie nur eine stichhaltige Begründung für die Störung der Geschäftsgrundlage liefern. Für im zinstragenden Aktivgeschäft exponierten Kreditinstitute könnten sich diese höchstrichterlichen Entscheidungen "pro Bausparkasse" somit als Pyrrhussieg erweisen. Demzufolge ist die Finanzstabilität insgesamt erheblich davon tangiert. Substanziell geht es schließlich um ganz andere Ursachen (Niedrigzinsen, Geldpolitik der EZB, EU und Staatsschulden), aber der BGH müht sich im deutschen Zivilrecht mit einem Teilaspekt ab. Ein derart fundamentales Thema sollte deshalb nicht aus rein zivilrechtlicher Perspektive entschieden werden - vom Vertrauensschwund aufseiten der Bausparer und Bankkunden ganz abgesehen. Eine detaillierte Darstellung findet sich in der Zeitschrift Immobilien & Finanzierung 7-2017.

Dr. Alexander Suyter, Geschäftsführer, Dr. Suyter GmbH, München

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