Sustainable Finance - mehr Schein als Sein?

Dr. Henry Schäfer, Foto: H. Schäfer

Die Ampelkoalition will Deutschland zum führenden Standort nachhaltiger Finanzierung machen. Doch das Thema Sustainable Finance und vor allem die Art, wie es angegangen wird, bietet auch viel Raum für Kritik. Schäfer sieht den Finanzsektor dadurch in einer umfassenden Instrumentalisierung für staatliche Industriepolitik. Er weist zudem auf Belege hin, die darauf hinweisen, dass Privatanleger nicht in nachhaltige Anlagen investieren, keine Kenntnisse hätten und auch gar nicht nachhaltig investieren wollten. Ein weiteres Problem sieht der Autor darin, dass mit der zunehmenden "grünen Welle" die Gefahr eines Greenwashings wachse. Er diskutiert weiterhin die Frage, wie sich nachhaltiges Investieren auf die Performance der Anlageprodukte auswirkt. Schäfer sieht das politische verordnete Sustainable Finance derzeit verworren und widersprüchlich. Am Ende des Beitrags präsentiert er jedoch auch Ideen, wie es besser gemacht werden könnte. (Red.)

Wie aus dem Koalitionsvertrag für den 20. Deutschen Bundestag hervorgeht, will die sogenannte "Ampelkoalition" "Deutschland zum führenden Standort nachhaltiger Finanzierung machen" und sich "dabei am Leitbild der Finanzstabilität orientieren"1) . Damit wird die "Deutsche Strategie für Nachhaltige Finanzierung (Sustainable Finance)" der vorherigen Bundesregierung vom Mai vergangenen Jahres fortgeführt und ein Schulterschluss mit den EU-Vorschriften zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit als zentrale Leitmotive für die Finanzwirtschaft im Rahmen des sogenannten Green Deal der EU-Kommission geleistet. Nicht nur Anbieter von Finanz- und Versicherungsprodukten, sondern der gesamte deutsche Finanzmarkt befinden sich nach Jahren "grüner Lethargie" spätestens seit Inkrafttreten der EU-Offenlegungsverordnung (Sustainable Finance Disclosure Regulation, SFDR) im März 2021 in Aufruhr.

Finanzsektor instrumentalisiert für staatliche Industriepolitik

Nicht minder aufregend sind die durch die Brüsseler Aktivitäten ausgelösten ergänzenden Vorschläge und Maßnahmen von nationalen und supranationalen Einrichtungen mit Regulierungsrelevanz zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken.2) Der Finanzsektor befindet sich dadurch unversehens in einer umfassenden Instrumentalisierung für die staatliche Industriepolitik.3) Es scheint nach den regulatorischen Wellen rund um nachhaltige Finanzen angebracht, eine Art Zwischenfazit zu ziehen.

Eines der zentralen Leitmotive des Brüsseler Regelwerkes und der Befürworter von nachhaltigen Finanzen ist die Hypothese, dass Privathaushalte Klimawandel, Menschen- und Arbeitsrechteverfehlungen sowie andere Verletzungen der Sustainable Development Goals (SDGs) als solche erkennen und ihr eigenes wirtschaftliches und soziales Verhalten entsprechend ändern (wollen). Im Besonderen wird unterstellt, dass Menschen bereit sind, ihre Anlage- und Risikoschutzentscheidungen an ESG-Faktoren, also Umwelt, Soziales und guter Unternehmensführung, freiwillig auszurichten. Tatsächlich gibt es aber immer mehr Studien, die eine generelle schwindende Bereitschaft von Menschen zu nachhaltigem Verhalten im Alltag aufdecken.4) Nicht verwunderlich ist daher, dass es ebenfalls vermehrt Belege dafür gibt, dass Privatanleger nicht in nachhaltige Anlagen investieren, darüber keine Kenntnisse haben und ein erheblicher Teil gar nicht nachhaltig Geld anlegen will.5) Indizien gibt es auch dafür, dass bei durchaus vorhandener grüner Anlagebereitschaft Sicherheit, Rendite und Liquidität die grünen Faktoren dominieren.6)

Oftmals wird argumentiert, solche Ergebnisse seien nur das Spiegelbild eines noch nicht aufgeklärten, aber im Grundsatz grün-affinen Anlegers. Verbraucherschutzorganisationen empfehlen stereotyp als Rezept zur Herstellung grüner Anlegersouveränität den Abbau von Informationsasymmetrien und fordern umfassende grüne Produkttransparenz. Unterstellt wird ein rational handelnder Anleger, dem verbrauchschutzpolitisch mit auf Fakten basierten Informationen bei der grünen Anlageentscheidung auf die Sprünge geholfen werden soll. Der Standardrezeptur für den "aufgeklärten Anleger" folgte auch die EU-Kommission, indem sie reflex artig Vorschriften wie MiFID II, IDD und andere mehr mit ESG-Ingredienzen anreicherte.

