Bankenaufsicht

Plädoyer für eine qualitative Ausrichtung

Am 4. November 2014 hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Bankenaufsicht in der Euro-Zone übernommen. Viel wurde im Vorfeld darüber berichtet, welche möglichen Gefahren damit verbunden sein können, wenn Bankenaufsicht und Geldpolitik unter einem Dach angesiedelt sind. Letztlich hätte es für eine andere Lösung einer Änderung des EU-Vertrages bedurft. Ob beide Funktionen in ferner Zukunft von unabhängigen Institutionen ausgeübt werden, steht noch in den Sternen und wird auch davon abhängen, ob sich die gewählte Organisationsform in den kommenden Jahren bewährt.

Die vier neuen Generaldirektionen im Bereich der Bankenaufsicht werden sich in den nächsten Monaten ganz anderen Herausforderungen zu stellen haben. Zunächst gilt es, die spannende Aufgabe zu bewältigen, rund 1 000 neue Mitarbeiter aus verschiedenen Nationen und demzufolge mit sehr unterschiedlichen praktischen Erfahrungen auf eine einheitliche Philosophie in der laufenden Aufsicht einzuschwören. Werden die verschiedenen Sichtweisen sinnvoll kombiniert, so könnte eine faire, wirksame und allseits akzeptierte Bankenaufsicht entstehen.

Ein Kernelement der laufenden Aufsicht ist der bankaufsichtliche Überprüfungsprozess (Supervisory Review Process - SRP). Im Rahmen dieser sogenannten zweiten Säule gilt es, jene Risikobereiche zu untersuchen, für die es im Rahmen der sogenannten ersten Säule (noch) keine (hinreichenden) Anforderungen an die Mindestkapitalausstattung gibt. Der SRP besteht im Wesentlichen aus zwei Elementen, deren Anforderungen zum einen an die Institute und zum anderen unmittelbar an die Aufsicht gerichtet sind: Zunächst müssen die Institute über solide, wirksame und umfassende Strategien und Verfahren verfügen, mit denen sie die Höhe, die Arten und die Verteilung des internen Kapitals, das sie zur quantitativen und qualitativen Absicherung ihrer aktuellen und etwaigen künftigen Risiken für angemessen halten, kontinuierlich bewerten und auf einem ausreichend hohen Stand halten können (Internal Capital Adequacy Assessment Process - ICAAP). Anschließend müssen die zuständigen Behörden auf der Grundlage einer aufsichtlichen Überprüfung und Bewertung feststellen, ob die von den Instituten angewandten Regelungen, Strategien, Verfahren und Mechanismen sowie ihre Eigenmittelausstattung und Liquidität ein solides Risikomanagement und eine solide Risikoabdeckung gewährleisten (Supervisory Review and Evaluation Process - SREP).

Im Gegensatz zur regelbasierten, quantitativ ausgerichteten ersten Säule steht beim SRP tendenziell eine prinzipienorientierte, qualitative Sicht auf das interne Risikomanagement der Institute im Vordergrund. Dadurch wird sichergestellt, den Besonderheiten der verschiedenen Geschäftsmodelle und dem Proportionalitätsgedanken im Rahmen der Beaufsichtigung Rechnung zu tragen. Konsequenterweise sind die Anforderungen der ersten Säule in der für alle Institute unmittelbar geltenden Bankenverordnung (Capital Requirements Regulation - CRR) niedergelegt. Die Anforderungen der zweiten Säule finden sich hingegen in der Bankenrichtlinie (Capital Requirements Directive - CRD), die von den jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden in angemessener Weise umzusetzen ist.

Dieser Herausforderung muss sich nun auch die EZB stellen. Die Europäische Bankaufsichtsbehörde (EBA) ist beauftragt, für eine Vereinheitlichung des SREP und damit für gleiche Wettbewerbsbedingungen zu sorgen. Zu diesem Zweck hat die EBA Anfang Juli 2014 den Entwurf entsprechender Leitlinien zur Konsultation gestellt. Wesentliche Elemente dieser Leitlinien finden sich bereits im Leitfaden zur Bankenaufsicht, den die EZB Ende September 2014 veröffentlicht hat. Im Zentrum der aufsichtlichen Bewertungen stehen die interne Governance und Kontrollen der Institute, ihre wesentlichen Risiken sowie die Eigenkapital- und Liquiditätsausstattung. Zusätzlich ist die Beurteilung des Geschäftsmodells in den Fokus gerückt. Die Geschäftsmodellanalyse soll sowohl das aktuelle Geschäftsmodell als auch die zukünftige Tragfähigkeit umfassen. Die einzelnen Prüfungsschwerpunkte werden von der zuständigen Aufsichtsbehörde jeweils mit einem Teil-Score bewertet und diese anschließend auf einen Gesamt-Score verdichtet. Die Score-Werte müssen geeignet sein, eine Indikation für die Überlebensfähigkeit der Institute und die Notwendigkeit von Aufsichts- oder Frühinterventionsmaßnahmen zu liefern.

Die Leitlinien der EBA sind damit deutlich regelbasierter und quantitativer ausgestaltet, als die bisherigen Vorgaben zur zweiten Säule von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und der Deutschen Bundesbank. Diese vornehmlich in den Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) niedergelegten, prinzipienorientierten Regeln erfordern ausgezeichnete Kenntnisse von den Besonderheiten der jeweils beaufsichtigten Institute und sind deshalb schwerer zu überprüfen, als bestimmte Kennzahlen mit einer vorgegebenen Benchmark abzugleichen. Allerdings können die Institute auf diese Weise auch besser beurteilt werden.

Es ist der neuen Aufsichtsbehörde durchaus zuzutrauen, dass sich ihre Mitarbeiter dieser Herausforderung stellen und ihr in kurzer Zeit gewachsen sein werden. Dies gilt nicht zuletzt auch deswegen, weil die EZB ihr Personal offenbar aus einer großen Anzahl ausgezeichneter Fachleute auswählen konnte. Dafür sollte ihr die nötige Zeit eingeräumt werden. Eine ausschließlich quantitative Aufsichtspraxis wird schnell an ihre Grenzen stoßen. Insofern wäre es wünschenswert, wenn sich die bisherige Philosophie der deutschen Bankenaufsicht stärker in den Leitlinien der EBA und vor allem in der Aufsichtspraxis der EZB widerspiegeln würde.

Dr. Ralf Hannemann, Direktor, Bereichsleiter Risikomanagement/Controlling, Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands, VÖB, e. V., Berlin

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