"Kollateralnutzen" der Corona-Pandemie - ein Virus als Prozessbeschleuniger

Günter Högner, Foto: Tanja Nitzke

Die weltweite Corona-Pandemie ist längst noch nicht vorbei. Aber Deutschland kehrte in den vergangenen Wochen in vielen Bereichen zu weitgehender Normalität zurück, auch wenn manche Restriktionen und Auflagen bleiben. Der Vorstandschef der Nassauischen Sparkasse sieht die Zeit für eine erste Zwischenbilanz gekommen. Für ihn steht fest: So herausfordernd die Corona-Krise war, hat sie auch viel Energie und Kreativität innerhalb der Sparkasse freigesetzt. So wurde eine neue Form dezentraler Verantwortung etabliert, wodurch schnelle und flexible Entscheidungen getroffen werden konnten. Der verstärkte Einsatz von Videokonferenzen hat bei der Sparkasse zur Einsparung von Zeit und Reisekosten beigetragen. Högner sieht einen Grund für das erfolgreiche Meistern der Krise auch darin, dass die Naspa schon vor der Pandemie in die "digitale Fitness" ihrer Beschäftigten investiert hatte. Dadurch konnten digitale Prozesse beschleunigt und Abläufe verschlankt werden. (Red.)

Wenn im Zusammenhang mit Geldinstituten von Stresstests die Rede ist, werden damit ganz bestimmte Vorstellungen verbunden. Dass ein Virus, nur unter modernen Elektronenmikroskopen erkennbar, nicht nur die Banken und Sparkassen, sondern gleich die gesamte Weltwirtschaft einem Stresstest unterziehen könnte, dass ein solcher Virus das Leben der Menschen rund um den Globus von einem Tag auf den anderen radikal verändern und ihre Freiheit massiv einschränken würde, ist ein Szenario, das bis zum vergangenen Frühjahr allenfalls in theoretischen Planspielen aufgetaucht ist. Es gab keine empirischen Praxiserfahrungen in der Bewältigung einer solchen Krise. Empirische Erfahrungen aber sind die Grundlage des Wissens. Also muss eingeräumt werden: Es fehlte das Wissen, wie man dieser Herausforderung an gemessen zu begegnen hatte. Dass Bundesländer mit unterschiedlicher Konsequenz auf die Corona-Pandemie reagierten, ist eben dieser Tatsache geschuldet. Niemand hatte den Masterplan in der Tasche - kein Politiker, kein Manager, kein Banker.

Noch ist es zu früh, das Ende der Corona-Krise auszurufen, aber von wenigen Ausnahmen abgesehen ist in den vergangenen Wochen in weiten Teilen des öffentlichen Lebens wieder ein Großteil Normalität eingekehrt. Auch der Vertrieb der Nassauischen Sparkasse (Naspa) hat sich in dieser außergewöhnlichen Lage schnell reorganisiert. Für die Kunden bedeutete dies: Seit Mitte Mai steht ihnen die Naspa in allen 85 Filialen wieder persönlich zur Verfügung. Mitte März hatte die Naspa den Kundenverkehr wegen der Corona-Pandemie an der Hälfte der Standorte vorübergehend eingeschränkt. Jetzt ist es an der Zeit, die in den vergangenen Wochen gesammelten Erfahrungen zu bilanzieren. Und dazu gehört auch die Erkenntnis, dass die Krise ein Prozessbeschleuniger war und Banken und Sparkassen die Chance gegeben hat, sich als verlässlicher Partner der Kunden zu beweisen. Anders formuliert: Die Naspa hat ihren SARS-CoV-2-Stresstest gut bestanden, indem sie in verschiedenen Bereichen schnell und innovativ reagiert hat.

Keine Paralyse wegen Pandemie

Die zentrale Herausforderung bestand am Anfang der Krise darin, die Pandemie nicht zur Paralyse werden zu lassen. Denn die durch Corona verursachte Situation verunsicherte und verängstigte nicht nur die Kunden, sondern auch Teile der eigenen Beschäftigten. Es war daher zunächst wichtig, den eigenen Beschäftigten trotz subjektiver Betroffenheit klarzumachen, was die Aufgaben einer Sparkasse in dieser besonderen Situation sind. Die Lage war hier vergleichbar mit den Beschäftigten in medizinischen Berufen, deren Aufgabe es ja war und ist, den Patientinnen und Patienten gerade in einer Ausnahmesituation zur Seite zu stehen. Genau das ist der Zweck einer Sparkasse und dieses Bewusstsein wurde nochmals besonders geschärft.

