Stärken wir den europäischen Finanzbinnenmarkt, stärken wir Europa

Eckhard Forst, Foto: NRW.BANK/Christian Lord Otto

Die globalen Herausforderungen wie Handelsfragen, Migration und Klimaschutz können nur mit einem starken Europa bewältigt werden. Davon ist Eckhard Forst überzeugt. Als Voraussetzung dafür sieht er eine starke Volkwirtschaft in Europa, die auch auf starken Banken in Europa basiere. Vor allem im Wettbewerb mit China und den USA brauchen diese daher den EU-Finanzbinnenmarkt. Allerdings ist es nach Ansicht des Autors dafür nötig, die vielen verschiedenen Maßnahmen besser aufeinander abzustimmen. Er mahnt auch, dass die Banken in Europa nicht zu sehr mit weiteren regulatorischen Maßnahmen belastet werden sollten, damit diese ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht verlieren, was am Ende auch der Realwirtschaft schaden würde. Bei der allgegenwärtigen Klimadiskussion weist Forst darauf hin, dass Ökologie und Ökonomie in einen Einklang gebracht werden sollten. Er ist zudem davon überzeugt, dass ein stärkerer Finanzbinnenmarkt auch ein stärkeres Europa bedeuten würde. (Red.)

Kurz vor der Europawahl im vergangenen Jahr erreichte die Zustimmung zur Europäischen Union ein Rekordhoch. 62 Prozent der EU-Bürgerinnen und -Bürger bewerteten die Mitgliedschaft ihres Landes in der EU positiv. Das ist der höchste Wert seit 25 Jahren. In Deutschland liegt er sogar bei 81 Prozent. Das hat das Europäische Parlament in einer Umfrage von September 2018 herausgefunden. Außerdem sind 68 Prozent aller EU-weit Befragten der Meinung, dass ihr Land von der Mitgliedschaft in der EU profitiert hat. Mit 76 Prozent liegt Deutschland auch hier über dem Durchschnitt.

Mit dieser Einschätzung liegen die Deutschen absolut richtig. Wir profitieren von einem starken Europa, das wirtschaftlich wie gemeinschaftlich zusammensteht. Fast zwei Drittel ihrer Produkte exportieren deutsche Unternehmen in die EU. Deutschland ist für fast alle EU-Staaten der wichtigste oder zweitwichtigste Exportmarkt. Innerhalb des europäischen Binnenmarkts nutzen bereits heute acht Millionen Bürger die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Gerade für den deutschen Mittelstand ist die Mobilität von Arbeitskräften essenziell, um seinen Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften zu decken.

Dass wir ein starkes Europa brauchen, zeigt sich auch an folgenden Zahlen: 1950 machten wir Europäer etwa 20 Prozent der Weltbevölkerung aus. Heute sind es nur noch 7 Prozent. Die Deutschen machen aktuell nur noch 1 Prozent der Weltbevölkerung aus, Tendenz weiter abnehmend. Wenn wir uns in einer globalisierten Welt behaupten wollen, wird uns das allein kaum gelingen. Als europäische Gemeinschaft hingegen können wir unseren Forderungen stärker Nachdruck verleihen. Globale Herausforderungen - egal ob Handelsfragen, Migration, Klimaschutz oder Digitalisierung - werden wir nur zusammen erfolgreich bewältigen.

Ein klares "Ja" zur Europäischen Union

Essenziell dafür ist eine starke europäische Volkswirtschaft - und die basiert auf starken, leistungsfähigen Banken, die nicht nur profitabel, sondern auch international konkurrenzfähig sind. Sie müssen ihren Bedarf noch stärker am Kunden ausrichten und passende Produkte sowie Dienstleistungen anbieten. Natürlich sind die Banken hier in erster Linie selbst in der Verantwortung, sowohl die richtigen Geschäftsmodelle zu entwickeln als auch für Veränderungen am Markt geeignete Lösungen zu finden. Banken müssen sich selbst verändern, anstatt verändert zu werden. Damit das gelingt, brauchen wir faire Rahmenbedingungen.

Schauen wir uns im Vergleich die Ausgangssituation von chinesischen oder US-Banken an: Sie verfügen über einen großen gemeinsamen Binnenmarkt, mit einheitlichen Regeln und gleicher Rechtssetzung. Das fehlt uns in Europa. Es muss uns daher gelingen, einen starken, wettbewerbsfähigen sowie profitablen Heimatmarkt zu schaffen, der zu Recht den Namen "Europäischer Finanzbinnenmarkt" trägt. Nur ein geeintes Europa mit einem starken, wettbewerbsfähigen und profitablen Binnenmarkt findet in der Welt das notwendige Gehör.