Ökologische Topunternehmen oftmals nicht investierbar

Informationsdefizite dürften aber in den meisten konkreten alltäglichen Anlage- und Versicherungssituationen nicht so sehr das Problem darstellen. Die meisten Privatpersonen leiden weniger an Informations- als an Wissensdefiziten und zwar schon bezüglich ihrer eigenen Finanz- und Risikosituation, den passenden Finanz- und Versicherungslösungen sowie den passgenauen Produkten und reputierlichen Anbietern.7) Da Verbraucherschutzpolitik bislang kaum auf die Schließung von Wissenslücken ausgerichtet ist, dürfte die Flut neuer Nachhaltigkeitsinformationen bei vielen Privat haushalten nur deren Information Overflow und ihre Anfälligkeit gegenüber einer Bounded Rationality verstärken: Menschenrechtsverletzungen, Kriegswaffenproduktion et cetera entfachen in vielen Menschen oftmals Emotionen, die sich nicht unbedingt von Anlageentscheidungen fernhalten lassen und eine gebotene nüchterne Anlageentscheidung verzerren können. Die verhaltenswissenschaftliche Kapitalmarkttheorie hat hierfür eine Fülle von Erklärungsansätzen parat, von denen soziale Infektionen, Herdeneffekte und Home Biases nicht rationale Entscheidungen bei grünen Anlagen besonders gut nachweisen können.8)

Eine weitere Schwierigkeit kann sich bei grünen Anlageentscheidungen im Bereich investierbarer Unternehmen auftun: Der Mismatch zwischen der Wahrnehmung, dessen, was "gute Unternehmen" auszeichnet und der Praxis des investierbaren Produktangebotes. Durch Awards ausgezeichnete "gute" und als Anlagen präferierte Unternehmen wie zum Beispiel der Öko-Textilversandhändler Hess Natur oder der Freizeitbekleidungsanbieter Vau-De sind nicht an der Börse notiert oder in fester Eigentümerhand. Dagegen finden sich in der Breite der angebotenen ESG-Investmentfonds häufig Wertpapiere von Unternehmen wie Samsung, Microsoft, Alphabet9) - Unternehmen, die bei Kleinanlegern meist durch Kontroversen wie das Ausschöpfen von Steueroasen, fragwürdigen Umgang mit Personendaten und anderem mehr eher auf Abneigung stoßen.

Wie durch ein ausgeklügeltes ESG-Rating solche Unternehmen auf Scoring-Werte kommen, die sie dann in die Liga der Sustainable Leader eines ESG-Ratings befördern und von da aus in ESG-Investmentfonds, ist vom durchschnittlichen Anleger oft kaum zu durchschauen - und stellt darüber hinaus ein ernsthaftes Transparenzproblem dar, das aktuell durch die Kontroversen um MSCI ESG-Ratings illustriert wird.10) Da helfen auch die Brüsseler Hoffnungsträger wie Labels und Zertifizierungen wahrscheinlich nur bedingt, da sie das Informationsdefizit des Anlegers im Produktbereich nur durch den Mangel an Kenntnis über den Zertifizierer austauschen dürften. Eher könnte einem Anleger geholfen sein, wenn die EU-Taxonomie beziehungsweise die sie ergänzende EU-Nachhaltigkeitsplattform einmal vollendet ist. Problem ist dann aber, dass par ordre du mufti entschieden wird, welche Unternehmen "grün" und welche "braun" sind - unabhängig vom individuellen Nachhaltigkeitsgeschmack beziehungsweise ethischen Einstellung von Anlegern. Sustainable Finance in der Vorstellung von EU-Gremien kann faktisch wie eine ethische Bevormundung wirken und stünde konträr zu einem wichtigen Kennzeichen demokratischer Systeme - dem mündigen "Citoyen" (auch in Sachen Nachhaltigkeit). Dadurch können bei Anle gern Irritationen über vermeintlich grüne Anlagen entstehen, wie eine EU-Entscheidung um Atomkraft als mögliche "grüne Technologie" demnächst zeigen könnte.11)

