Rechtsfragen

Cum-Ex-Einbehalt - grundgesetzwidrig?

Rechtsmittel gegen Gerichtsentscheidungen bis zum Bundesgerichtshof einlegen und dann als Ultima Ratio die rechtskräftige Entscheidung noch mit einer Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht angreifen zu können, sind Grundpfeiler unserer demokratischen Ordnung. Das hat offenbar auch die Hamburger Warburg-Bank und die sie beherrschende Gruppe so gesehen. Sie hatte sich daher - vielleicht mehr aus Verzweiflung als aus Überzeugung - entschlossen, die Verfassungsmäßigkeit der strafrechtlich rechtskräftigen Entscheidung des BGH prüfen zu lassen, in der die Einziehung eines dreistelligen Millionen-Euro-Betrags an die Staatskasse als rechtswirksam bestätigt wurde, den die Bank aus ihren eigenen Cum-Ex-Geschäften in den Vorjahren deliktisch erlangt hatte und für die zwei der verantwortlichen Mitarbeiter rechtskräftig zu Freiheitsstrafen verurteilt worden sind.

Die Bank setzte für ihre Verfassungsbeschwerde juristische "Schwergewichte" ein, um das BVerfG davon zu überzeugen, dass die Einziehungsentscheidung über den Cum-Ex-"Ertrag" gegen das allgemeine Verfassungsverbot für rückwirkende belastende Gesetze verstoße. Rechtlicher Ansatzpunkt für diese Rüge und damit für den Versuch, die umfangreichen finanziellen Erträge aus den Cum-Ex-Abenteuern zu behalten, war § 73e StGB. Dieser schließt die Einziehung von "Tat-Erträgen" aus, wenn der Anspruch des durch das Delikt Verletzten (im vorliegenden Fall ist das der Steuerfiskus) aus der Tat erloschen ist. Seit einer ab 29. Dezember 2020 geltenden Novellierung dieses Gesetzes bleibt die Einziehung aber weiter zulässig, wenn der Anspruch des Verletzten nur wegen Verjährung erloschen ist. Ergänzend dazu erlaubt die Übergangsvorschrift des Art. 316j EGStGB die Einziehung "in bestimmten Fällen" auch rückwirkend bei vor dem 29. Dezember 2020 liegenden deliktischen Taten. Dazu zählen auch schwere Fälle der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr.1 der Abgabenordnung (AO).

Die als strafbare Cum-Ex-Delikte geltenden Eigengeschäfte der Bank fanden von 2007 bis 2011 statt. Steuerrechtlich waren somit die bis 2009 entstandenen Ansprüche des insoweit "tat-verletzten" Fiskus "festsetzungsverjährt", aber aufgrund der Neufassung des § 73e StGB weiterhin strafrechtlich einziehungsfähig. Die späteren Ansprüche ab 2010 sind noch nicht verjährt. Auf dieser Grundlage hatte der BGH als Revisionsinstanz die Einziehungsentscheidung des erstinstanzlichen Landgerichts bestätigt und dazu festgestellt, dass die Übergangsvorschrift des Art. 316j EGStGB nicht gegen das Rückwirkungsverbot verstoße.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wandte die Warburg-Gruppe gegen die Einziehung vor allem ein, Art. 316j EGStGB verletze entgegen der BGH-Meinung das Rückwirkungsverbot aus Art. 14 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Es sei daher nicht zulässig, die zwar aus Cum-Ex-Geschäften deliktisch erlangten, aber steuerrechtlich festsetzungsverjährten Erträge einzuziehen. Das BVerfG lehnte die Annahme der Verfassungsbeschwerde mit Beschluss vom 7. April 2022 (Az. 2 BvR 2194/21) ab und stellte in einer umfangreichen Begründung fest, dass weder § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB noch Art. 316j Nr. 1 EGStGB gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen würden. Die mit der Beschwerde bekundete Erwartungshaltung der Betroffenen, dass sie das durch Straftaten erlangte Vermögen schlicht infolge Zeitablaufs und Verjährung sowie damit in Kraft tretenden Einziehungsverbots behalten könnten, sei rechtlich nicht schutzwürdig.

Das BVerfG stellte weiter fest, dass die echte Rückwirkung eines Gesetzes zwar grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig sei. Sie könne aber ausnahmsweise zulässig sein, wenn "überragende Belange des Gemeinwohls", die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen, eine rückwirkende Geltung erfordern würden. Das Rückwirkungsverbot habe nämlich im Grundsatz des Vertrauensschutzes "nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze". Der Gesetzgeber habe die legitime und wichtige Aufgabe sowie das Ziel, durch Steuerdelikte in großem Ausmaß eintretende, in die Gegenwart fortwirkende Störungen der Vermögensordnung zu beseitigen. Dieses Interesse der Allgemeinheit sei insoweit vorrangig gegenüber den Interessen eines Betroffenen, durch Steuerdelikte erworbene Vermögenswerte nach ihrer steuerrechtlichen Verjährung behalten zu dürfen. Man mag in dieser Aussage einen populistischen Unterton vermuten; er dürfte aber wegen der eindeutigen Beschränkung des "Vorrangs" auf Fälle "deliktisch erworbenen Vermögens" alsbald wieder verklingen. Auch spekulative Fragen zur steuerlichen "Festsetzungsverjährung" dürften mit der Entscheidung des BVerfG obsolet geworden sein.

Die in der Überschrift dieses Beitrags enthaltene Frage hat das BVerG mithin verneint. Ich bin der Meinung, dass man dem nicht nur für die "Cum-Ex-Fälle" zustimmen kann, sondern auch für andere Varianten und Versuche, strafbar und daher verwerflich erworbenes Vermögen vor der richterlichen Einziehung zu "retten". Überlegenswert wäre in diesem Kontext allerdings, eingezogene Gelder nicht einfach in der Justizkasse versickern zu lassen, sondern sie mit Verstand und Augenmaß irgendwie dem erwähnten "Gemeinwohl" zuzuführen. Aber das ist ein anderes Kapitel, das hier nicht vertieft werden soll.

Rechtsanwalt Dr. Claus Steiner, Wiesbaden

Dr. Claus Steiner , Rechtsanwalt, Wiesbaden
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