Die langfristige Herausforderung liegt nun darin, die verschiedenen Maßnahmen auf europäischer wie nationaler Ebene sinnvoll aufeinander abzustimmen, zu konsolidieren und Inkonsistenzen zu beseitigen. Gesetzgeber wie Aufsicht sollten dabei Mut zur Veränderung beweisen.

Es war absolut notwendig, dass wir aus der Finanzkrise Schlüsse gezogen haben. Aber in den vergangenen zwölf Jahren haben wir viel erreicht. Die Kreditwirtschaft ist heute wesentlich stabiler aufgestellt. Nun dürfen uns die Erfahrungen der Vergangenheit nicht in der Zukunft limitieren, da wir sonst Gefahr laufen, durch Regeln und Verbote neue Ideen im Keim zu ersticken.

Bedeutung eines europäischen Finanzbinnenmarkts

Es ist an der Zeit, das bestehende System gründlich hinsichtlich der Funktions- und Wettbewerbsfähigkeit der Kreditwirtschaft zu prüfen. Der zentrale Gedanke ist dabei, Regulierung so auszugestalten, dass die Finanzmarktstabilität gewährleistet ist, die Banken in Europa aber konkurrenzfähig bleiben. Sie müssen die Möglichkeit haben, sowohl rentabel zu arbeiten als auch ihre Kapitalkosten zu verdienen. Dafür gilt es die europäische Bankenregulierung einmal genau anzusehen: Wo bestehen Widersprüche? Welche Regulierungskosten können gesenkt werden, um Kreditinstitute zu entlasten? Welche rechtlichen Anforderungen müssen erneuert, geändert oder abschafft werden? Welche Regeln dürfen vielleicht erst gar nicht in Kraft treten? Das wiederum führt mich zu Basel IV: Nach der Finanzkrise sollte das Regelwerk Basel III das Finanzsystem insgesamt widerstandsfähiger machen. Entsprechend wurden die Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen an Banken deutlich verschärft. Dazu gehörte vor allem die erhebliche Erhöhung der Kernkapitalanforderungen, die auch den Aufbau zusätzlicher Kapitalpuffer umfasste. Nach dem Abschluss dieser Maßnahmen widmete sich der Baseler Ausschuss den sogenannten "Abschlussarbeiten zu Basel III" - doch da diese immer umfangreicher wurden, nennt die Branche sie mittlerweile landläufig Basel IV.

Neue Bankenregeln dürfen Europa nicht schaden

Mit Basel IV sollen insbesondere die Methoden zur Berechnung der Eigenkapitalanforderungen für Kredit-, Markt- und operationelle Risiken überarbeitet werden. Dabei sollen zum einen die für diese Risikoarten zur Verfügung stehenden aufsichtsrechtlichen Standardansätze risikosensitiver ausgestaltet werden. Zum anderen soll für Banken, die zur Berechnung ihrer Kapitalanforderungen interne Modelle verwenden, ein sogenannter "Output-Floor" eingeführt werden, der die Eigenkapitalanforderungen auf mindestens 72,5 Prozent der Anforderungen nach den Standardansätzen anhebt.

Das neue Regelwerk soll ab 2022 gelten. Dafür muss es nun in EU-Recht überführt werden. Hierzu hat die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) auf Bitten der EU-Kommission in einem Bericht die Auswirkungen der neuen Regelungen ermittelt. Spätestens seit Veröffentlichung des Berichts im August 2019 ist bekannt, dass Basel IV bei einer Eins-zu-eins-Umsetzung die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Kreditwirtschaft zusätzlich belasten wird. Die Kapitalanforderungen für europäische Banken würden auf 24,4 Prozent, für deutsche Institute sogar auf rund 40 Prozent ansteigen. Zurück - zu führen ist das insbesondere auf den Output-Floor, der mit einem Plus von neun Prozent in Europa beziehungsweise 20 Prozent in Deutschland der stärkste Treiber der Kapitalerhöhung ist.

Dies schränkt den Spielraum der Banken in der Kreditvergabe enorm ein. Der VÖB hält es für sinnvoll, stärker mit Augenmaß vorzugehen und den europäischen Besonderheiten Rechnung zu tragen, um die deutschen wie europäischen Banken nicht überproportional zu belasten. Der Verband setzt sich deswegen dafür ein, dass der Output-Floor als "second backstop", das heißt als gesonderte Kapitalanforderung, in der EU umgesetzt wird.

Gleiches Geschäft, gleiches Risiko, gleiche Regeln

Basel IV zeigt exemplarisch, dass jede Regulierung einer Abwägung der damit verbundenen Nebenwirkungen bedarf: Denn wenn Regeln oder Verbote das Geschäftsmodell europäischer Banken einschränken, trifft das in letzter Konsequenz die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Realwirtschaft.

Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Digitalisierung, nachhaltiges Wirtschaften oder Klimaschutz keine Ländergrenzen kennen und immer mehr zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor werden. Dabei ist es Aufgabe der Kreditwirtschaft, die Finanzierung auch in diesen Bereichen zu sichern. Gerade den öffentlichen Banken kommt hier eine entscheidende Rolle zu, etwa in der Kommunal- und Infrastrukturfinanzierung sowie der Mittelstandsförderung.

Damit uns weder die USA noch China im Standortwettbewerb abhängen, brauchen wir daher auch hier einen europaweit einheitlich geregelten Markt. Wir dürfen nicht in Verboten denken, sondern müssen uns Lösungen überlegen, wie wir neue Leitindustrien aufbauen können.

Digitalen Wandel nicht erschweren

Bei der Klimadebatte dürfen wir wirtschaftliche Gesichtspunkte nicht außer Acht lassen. Das Ziel muss sein, Ökonomie und Ökologie in Einklang zu bringen. Klima- und Umweltschutz müssen sich betriebswirtschaftlich rechnen, dann werden sie für die Unternehmen nicht nur umsetzbar, sondern auch strategisch attraktiv. Dabei ist im Bereich grüner Investitionen anlagesuchendes Kapital mehr als genug vorhanden. Es mangelt nicht an Geld, sondern an den passenden grünen Investitionsprojekten. Eine EU-Taxonomie kann daher als Maßstab unterstützen, um einzuordnen, ob beziehungsweise inwieweit bestimmte Wirtschaftsaktivitäten ökologisch nachhaltig sind. Sie sollte aber weiterhin auf Freiwilligkeit beruhen, bestehende Marktinitiativen nicht konterkarieren und uns im globalen Wettbewerb bestehen lassen. Mit diesem Thema eine streitige Diskussion zwischen den Staaten auszulösen würde dem zuwiderlaufen.

Der Einsatz digitaler Innovationstechnologien wie Künstliche Intelligenz, Blockchain oder Cloud im Finanzsektor darf ebenfalls durch Regulierung nicht unnötig erschwert werden. Vielmehr müssen Gesetzgeber und Aufsicht ihren Teil dazu beitragen, innovative Geschäftsmodelle zu fördern beziehungsweise durch geeignete Rahmenbedingungen zu ermöglichen. Sie sollten deshalb darauf achten, dass sie einerseits praktikable, andererseits mit den gesetzlichen wie aufsichtsrechtlichen Anforderungen in Einklang stehende Lösungen unterstützen. Innovationsumgebungen sollten sie mit neuen Methoden bewerten, die den Einsatz von innovativen Technologien auch in Deutschland und Europa unkompliziert möglich machen. Vor allem aber sollten sie gemäß dem Regulierungsansatz "Gleiches Geschäft, gleiches Risiko, gleiche Regeln" einheitliche Wettbewerbsbedingungen schaffen. Denn jedes Unternehmen muss gleichermaßen die Möglichkeit haben, Neues auch unter Marktbedingungen auszutesten und umzusetzen. Unabhängig davon, ob es eine klassische Bank, ein Fintech oder Bigtech ist.

Stärkere Rolle Europas unabdingbar

Auf dem Weg zu einem echten europäischen Finanzbinnenmarkt haben wir noch einige Hürden zu nehmen. Aber die Anstrengung lohnt sich. Denn stärken wir den Finanzbinnenmarkt, stärken wir Europa. Und das ist, was wir brauchen: ein wirtschaftlich starkes Europa mit einem Angebot an Finanzprodukten, das über nationale Ländergrenzen hinausgeht und so auch ein politisch starkes Europa unterstützt. Um die Leistungsfähigkeit des europäischen Finanzmarkts zu stärken, muss das Ziel aller Bemühungen sein, einen schlanken, in sich logischen Rahmen für einen effizienten Finanzbinnenmarkt zu schaffen. Aufgabe der EU-Gesetzgeber und Regulatoren ist es, die Wirkung ihres Handelns auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit noch stärker im Blick zu haben. Dabei muss sichergestellt sein, dass die Besonderheiten des europäischen Finanzmarktes mit seinen verschiedenen Kreditinstituten ausreichend berücksichtigt werden, sodass gleiche Wettbewerbsbedingungen in der EU und innerhalb einzelner Mitgliedsstaaten gewährleistet werden. Insgesamt ist im Zeitalter der Globalisierung ein stärkerer, seiner Rolle angemessener Auftritt Europas unabdingbar.

Eckhard Forst Präsident, Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands, VÖB, e. V., Berlin
Eckhard Forst , Präsident, Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands, VÖB, e. V., Berlin
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