Vermehrte Anzeichen für Greenwashing in ESG-Fonds

Mit der durch EU-Kommission und -Parlament ausgelösten "grünen Welle" gibt es aktuell vermehrt Anzeichen dafür, dass ESG-Fonds einem Greenwashing unterliegen können, also positive Nachhaltigkeitseffekte auf Umwelt und Soziales versprechen, es aber nicht halten können oder wollen.12) So listet der internationale Verband der Wertpapieraufsichtsbehörden (IOSCO) eine Fülle von Greenwashing-Fällen auf, wodurch Befürchtungen über eine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit von grünen Geldanlagen weiter Nahrung erhalten.13) Gerade bezüglich konkreter Nachhaltigkeitswirkungen können ESG-Fonds in der Regel zwar ein Versprechen abgeben, es aber oft nicht einlösen, da ihnen dazu die konkrete Handlungsmacht zur Umstrukturierung von Produktionspotenzialen in der Realwirtschaft und zu Verhaltensänderungen im Konsum fehlt.

Um Irrführungen bei ESG-Produktangeboten zu verhindern, hat kürzlich die BaFin14) eine "Empfehlung" veröffentlicht, wonach als ESG-Investmentfonds nur solche bezeichnet werden dürfen, bei denen der Anteil an nachhaltigen Wertpapieren mindestens 75 Prozent (vormals 90 Prozent!) ausmacht, und hat damit die Vorschriften des Artikel 9 der EU-SFDR verschärft. Ein solches "deutsches Reinheitsgebot" engt nicht nur das Anlageuniversum von Artikel-9-Fonds enorm ein, sondern gefährdet das Diversifikationspotenzial und beeinträchtigt das Risikomanagement.

"Akademische Konfusion" bei zugrunde liegenden Studien

Ein weiterer zentraler Eckpfeiler des Gebäudes nachhaltiger Finanzen ist deren proklamierte marktgerechte finanzielle Performance. Kaum bekannt sein dürfte, dass hierzu bereits Mitte der 1970er Jahre die erste empirische Studie des US- Investmentbankers Moskovitz erschien und mittlerweile hunderte empirischer Studien unterschiedlichster Machart und Ergebnisse vorliegen. Um hier den Durch- und Überblick zu behalten, sind ebenfalls über die Jahre mehrere Metastudien erschienen.15) Bislang gilt die Faustregel aus den Metastudien: nachhaltige Geldanlagen führen nicht zwangsweise zu einer finanziellen Underperformance, können also mit konventionellen Geldanlagen mithalten und manchmal gelingt den "Nachhaltigen" auch eine Outperformance. Die zugrunde liegenden Einzelstudien weisen jedoch eine "akademische Konfusion" auf, da sie höchst unterschiedlich im Hinblick auf Zeiträume, Performancemessung, Anlagestrategien, Benchmarks, empirische Methoden, Assetklassen et cetera sind. Zudem basieren sie selten auf konkreten rechtlichen, satzungsmäßigen und aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen vor allem bei institutionellen Investoren eine professionelle Kapitalanlage durchgeführt werden muss. Theoretische und laborhafte Performance-Studien nutzen allerdings kaum für konkrete praktische Orientierungen.

Oftmals bei solchen Performance-Studien unterbelichtete Einflussfaktoren sind die mit dem Management verbundenen Transaktionskosten (im weiteren Sinn). Die Auswahl nachhaltiger Anlagetitel für einen ESG-Fonds wie er bei den statistisch am häufigsten vorfindbaren Konzepten Best in Class, Ausschlusskriterien, normenbasiertes oder integriertes Investieren praktiziert wird, erfordert regelmäßige Überprüfungen der zulässigen Anlageuniversen auf die Einhaltung der ESG-Kriterien, Käufe und Verkäufe sowie Re-Allokationen im Fonds auf Titelebene. Die dafür erforderlichen extra-finanziellen Informationen werden zum Teil oder in Gänze von Drittanbietern wie ESG- Ratinganbietern erworben, oftmals angereichert mit internen Analysen und überprüft von Anlageausschüssen.

