Wohnen im Quartier - integrierte Förderansätze als Antwort auf Herausforderungen

Erk Westermann-Lammers, Foto: Anna Leste-Matzen

Es ist eine zentrale Aufgabe von Kommunen, attraktiven Lebensraum zu schaffen. Die Sicherung gleicher Lebensverhältnisse für alle stellt im Spannungsfeld zwischen boomenden, jungen Universitäts- und Großstädten und zum Teil stark schrumpfenden und alternden eher ländlich geprägten Regionen einen politischen und gesellschaftlichen Kraftakt dar. Mit Blick auf die Klimakrise, Digitalisierung und aktuelle geopolitische Lage stellen sich die Fragen, wie Kommunen hier nachhaltig gegenwirken können und welche Unterstützung sie dabei brauchen. Förderbanken können mit den Bundes- und Länderprogrammen viel beitragen. Allerdings macht der Autor einen steigenden Bedarf an einer Weiterentwicklung der Förderpogramme aus, weg von dem klassischen Säulendenken für einen ganz bestimmten Bereich der Stadtentwicklung hin zu einem integrierten Ansatz, der all das zusammenführt. So können lebenswerte Städte geschaffen und Werte erhalten werden. (Red.)

Seit geraumer Zeit erleben wir angespannte Wohnungsmärkte in vielen Kernstädten. Für sozial benachteiligte, einkommensschwache Menschen wird es immer schwieriger, Wohnungen in zentraler Lage zu finden. Ihnen bleibt oftmals nur die Option, an die Ränder dieser Zentren oder sogar darüber hinaus auszuweichen. Für die Innenstädte bedeutet das unter anderem einen immer stärkeren Verlust an sozialer Heterogenität.

Ländliche und kleinstädtische Kommunen sind dagegen häufig mit dem Thema Leerstand konfrontiert. Vermeintlich alltägliche Infrastrukturen, wie der ortsgebundene Einzelhandel, Bildungs- und Kultureinrichtungen und Sportangebote schwinden und die Möglichkeiten zur Partizipation an der Öffentlichkeit werden geringer. Damit gehen in den betroffenen Kommunen wichtige identitätsstiftende Elemente verloren.

Stadtentwicklung fordert Kommunen stark

Daneben lassen sich weitere wesentliche Herausforderungen für Städte und Kommunen identifizieren. Mit einigen - wie der Klimakrise, wandelnden Mobilitätsgewohnheiten und der Digitalisierung - setzen wir uns bereits seit Jahren auseinander. Andere wirken sich erst seit jüngerer Zeit auf unsere Lebensumstände und Lebensräume aus. Darunter fällt beispielsweise die Corona-Pandemie, die den Digitalisierungsdruck noch einmal deutlich erhöht hat. Der grausame Krieg in der Ukraine führt uns zudem aktuell die Dringlichkeit der Transformation unserer Energieversorgung nachdrücklich vor Augen. Alle diese Faktoren haben Einfluss auf urbane wie ländliche Strukturen und verlangen Veränderungen.

Kommunen sind gefordert, diese Veränderungsprozesse zu gestalten und unter ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten gute Rahmenbedingungen für Bürgerinnen und Bürger zu schaffen. Es zeigt sich immer stärker, dass den gegenwärtigen Herausforderungen nicht mehr ohne Weiteres effizient auf gesamtstädtischer oder überörtlicher Ebene begegnet werden kann. Großformatige Masterpläne oder vereinheitlichte Lösungsansätze werden oft den spezifischen, örtlichen Gegebenheiten nicht gerecht. Auf der Ebene der einzelnen Wohneinheit oder eines Gebäudes lassen sich dagegen kaum Konzepte realisieren, die einen nachhaltigen Effekt in einem größeren städtebaulichen Zusammenhang haben.