Zentrale Voraussetzung für den Umgang untereinander und den Umgang mit Kunden war und ist Empathie, jener für ein erfolgreiches Krisenmanagement so wichtige, bisweilen aber vernachlässigte Baustein. Im Umgang untereinander bedeutet Empathie, die Sorgen und Ängste der eigenen Beschäftigten wahr- und ernst zu nehmen. Und auch gegenüber den Kunden war und ist eine erhöhte Einfühlsamkeit erforderlich. Diese waren teilweise mit der Situation überfordert. Dabei äußerte sich die Unsicherheit bei Firmen- und Gewerbekunden vor allem in Fragen nach möglichen, teilweise existenziellen Konsequenzen für das eigene Geschäft und nach bestehenden Hilfsangeboten der Sparkasse und der Bundesregierung. Im Privatkundengeschäft hingegen kam es angesichts der volatilen Börsenentwicklung zu vielen Fragen nach der Sicherheit der Altersvorsorge oder der Geldanlage. Nach fast zehn Jahren ununterbrochenen Aufschwungs an den Aktienmärkten zeigten sich hier insbesondere Kunden mit weniger Wertpapiererfahrung verunsichert.

Die Naspa ist gleich zu Beginn der Corona-Krise im März auf ihre Firmen- und Gewerbekunden aktiv zugegangen, hat rund 8 000 von ihnen schriftlich ein konkretes Gesprächsangebot unterbreitet und sehr frühzeitig über Liquiditätshilfen, Kurzarbeitergeld, die Möglichkeit von Steuerstundungen oder die Anpassung der Steuervorauszahlungen informiert. Zusätzlich haben die Beraterinnen und Berater die Kunden auch auf telefonischem Wege kontaktiert. Dabei war es neben der Beratung mindestens genauso wichtig, ein Ohr für die Nöte betroffener Kunden zu haben. Die emotionalen Berichte über gefährdete Existenzen waren auch für die eigenen Beschäftigten belastend. Konkrete Geschäftsabschlüsse standen dabei nicht im Fokus. Hier hat sich gezeigt, wie wertvoll gerade in schwierigen Zeiten der persönliche Kontakt ist, selbst wenn dieser nicht immer von Angesicht zu Angesicht stattfinden kann. Zur Verhinderung einer (internen) Paralyse hat letztlich sicher auch eine neue Form dezentraler Verantwortung beigetragen. Wo es früher mitunter schon mal langer Prozesse und Abstimmungsrunden zwischen Stab und Markt bedurfte, werden nun schnell und flexibel Entscheidungen getroffen. In den Filialen wurde dezentrales Unternehmertum praktiziert und gestärkt. Die Kollegen übernahmen verstärkt Verantwortung vor Ort bei der schnellen Umsetzung der Hygienemaßnahmen, gerade in der Anfangszeit zum Beispiel bei der Organisation von Desinfektionsmitteln und der Installation von Trennscheiben zum Schutz vor dem Virus.

Prozesse neu denken

Generell war der Naspa klar, dass sie in dieser für die meisten Unternehmen sehr schwierigen Situation in ihrer Funktion als Hausbank den Fördermittelprozess anpassen und beschleunigen musste. Dank des Engagements der Beschäftigten und der in den vergangenen Jahren fortgeschrittenen Digitalisierung der Abläufe konnte die Naspa ihren Firmen- und Gewerbekunden mit Know-how und deutlich schnellerer Bearbeitung von Anträgen, zum Beispiel durch digitale Unterschriften auf Kreditanträgen, hilfreich zur Seite stehen. Die Genehmigung von Kreditbeschlüssen erfolgte dann zeitnah papierlos im optischen Archiv.

Auch andere Prozesse mussten kurzfristig angepasst werden, um übliche Geschäfte unter Einhaltung der Social Distancing-Regeln weiter zu führen. Einige Beispiele: (1) Der Abschluss und die Abwicklung der Handelsgeschäfte aus dem Homeoffice musste unter Beachtung der Anforderung der MaRisk neu organisiert werden. (2) In der Wertpapierberatung vom Homeoffice aus wurde die dezentrale Sprachaufzeichnung eingeführt, um das erhöhte Wertpapieraufkommen abwickeln zu können. (3) Den Auswahlprozess für neue Azubis wurde vollständig digital durchgeführt. (4) Mit digital signierten Mails wurde bisherige "Dispo-Stempel" ersetzt.

Besonders erwähnenswert ist der verstärkte Einsatz von Videokonferenzen, der zu deutlichen Einsparungen von Zeit und Reisekosten führte. Die Konferenzen waren geprägt durch die Konzentration auf das Wesentliche, sie waren damit kürzer und auch lösungsorientierter als Präsenzveranstaltungen.