Hinzu kommt ein aufwendiges Reporting wie es zum Beispiel die SFDR verlangt. Schlagen sich bei liquiden Anlagetiteln in Nachhaltigkeitsfonds die damit verbundenen Transaktionskosten noch moderat nieder, so sind sie bei sogenannten Impact Investings, Themeninvestments und bei Engagement-Strategien signifikant. Impact Investing ist oft nur auf der Ebene eines oder weniger Anlagetitel beziehungsweise Projekte möglich und erfordert kostenträchtige technische und juristische Due Diligence. Engagement und kritische Stimmrechtsausübung als weitere Spielarten nachhaltiger Finanzen sind je nach Umsetzung ebenfalls mit Transaktionskosten verbunden, besonders wenn externe Dienstleister eingesetzt werden.

Ein relativ neuer Einflussfaktor auf die Performance ist das seit den Brüsseler Beschlüssen beobachtbare Overpricing grüner Geldanlagen, was durch das regulative Momentum entsteht. Der dadurch ausgelöste massive Nachfrageüberhang hat zum Beispiel bei Green und Climate Bonds zu erheblichen Überzeichnungen geführt und durch ein sogenanntes "Greenium" ein Absenken der Kapitalkosten für die Emittenten verursacht und bei Anlegern zu Renditerückgängen geführt.16) Bei ESG-Fonds kann es zudem tendenziell zu Überbewertungen kommen, wenn ein auf Nachhaltigkeit ausgerichtetes Fondsmanagement weniger stark auf negative finanzielle Bewertungssignale achtet. Dieser Sustainability Bias kann dazu führen, dass die Anlagentitel in ESG-Fonds höher als tatsächlich fundamental gerechtfertigt bewertet werden und damit einen Fonds insgesamt überbewerten.17)

Finanzielle Performance zunehmend unter Druck

Wenn sich die Renditen aufgrund des Trends hin zu grünen Geldanlagen eher abschwächen, wie verhält es sich dann mit dem Risikoteil einer Performancemessung? Im Jahr 2020 befanden sich in Deutschland in den vom Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG) erfassten 335,3 Milliarden Euro an nachhaltigen Fonds und Mandaten gut 80 Prozent an konventionellen Anlagen, die einer zusätzlichen Überprüfung auf gängige ESG- verwandte Risiken unterliegen.18) Meist geht es dabei um Klima- und Reputationsrisiken. Ihre Analyse und Quantifizierung sollen den üblichen auf Varianz- Kovarianz bezogenen Portfoliorisiken eine höhere Qualität verleihen. Es scheint so, dass die als schwarze oder neuerdings grüne Schwäne bezeichneten systemischen Risiken in um ESG-Techniken angereicherte Portfolios abgefedert werden könnten. Im Vormarsch sind Methoden zur Erkennung von klimabedingten physischen und regulatorischen Risiken so wie Stresstests zur Erkennung und Vermeidung von sogenannten "Stranded Assets". In der Tat sind solche Risikostrukturen bislang kaum durch die übliche Risikoarithmetik, die der Normalverteilungsannahme folgt, erfassbar und machen eine "Modernisierung" klassischer Risikoerfassungs- und -managementsysteme in allen Branchen und Wertschöpfungsmodellen ohnehin unumgänglich - so auch im Finanzbereich.

Wenn also die finanzielle Performance grüner Geldanlagen gegenüber konventionellen Anlagen zunehmend unter Druck zu geraten scheint, erzielen dann wenigstens ESG-Fonds und Verwandte positive Nachhaltigkeitswirkungen in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft, so wie es in den Sustainable Development Goals dekliniert ist und wie es das Paris Alignment im Klimabereich verlangt? Die Beantwortung dieser Frage berührt einen zentralen Kern heutiger finanzwirtschaftlicher Nachhaltigkeitsregulatorik: die doppelte Materialität. Die politische und regulative Relevanz gerade der Brüsseler Beschlüsse ist beim Outbound-Effekt zu finden. Hierzu kursiert seit einiger Zeit der englische Begriff "Impact" und befindet sich auf dem besten Weg ebenso populär und sinnentstellt zu werden wie mittlerweile der Begriff "Nachhaltigkeit". Ursprünglich wurde mit Impact Investing eine besondere Spielart nachhaltiger Geldanlagen bezeichnet, wie sie vor allem der Mikrofinanz zu eigen ist.