Vor diesem Hintergrund gewinnt die Quartiersentwicklung an Bedeutung. Der Begriff Quartier findet traditionell überwiegend in Metropolen und Großstädten Anwendung. Er lässt sich aber auf ländlichere Siedlungsstrukturen übertragen, da er sich einer administrativen Definition entzieht. Ein Quartier ist kein Stadtoder Ortsteil, kein Bezirk und keine Stadt. Das Quartier ist nicht objektiv räumlich abgrenzbar, seine Definition ist eine sozialräumliche: Es bildet einen identifikationsstiftenden Ort, der ein raumbezogenes Verantwortungsbewusstsein der Bewohnerinnen und Bewohner erzeugen kann. Ein Quartier bietet die hinreichende Größe, um als ein komplexer Handlungs- und Planungsraum zu fungieren. Zugleich bleibt es übersichtlich genug, um lokalspezifische Strukturen und Besonderheiten zu (er-)kennen und in Planungs- und Entwicklungsprozessen zu berücksichtigen.

Quartier als Handlungsebene der Stadtentwicklung

Die Überschaubarkeit und Kleinteiligkeit des Quartiers ermöglicht einen klaren Blick auf die Ursachen bestimmter Entwicklungen wie auch zielgerichtete, lokalspezifische Lösungen. Das Expertenwissen liegt dabei potenziell auch bei den Bewohnerinnen und Bewohnern des Quartiers. Aus der räumlichen Betroffenheit heraus können sie gezielt eingebunden werden und sich mit ihrem Wissen an Entwicklungsprozessen beteiligen. Das gelingt immer dann gut, wenn positive Effekte des Engagements unmittelbar erfahrbar werden. Damit bietet sich das Quartier als Handlungsebene der Stadtentwicklung an. Diese Überlegung fließt in unsere Förderprogramme ein.

Seit über fünfzig Jahren unterstützen die Bundesprogramme der Städtebauförderung Kommunen bei integrierten Stadtentwicklungsmaßnahmen mit dem Ziel der nachhaltigen Stärkung von Wohn- und Wirtschaftsstandorten. Städtebauförderung ist ein zentraler Hebel der Kommunen, städtebauliche Zusammenhänge umfassend und integriert im Sinne der Allgemeinheit zu entwickeln und zu stärken. Doch sie ist oft an Bedingungen geknüpft, die nicht ohne Weiteres und nicht durch alle Kommunen erfüllt werden können. Darüber hinaus umfasst der Planungs- und Umsetzungsprozess in der Regel 15 Jahre oder mehr.

Förderprogramme integriert denken

Der hohe Veränderungsdruck erfordert nun darüber hinaus Förderinstrumente, die

  • für alle Kommunen prinzipiell niedrigschwellig zugänglich sind,
     
  • wenig bürokratischen Aufwand erzeugen und gleichzeitig
     
  • bestehende Problemlagen und Fragestellungen integriert adressieren.

Die Struktur vieler Förderprogramme ist seit Jahrzehnten durch eine starke "Versäulung" geprägt: Sie fördern einen ganz bestimmten Bereich der Stadtentwicklung wie Tief- und Hochbaumaßnahmen oder sind auf einzelne Immobilien ausgerichtet, zum Beispiel um Gründächer zu bauen. Daneben bestehen Programme zur Förderung von Kulturangeboten, Sporteinrichtungen oder Bildung. Jedes dieser Programme bietet einen Nutzen mit Bezug auf die jeweilige Maßnahme, das betreffende Gebäude oder den geförderten Aspekt.

Im Sinne einer integrierten Quartiersentwicklung führen Förderinstrumente die einzelnen Säulen zusammen und verzahnen sie intelligent. Die multiplen Herausforderungen im Quartier werden (lokalspezifisch) in ihrer Gesamtheit betrachtet ebenso wie die Lösungsansätze in ihrer Gesamtwirkung. Dabei ist ein wesentliches Ziel integrierter Quartiersentwicklung die bedarfsorientierte Weiterentwicklung bestehender Strukturen sowie deren Erneuerung. Dies geht in der Regel mit energetischen Sanierungsmaßnahmen im Quartier einher. Neben der Stärkung des Quartiers als baulichen und gesellschaftlichen Zusammenhang ist dabei immer auch ein ganz zentrales An liegen, die Werterhaltung der Bestandsimmobilien sicherzustellen. Daneben zielen Quartiersansätze darauf ab, das Quartier durch bauliche Maßnahmen wie Abriss und Neubau, Nachverdichtungsmaßnahmen - also beispielsweise durch Baulückenschluss oder Aufstockung bestehender Gebäude - an geeigneten Stellen wohnbaulich maßvoll weiterzuentwickeln.

