EZB

Die Verzweiflungstat

Die zahlreichen außergewöhnlichen Maßnahmen erzielten ganz offensichtlich nicht den gewünschten Erfolg: Am 10. März 2016 senkte die Europäische Zentralbank in einer historisch beispiellosen Entscheidung den Hauptrefinanzierungszinssatz auf 0,00 Prozent. Darüber hinaus gab sie die Erhöhung der monatlichen Käufe von Anleihen von 60 Milliarden Euro auf 80 Milliarden Euro bekannt. Auch auf Euro lautende Investment-Grade-Unternehmensanleihen können ab April gekauft werden. All dies kommt einer Verzweiflungstat gleich, scheint die EZB doch weder ein noch aus zu wissen. Darüber zu räsonieren, dass es so weit niemals hätte kommen müssen, ist eine Sache. Das Funktionieren einer Volkswirtschaft bei einem Nullzins zu erklären, ist eine andere. Ein Blick nach Japan, welches seit mehr als 20 Jahren mit einem um Null schwankenden Leitzins laboriert, ohne der wirtschaftlichen Depression sichtbar zu entkommen, sollte Warnung genug sein. Das ursprüngliche Ziel der EZB, die Inflationsrate "unter, aber nahe 2,00 Prozent" zu halten, ist in weite Ferne gerückt. Die Korrektur der Inflationserwartungen auf nur noch 0,1 Prozent im Jahr 2016 bestätigt dies. Inwiefern jedoch das Abschaffen des Zinses diese Entwicklung mittelfristig umzukehren vermag, ist fraglich. Frühere Zinssenkungen der EZB vermochten weder den Konsum der privaten Haushalte noch die Kreditvergabe des Bankensektors nachhaltig zu stimulieren. Eine Antwort auf die Frage, warum sich dieses Phänomen gerade jetzt umkehren sollte, bleibt die EZB schuldig.

Die Aussage, dass "Zinsen für lange Zeit niedrig, sehr niedrig" bleiben werden, verheißt nichts gutes. Möglicherweise geben die "guten Erfahrungen", welche die EZB nach eigener Aussage mit negativen Zinsen gemacht hat, einen Vorgeschmack auf das, was folgen wird. Auch wenn weitere Zinssenkungen nach Maßgabe des Präsidenten der EZB, Mario Draghi, "unwahrscheinlich" sind, werden Banken den mit minus 0,4 Prozent bereits deutlich negativen Satz der Einlagefazilität zunehmend an ihre Kunden weiterreichen. Dies läuft dem eigentlichen Ziel der EZB in höchstem Maße zuwider. Zudem schränkt Mario Draghi mit den widersprüchlichen Aussagen den Handlungsspielraum der EZB unnötig ein. Eine Zentralbank kann langfristig keine negativen nominalen Zinssätze am Markt durchsetzen: Geschäftsbanken werden keine Kredite mit negativen Nominalzinsen vergeben. Stattdessen bevorzugen sie eine (physische) Geldhaltung. Bereits heute denkt der deutsche Sparkassensektor darüber nach, seine Überschussliquidität selbst zu verwahren - anstatt sie bei der EZB einzulagern. Andere Banken werden folgen.

Die klassischen geldpolitischen Transmissionskanäle der EZB funktionieren ganz offensichtlich nicht mehr. Statt auf eine Wiederbelebung zu hoffen, sollte die EZB sich mit der Frage auseinandersetzen, welche Maßnahmen sie zu ergreifen gedenkt, wenn auch der letzte Zinsschritt ähnlich wirkungslos verpufft wie jene zuvor. Zu dieser Erkenntnis zu gelangen, wird nur eine Frage der Zeit sein.

Prof. Dr. Leef H. Dierks, Professur für Finanzierung und Internationale Kapitalmärke, Fachhochschule Lübeck

Leef H. Dierks , Professur für Finanzierung und Internationale Kapitalmärkte , Fachhochschule Lübeck
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