Bandbreite der grünen Finanzierungen gewachsen

Charakteristisch ist bei der Ur-Tinktur des Impact Investing der Projektbezug, dem ein Nexus an Verträgen zwischen verschiedenen involvierten Parteien arbeitsteilig zugrunde liegt und anderes mehr.19) Mittlerweile haben es einige grüne Anlageprodukte geschafft, Koppelungen zwischen Nachhaltigkeits- und Finanzperformance herzustellen, wie es bei sogenannten ESG-linked-Instruments der Fall ist. Die von internationalen privaten Vereinigungen entwickelten Green Bond und Green Loan Principles sollen, unterstützt vom EU Green Bond Standard, sicher stellen, dass die Mittelverwendungen auch die versprochenen positiven Auswirkungen auf Umwelt beziehungsweise Soziales erzeugen. Ob damit aber ausreichend hohe Ambitionsniveaus zur Erzielung vor allem der hochgesteckten Klimaschutzziele erreicht werden, bleibt abzuwarten.

Die Bandbreite der am Markt beobachtbaren grünen Finanzierungen ist mittlerweile erheblich gewachsen, ebenso die "Alltagsprodukte" nachhaltiger Geldanlagen wie ESG-Fonds, ESG-ETFs, ESG- Spezialfonds oder entsprechend ausgerichtete Verwaltungsmandate, die eine Re-Allokation von Kapital hin zu einer nachhaltigen Wertschöpfung in Unternehmen, zu klimafreundlichem privaten und staatlichen Konsum und technologisch innovative Realinvestitionen für die grüne Mitigation und Adaption versprechen. Ob der Anspruch grüner Geldanlagen, effektiver als konventionelle Geldanlagen einen Capital Allocation Effect hin zu mehr Nachhaltigkeit zu erzielen, überhaupt wissenschaftlich fundiert ist, ist nach wie vor zweifelhaft. Eine aktuelle Studie im Auftrag von Greenpeace und anderen bezweifelt einen grünen Impact der untersuchten schweizerischen und luxemburgischen ESG-Investmentfonds.20) Bereits eine theoretische Analyse zeigt, wie komplex, schwerfällig und im (gewünschten) Wirkungsergebnis wenig effizient steuerbar Anlagen nach dem Best-in-Class-Prinzip, mittels Ausschlusskriterien und im normenbasierten Investieren sein dürften.

Verhaltensänderungen von Unternehmen im Kontext von Sustainable Finance basieren nach wie vor auf finanzwirtschaftlichen Kalkülen. Im Zentrum stehen dabei die Kapitalkosten. Ob diese bei nichtnachhaltigem Wirtschaften für "braune Unternehmen" wirklich durch grüne Geldanlagen merklich erhöht werden und zu einer nachhaltigeren Geschäftspolitik führen, ist bislang kaum fundiert zu beantworten. So wirken sich Käufe von "guten" und Verkäufe von "schlechten" Wertpapieremittenten auf dem Sekundärmarkt aus, was aber keine Veränderung der Kapitalkosten, sondern nur eine Umverteilung von Wertpapiereigentum zur Folge hat. Kapitalkostenveränderungen würden, wenn überhaupt, im Primärmarkt auftreten, wenn Neuemissionen durch Kapitalerhöhungen für Umweltsünder zu verschlechterten und für Sustainability Leader zu günstigeren Finanzierungskonditionen erfolgen.21) Aber selbst prominent als nicht nachhaltig eingestufte Wertpapieremittenten wie die arabische Ölgesellschaft ARAMCO vermochten 2019 beim "größten Börsengang aller Zeiten" ein passables Emissionsergebnis zu erzielen - allen No-Fossil- Initiativen zum Trotz.