Für viele Beschäftigte ist die Corona-Krise mit einer neuen Erfahrung verbunden: Statt täglich zu ihren Arbeitsplätzen zu kommen sind viele im Homeoffice tätig. Die Naspa hat die Möglichkeiten dafür zu Beginn der Krise durch die schnelle Einführung von Software-Token rasch ausgeweitet. Mittlerweile haben 732 Beschäftigte einen Token, das entspricht rund 44 Prozent der Belegschaft. Insbesondere in den Stabsbereichen, deren Arbeitsfähigkeit zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs der Sparkasse zwingend geboten ist, waren teilweise über 50 Prozent der Beschäftigten im Homeoffice tätig. War die Akzeptanz der Arbeit im Homeoffice bei Einführung vor drei Jahren noch nicht besonders hoch, so führte Corona jetzt zu einem Durchbruch. War vorher die Angst der Führungskräfte vor einem befürchteten Kontroll- und Produktivitätsverlust vielleicht das stärkste Argument, einem Antrag auf Homeoffice skeptisch gegenüberzustehen, so hat Corona nunmehr belegt, dass eine verstärkte Nutzung des Homeoffice ohne die befürchteten Effekte möglich ist und sogar erstaunliche Kreativität freizusetzen vermag.

Die Dezentralisierung der Arbeit ist mittlerweile alles andere als eine Notlösung. Sie hat sich bewährt und viele Naspa-Beschäftigte mit einer neuen Form des Arbeitens vertraut gemacht. Wichtig war in diesem Zusammenhang freilich, dass sie nicht den Eindruck gewannen, sie arbeiteten im Homeoffice gleichsam wie auf einer Insel. Auch und gerade in so schwierigen Zeiten wie der Corona-Krise ist Führung wichtig. Durch Videos, ein in der Naspa schon seit geraumer Zeit etabliertes und akzeptiertes Mittel der internen Kommunikation, konnte der Kontakt von Vorstand zu Beschäftigten über filmische

Statements sichergestellt werden. Der im Vorjahr gemeinsam mit dem Partner digitransform etablierte Digitale Führerschein und die damit erreichte messbare Steigerung der digitalen Fitness der Beschäftigten erwies sich in den zurückliegenden Wochen ebenfalls als Vorteil. So erhielten im vergangenen Jahr alle Beschäftigten der Naspa - vom Azubi bis zum Vorstand - eigens ein I-Pad, um den Führerschein zu absolvieren. Dafür wurde 2018 in allen Filialen auch freies WLAN eingeführt. Es war ausdrücklich erwünscht, diese Geräte privat zu nutzen, um die digitalen Kenntnisse und Fähigkeiten zu erweitern. Denn wir alle wissen, wie wichtig digitale Kompetenzen für den unternehmerischen und persönlichen Erfolg sind.

Digitale Fitness zahlt sich aus

Heute bleibt festzustellen: Ohne die Investitionen in die digitale Fitness der Beschäftigten hätte die Corona-Krise vermutlich nicht so gut und zur Zufriedenheit der Kunden vor Ort gemeistert werden können. Allein die sprunghaft angestiegene Zahl von Videokonferenzen, Video-Chats und Webseminaren, die in der Corona-Phase gang und gäbe sind, wäre ohne diese Vorbereitung nicht möglich gewesen.

Neben den genannten, vor allem internen Maßnahmen wurde den Kunden eine Reihe von konkreten Hilfsmaßnahmen angeboten. Hierzu gehörten die üblichen Werkzeuge wie eine schnelle Tilgungsaussetzung, die Beantragung von Überbrückungskrediten bei der KfW und die Informationsbereitstellung zu den Soforthilfeprogrammen des Bundes und der Länder. Da es nicht nur bei Firmen- und Gewerbe-, sondern auch bei den von Kurzarbeit betroffenen Privatkunden Kapitalbedarf gab, wurde überlegt, wie geholfen werden kann, finanzielle Engpässe zu überbrücken. Mit dem Angebot eines sehr preisgünstigen Privatkredits wurde kurzfristig Liquidität zu günstigen Konditionen bereitgestellt.

Aus vielen Gesprächen war darüber hinaus schnell klargeworden, dass die Kunden neben den wirtschaftlichen Aspekten noch weitere, eher praktische Fragestellungen intensiv beschäftigen: Wie gefährlich ist das Virus, wie kann man sich effizient schützen? Wie können Eltern ihre Kinder beim digitalen Lernen unterstützen? Wie organisiert man den Einkauf und das Homeoffice? Und nicht zuletzt: Wie verhindert man, dass einem zu Hause irgendwann die sprichwörtliche Decke auf den Kopf fällt? Darauf hat die Naspa schnell mit einem Corona-Spezial reagiert, das auf der Naspa-Webseite (auch für Nichtkunden) zur Verfügung gestellt wurde. Dort sind hilfreiche Tipps und Anregungen zu finden, wie sich Privatleben und Alltag unter den Bedingungen von Social Distancing organisieren lassen.