Förderung der Quartiersentwicklung in Schleswig-Holstein

Integrierte Quartiersansätze fußen auf dem Leitbild der nutzungsgemischten Stadt der kurzen Wege. Dieser Ansatz der kompakten Stadt bildet sich auch in der Neuen Leipzig Charta von 2020 ab, dem gerade erst von den europäischen Ministerinnen und Minister für Stadtentwicklung verabschiedeten zentralen Leitbild für gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung in Europa. Auch die Neue Leipzig Charta nimmt dabei das Quartier als zentrale räumliche Bezugsgröße auf und betont die Wichtigkeit der Förderung integrierter Stadtentwicklung durch die Europäische Union.

Wir sehen im Kontext nachhaltiger Quartiersentwicklung unsere Aufgaben als Förderbank vielfältig verteilt. Neben der klassischen Prüfung und Bewilligung der Förderanträge ist es eine ganz zentrale Rolle des Institutes, Kommunen bei angestrebten Planungen bestehende Fördermöglichkeiten darzulegen und gemeinsam Strategien zur Anwendung dieser Programme zu entwickeln. Dabei ist neben der formalen Begleitung während des gesamten Antragsprozesses auch die fachliche Unterstützung während des planerischen Erarbeitungsprozesses förderfähiger Entwicklungskonzepte eine wichtige Aufgabe. Im Fokus der Beratungstätigkeit steht die intelligente Vernetzung von Förderung in einem integrierten Ansatz. Mit seinen "Wohnquartierslotsen" stellt sich die IB.SH der Herausforderung, für das jeweilige Projekt eine bestmögliche Entwicklungsstrategie unter Nutzung des Förderinstrumentariums aufzuzeigen. Hierbei fließen europäische Programme ein wie auch Bundes- und Landesprogramme.

Energetische Stadtsanierung im Quartier

Die IB.SH ist seit Mai 2020 Netzwerkpartner der europäischen Beratungsplattform European Investment Advisory Hub (EIAH) und seit Mai 2021 Durchführungspartner des EIAH für das Förderprogramm lokale Investitions- und Projektberatung. Mit dem Förderprogramm unterstützt sie Kommunen und öffentliche Projektträger in Schleswig-Holstein dabei, anspruchsvolle zukunftsorientierte Projekte vorzubereiten, wirtschaftlich und nachhaltig umzusetzen. Darunter fallen beispielsweise die Stadtentwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele der Europäischen Union und der Vereinten Nationen. Die erbrachten Beratungsleistungen sind für die Kommunen kostenfrei.

Einen Ansatz für integrierte Stadtentwicklung stellen die Quartierskonzepte im Rahmen des Förderprogramms "KfW 432 - Energetische Stadtsanierung" dar, die durch das Land Schleswig-Holstein kofinanziert werden. Die inhaltlichen Schwerpunkte liegen dabei in der Regel auf Fragen zur energetischen Nachhaltigkeit des Quartiers. Dabei geht es um die Sanierung des Gebäudebestandes, aber auch um die Frage, wie eine Energieversorgung mit erneuerbaren Energieträgern effektiv realisiert werden kann. Mit der klimaneutralen Strom- und Wärmeversorgung des Quartiers stehen weitere Nachhaltigkeitsthemen im Fokus. Insbesondere werden im Rahmen der Quartierskonzepte Nachverdichtungsmöglichkeiten identifiziert, um die klassische Baulücke wie auch nicht oder untergenutzte Grundstücke und Gebäude mit neuen Ideen zu aktivieren.

