Zinsen

Das Ende des Verwahrentgelts

Europäische Zentralbank, EZB
Foto: Europäische Zentralbank

Seit Juni 2014 erhebt die Europäische Zentralbank (EZB) einen negativen Zinssatz für die Einlagefazilität. Dieser betrug zunächst minus 0,10 Prozent und wurde bis September 2019 in vier Schritten um jeweils minus 0,10 Prozent auf insgesamt minus 0,50 Prozent gesenkt. Weit über 500 deutsche Banken und Sparkassen haben die negativen Zinsen, die sie für Guthaben bei den nationalen Zentralbanken des Eurosystems (ZB-Guthaben) zahlen, mittlerweile zum Anlass genommen, für die Einlagen der Nichtbanken ein sogenanntes Verwahrentgelt zu fordern. Zu dieser Maßnahme sahen sich die Kreditinstitute aufgrund der lang andauernden Negativzinsphase unter anderem angesichts ihres hohen Passivüberhangs und mangels sicherer und rentierlicher Anlagealternativen gezwungen.

Das Dilemma zeigt sich beispielsweise bei den Zahlen zur Sparkassen-Finanzgruppe für das Jahr 2020. Mit 84 Prozent der insgesamt 376 Sparkassen hatten so viele Institute wie noch nie zuvor einen Passivüberhang, Ende 2019 waren es 77 Prozent. Mit 169 Milliarden Euro, was knapp 12 Prozent der durchschnittlichen Bilanzsumme entsprach, befand sich dieser ebenfalls auf einem Rekordniveau. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Kreditgenossenschaften. Hier stieg der aggregierte Passivüberhang der 814 Institute per Ende 2020 auf 126 Milliarden Euro ebenfalls kräftig an.

Und so ist es zwar mildernd für die GuV der Banken, wenn sie einen Teil der sie belastenden Kosten für die erhobenen Negativzinsen der EZB an ihre Kunden weitergeben, aber wahrlich schlecht für ihr Image: Denn mehr als zwei Drittel aller Frauen halten es für falsch, dass die Kunden für zu hohe Spareinlagen belangt werden. Bei den Männern sind es sogar 72 Prozent, wie aus einer Umfrage des britischen Markt- und Meinungsforschungsinstituts Yougov hervorgeht. Laut einer Onlineumfrage des Marktforschungsinstituts Appionio überlegen sogar 79 Prozent der Befragten, die Bank aufgrund des Entgelts zu wechseln.

Doch ein Ende der Negativzins-Ära ist in Sicht: Laut eines Blogbeitrags der EZB-Präsidentin Christine Lagarde möchte die Behörde die große Wende im Juli einleiten und bis Ende September den Minusbereich sogar komplett verlassen. "Ausgehend von den derzeitigen Aussichten werden wir wahrscheinlich in der Lage sein, die negativen Zinssätze bis zum Ende des dritten Quartals zu stoppen", so Lagarde. Der Druck auf die EZB, die Leitzinsen zu erhöhen, ist zuletzt immer weiter gestiegen. In anderen Ländern wie den USA oder Großbritannien haben die Notenbanken die Zinsen in diesem Jahr bereits erhöht. Mit diesem angekündigten Ende der Negativzinsen würden auch die Verwahrentgelte noch in diesem Jahr überflüssig werden.

Ähnlich wie die Kapitalmärkte die Signale der Notenbank vorwegnehmen, die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe befindet sich seit Anfang März im stetigen Anstieg und lag Ende Mai bei rund 0,95 Prozent, reagieren auch die Kreditinstitute. Viele lockern nämlich bereits ihre Regelungen mit Blick auf die Kundeneinlagen. Besonders offensiv zeigt sich dabei einmal mehr die ING Deutschland, die die Verwahrentgelte zum 1. Juli 2022 als erste Bank quasi wieder komplett abschafft. Denn durch die Anhebung des Freibetrags für Guthaben von derzeit 50 000 auf 500 000 Euro je Konto sind anschließend nur noch die allerwenigsten Kunden von Strafzinsen betroffen. Dieser Sogwirkung werden sich die übrigen Banken und Sparkassen nur schwer entziehen können. Die einige Jahre eher ungeliebten Einlagen werden plötzlich wieder zum Wettbewerbsfaktor.

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