Kaum belastbare Belege für Nachhaltigkeitswirkung

Nach Berechnungen des Economist22) entfällt ohnehin nur circa ein Viertel der weltweit industriell verursachten Treibhausgasemissionen auf börsennotierte Unternehmen. Das Potenzial, durch grüne Anlagestrategien Schadstoffemissionen zu senken, dürfte daher weit überschätzt werden. Studien wie die von Wilkens/Klein (2021) und Krahnen et al. (2021) nähren denn auch Zweifel an einem effektiven Impact von nachhaltigen Finanzen. Vor allem die statistisch am häufigsten verbreitete grüne Anlagestrategie mittels Ausschlusskriterien dürfte nur geringfügigen Impact auf das Unternehmensverhalten haben. Ungeachtet der Studienergebnisse kann es im Extrem sogar dazu führen, dass Sustainable Finance zu Fehlallokationen von Kapital führt, falls weiterhin keine belastbaren Belege für deren Lösung von Umwelt- und Sozialproblemen verfügbar sind. Darüber hinaus können unbelegte Hoffnungen auf den Impact grüner Anlagen dazu führen, dass dringendere und effizientere staatliche Maßnahmen und private Verhaltensänderungen zur Drosselung des Klimawandels gebremst, nicht rechtzeitig oder unzureichend angegangen wer den. Es ist kaum nachvollziehbar, dass die so einschneidenden Sustainable-Finance- Regulierungsmaßnahmen politisch unter anderem mit positiven Nachhaltigkeitswirkungen begründet werden, doch dafür bislang kaum belastbare Belege vorgelegt werden können.

Politisch verordnete Sustainable Finance in der EU scheint derzeit verworren, widersprüchlich und unausgegoren. Dies mag daran liegen, dass kaum jemals zuvor in der kurzen Geschichte des nachhaltigen oder ethischen Investierens ein derartiges Aufgebot an Regulatorik und aufsichtsrechtlich ergänzenden Bestimmungen in die Welt gesetzt wurde wie in den vergangenen gut zwei Jahren. Ein Ende dieser Regulierungswelle ist zudem nicht absehbar. Nun ist der Sustainable- Finance-Zug von Brüssel aus aufgegleist und wird nicht einfach im Nirwana verschwinden. Die Frage ist, welche Korrekturen, Adjustierungen und Neuorientierungen könnten seine Wegstrecke und Fahrtziele verbessern helfen? Einige Ideen dazu werden nachfolgend skizziert:

Die weithin bekannten Instrumente zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen wie das EU-Emissionshandelssystem und anderes mehr und nicht Sustainable Finance sollten wirtschaftspolitisch priorisiert werden.

  • Privathaushalte sollten zuvorderst mit ihrem Konsumverhalten zum Beitrag für die Klimaschutzziele und zum Abbau von Einwänden gegenüber grünen Realinvestitionen angehalten werden.
  • Institutionelle Investoren sollten Nachhaltigkeit primär als intra- und inter generative Nachhaltigkeit in ihrem unmittelbaren Verantwortungsbereich praktizieren. Bei Altersversorgungseinrichtungen etwa sollte der Fokus auf der Sicherung der finanziellen Nachhaltigkeit der Versorgungsempfänger und Beitragszahler liegen und nicht auf der "Rettung der Welt".
  • Regulierungsbehörden und Politik sollten im Finanzsektor nicht einseitig auf die Gefahren des Klimawandels kaprizieren. Der Finanzsektor ist mit weiteren, nicht minder dramatischen Herausforderungen durch systemische Risiken wie Cyber-Crime, Pandemien et cetera konfrontiert.

Zum Schluss sei all jenen, denen das Ergrünen des Finanzsektors nicht geheuer ist, das "Tagebuch des grünen Investors" des Investmentbankers Tariq Fancy (2021) empfohlen - der Finanzkapitalismus lässt grüßen.

Fußnoten

1) o.V. 2021, S. 170

2) vgl. z. B. EIOPA 2021

3) vgl. Schäfer 2021a

4) vgl. z. B. Wilts/Ferke 2020, S. 21 ff. und Schnetzer/ Hurrelmann 2021

5) vgl. z. B. GDV 2019

6) vgl. beispielsweise Deutsches Institut für Altersvorsorge 2020

7) vgl. Mayer 2018

8) vgl. Eckert 2018, S. 84 ff.

9) vgl. Morningstar 2021, S. 24-26

10) vgl. Simpson et al. 2021

11) vgl. Eckhard 2021, S. 8

12) vgl. Schäfer 2021

13) vgl. IOSCO 2021, S. 11 ff.

14) BaFin 2021, S. 4

15) zum Beispiel aktuell Atz et al. 2021

16) vgl. Dorfleitner et al. 2021

17) vgl. Bofinger et al., 2021

18) sogenannte ESG-Integration, vgl. FNG 2021, S. 10

19) vgl. Schäfer/Bauer 2014

20) vgl. Schwegler et al. 2021

21) vgl. Schäfer 2014

22) o.V. 2020

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Dr. Henry Schäfer , Professor a. D. , Universität Stuttgart
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