Beim Thema Mobilität geht es ebenfalls um nachhaltige Veränderungen im Quartier, etwa bei der ÖPNV-Anbindung oder durch Sharing-Konzepte. Mit der Einbindung kleinteiliger Grünstrukturen, die mit dem lokalen Wassermanagement verknüpft sind, sollen zukünftig zunehmende ex treme Wetterereignisse (also vor allem öfter und länger anhaltender Starkregen und extreme Hitzeperioden) lokal abgemildert werden. Neben den ökologischen werden denkmalpflegerische, baukulturelle, naturschutzfachliche, wohnungswirtschaftliche, demografische und soziale Aspekte im Quartier in die Planungen einbezogen.

Wohn- und Baukultur im Quartier fördern

Einen besonderen Förderansatz für integrierte Quartiersentwicklung bietet zudem das Landesprogramm "Neue Perspektive Wohnen". Es bietet Kommunen finanzielle Unterstützung bei der Planung kompakter, nutzungsgemischter und nachhaltiger Quartiere. Die Besonderheit des Programms liegt darin, dass sich das Land Schleswig-Holstein im Rahmen eines integrierten Förderprogramms aktiv mit baukulturellen, denkmalfachlichen und insgesamt lokalspezifischen Qualitäten auseinandersetzt.

Damit entstehen Anreize für architektonische, stadt- und freiraumplanerische Ästhetik im Kontext nachhaltiger Stadtentwicklung. Entscheidungsgrundlagen für die Förderung sind unter anderem möglichst nachhaltige Bautypologien, also die prinzipielle Abkehr vom dominierenden Einfamilienhaus mit hohem Flächenverbrauch und die Zuwendung zu architektonisch qualitätvollen Mehrfamilienhäusern, ein nachhaltiger Stadtgrundriss, eine postfossile Energieversorgung, nachhaltige Mobilitätskonzepte und das ortsnahe Angebot von Gütern und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs. Neu entstehende Quartiere sollen in bestehende Siedlungsstrukturen schlüssig eingebunden werden. Kommunen können im Zuge von Planungswettbewerben eine Förderung erhalten ebenso wie für den Prozess der Bauleitplanung, hierfür benötigte Gutachten und juristische Beratungsleistungen für die Erarbeitung städtebaulicher Verträge.

Gesellschaftlicher Mehrwert der integrierten Quartiersentwicklung

Die öffentliche Förderung bietet Kommunen bei ihren Aufgaben der hoheitlichen Stadtplanung durch größere finanzielle Kapazitäten größere Frei heitsgrade. Zusätzliche ökonomische Ressourcen in Form öffentlicher Fördergelder und fundiertes Fachwissen in den Planungsämtern und qualifizierten Planungsbüros, die über eine nachhaltige, integrierte Quartiersentwicklung zusammenwirken, bieten ideale Voraussetzungen für transformative Planungsansätze und deren Umsetzung. Bei allen Quartiersansätzen werden strategische Ansätze nicht topdown erarbeitet. Die Bewohnerinnen und Bewohner sind ebenso wie das örtliche Gewerbe und gemeinnützige Akteure in Planungs- und Entscheidungsprozesse eingebunden.

Die anstehenden Herausforderungen für Kommunen bei der Stadtentwicklung sind vielfältig. Doch für alle Kommunen bieten die anstehenden Transformationsprozesse auch die Chance, mit integriert gedachten Planungsansätzen städtebauliche Strukturen zielgerichtet zu erneuern und umzubauen. Bewohnerinnen und Bewohnern erfahren dann ihr Quartier weiterhin oder vielleicht auch wieder als einen attraktiven Lebensraum, Unternehmen als attraktiven Wirtschaftsraum. Förderbanken unterstützen bei der integrierten Stadtentwicklung mit einer zielgerichteten Beratung und Förderprodukten.

Erk Westermann-Lammers , Vorsitzender des Vorstands , Investitionsbank Schleswig-Holstein (IB.SH), Kiel
Noch keine Bewertungen vorhanden


X