Auch auf Kundenseite führte die Corona-Krise zu neuem Denken. Die Deutschen sind bekannt als ein Volk von Barzahlern. Bezahlvorgänge mit Karte oder Smartphone setzen sich - verglichen mit der Praxis in anderen Staaten - erst allmählich durch. Während der Corona-Krise war jedoch festzustellen, dass aus Hygienegründen mehr Kunden digitale Zahlungsmittel einsetzen. Die Zahl der kontaktlosen Bezahlvorgänge stieg im ersten Quartal 2020 im Vergleich zum ersten Quartal 2019 um rund 65 Prozent. Es war positiv, dass es auch von zentraler Seite gelungen ist, die Grenze für das kontaktlose Bezahlen kurzfristig von 25 Euro auf 50 Euro anzuheben. Passend zum Boom beim kontaktlosen Bezahlen wurde ein bereits vorher gemeinsam mit einem Kunden produzierter Werbespot veröffentlicht, der auf viel positive Resonanz gestoßen ist.

Trotz oder vermutlich gerade wegen Social Distancing waren viele Kunden dankbar, Ansprechpartner vor Ort zu haben. Vielen wurde der Mehrwert des Geschäftsmodells Sparkasse mit seiner Verbindung von erstklassiger Beratung und modernen digitalen Services plötzlich sehr deutlich bewusst. Die Öffnung der Naspa-Filialen erschien vielen als ein Signal, dass nach einer großen Herausforderung wieder vorsichtig zur Normalität zurückgekehrt wird, auch wenn bestimmte Restriktionen wie etwa der Mund- und Nasenschutz, die Trennscheiben und der notwendige Abstand zwischen den Menschen weiter bestehen bleiben.

Stresstest bestanden

Für eine abschließende Bilanz ist es zu früh. Eine vorläufige Corona-Zwischenbilanz ist aber möglich. Eine der wichtigsten Erkenntnisse: Die vor Corona eingeleiteten Maßnahmen zur digitalen Fitness für die Beschäftigten haben sich bewährt und einen sehr herausfordernden Stresstest bestanden. Zugleich wurden infolge der Pandemie die digitalen Prozesse beschleunigt und die Abläufe innerhalb der Sparkasse verschlankt. Neue Formen des (Zusammen)-Arbeitens auch auf Distanz wurden in der Praxis erprobt und auch die Kooperation zwischen Stab und Markt wurde verbessert. Die Naspa war für ihre Kunden auch auf dem Höhepunkt der Krise da und immer erreichbar.

Einmal mehr hat sich auch für die Beschäftigten gezeigt, welchen Mehrwert ein Arbeitsplatz bei der Naspa hat. Mit Blick auf andere Branchen und Unternehmen ist in diesen Zeiten privilegiert, wer bei einer Sparkasse arbeitet. Das hat Kräfte freigesetzt, die in einer Ausnahmesituation wie dieser Pandemie dringend benötigt werden. Das hat aber auch zu einer Stärkung der Identifikation mit dem Arbeitgeber geführt, die sich in dem Willen manifestiert hat, das Vertrauen der Kunden in die Leistungsfähigkeit und Lösungskompetenz der Naspa zu rechtfertigen.

In der größten Krise der Gegenwart haben alle an einem Strang gezogen. Innovative Ideen haben zu pragmatischen Lösungen und einfacheren Prozessen geführt. Es war beeindruckend, wie die Aufgaben angegangen worden sind: Schnell, pragmatisch, kreativ, bereichsübergreifend auch aus dem Homeoffice heraus und mit großem Verantwortungsbewusstsein. Es wurde Neues ausprobiert und umgehend korrigiert, wenn es nicht zielführend war.

Viel wurde in den vergangenen Wochen diskutiert über die Kollateralschäden der Pandemie, die es ohne Frage gibt und die sich wahrscheinlich schon bald in einer steigenden Zahl von Unternehmensinsolvenzen und einer zunehmenden Arbeitslosenquote manifestieren werden. Aber ohne Zweifel gibt es auch so etwas wie einen "Kollateralnutzen". Stab und Vertrieb sind zusammengerückt, haben das Vertrauen ineinander gestärkt und das Miteinander im Sinne des eigenen Leitbilds gelebt. Hinter den Mitarbeitern der Naspa liegen anspruchsvolle Wochen und Monate. Nun gilt es, den aufgezeigten "Kollateralnutzen" zu identifizieren und nach überstandener Pandemie in den Alltag zu überführen.

Günter Högner Vorsitzender des Vorstands, Nassauische Sparkasse (Naspa), Wiesbaden
Günter Högner , Vorsitzender des Vorstands, Nassauische Sparkasse (Naspa), Wiesbaden
Noch keine Bewertungen vorhanden


X