Berliner Start-up-Szene erweist sich als äußerst resilient

Dr. Hinrich Holm, Foto: Investitionsbank Berlin

Viele Unternehmen der Digitalwirtschaft haben die Herausforderungen der Pandemie-Krise laut dem Autor eher als Chance wahrgenommen, da die Digitalisierung in Deutschland sowohl in Wirtschaft als auch Gesellschaft in dieser Phase einen großen Schub erfuhr. Daher sei es auch zu einem regelrechten Finanzierungsboom in der Start-up-Szene gekommen. Dabei habe sich Berlin weiterhin an der Spitze als Topadresse für Existenzgründungen bewährt. Allein 2021 seien dabei 10,5 Milliarden Euro in Berliner Start-ups investiert worden, was einem Marktanteil von 60 Prozent entspreche. Die Berliner Digitalwirtschaft hat sich dabei laut Hinrich Holm besonders resilient gezeigt und sogar Beschäftigung aufgebaut. Dabei standen insbesondere auch Fintechs hoch im Kurs. Zur erfolgreichen Entwicklung der Berliner Digitalwirtschaft hat auch die IBB beigetragen, die 2021 ihre Finanzierungszusagevolumen nochmals deutlich um 75 Prozent auf 337 Millionen Euro erhöhte. (Red.)

Kaum ist die eine Krise am Abklingen, befindet man sich auch schon in der nächsten. Zwar haben die Lockerungen nach dem zweiten Corona-Winter zunächst zu der erwarteten kräftigen Erholung der Wirtschaft beigetragen. Der Angriff Russlands auf die Ukraine stellt aber eine Zäsur dar, in deren Gefolge sich die globale Wirtschaftsordnung gerade verändert und neue wirtschaftliche Belastungen für Unternehmen und Haushalte auftürmen. Die Corona-Pandemie hat bereits ein Schlaglicht auf die Stärken und Schwächen der Wirtschaft geworfen und gezeigt, wie schnell sich Lieferkettenprobleme auf ganze Wirtschaftsbereiche übertragen können. Die Wahrscheinlichkeit eines Liefer- beziehungsweise Abnahmestopps von schwerer substituierbaren Gaslieferungen aus Russland steigt mit der Dauer des Krieges und mit ihr steigt auch die Unruhe bei den Investoren.

In solch unsicheren Zeiten werden Investitionen eher zurückgehalten und Finanzierungen aufgeschoben, sodass es auch Gründerinnen und Gründer schwerer haben, ihre Unternehmen zum Laufen zu bringen oder in einer nächsten Finanzierungsrunde zu behaupten. Allerdings: Viele junge Unternehmen, vor allem aus den technologie- und innovationsorientierten Bereichen, haben die Herausforderungen aufgrund der Pandemie als Chance wahrgenommen. Die Digitalisierung hat in der Wirtschaft und Gesellschaft während der Corona-Zeit einen starken Auftrieb erfahren und die enormen Potenziale vieler digitaler Prozesse und Dienstleistungen aufgezeigt. Homeoffice, digitaler Unterricht, innovative Formen von Onlineshopping, virtuelle Treffen im beruflichen und familiären Kontext, neue Apps für medizinische Zertifikate sowie virtuelle Arztkonsultationen sind entstanden. Kein Wunder, dass es zu einem regelrechten Finanzierungsboom in diesen Bereichen der Start-up-Szene gekommen ist. Nie zuvor ist so viel Geld an junge Gründerinnen und Gründer geflossen wie im vergangenen Jahr. Laut dem Start-up-Barometer der Beratungsgesellschaft Ernst & Young (EY) wurden 2021 gut 17,4 Milliarden Euro in deutsche Start-ups investiert und das Gesamtvolumen damit im Vergleich zum Corona-Krisenjahr 2020 nahezu verdreifacht.

Hotspot bei Gründungsfinanzierungen

An der Spitze des Städte-Rankings hat sich dagegen nicht viel verändert. Berlin ist und bleibt die Topadresse für Existenzgründungen. 10,5 Milliarden Euro wurden 2021 laut EY in Berliner Start-ups investiert - eine absolute Rekordsumme. Damit kam die Hauptstadt als Hochburg für Gründungen allein auf rund 60 Prozent Marktanteil. Bayern auf Platz zwei konnte mit 4,4 Milliarden Euro nicht einmal die Hälfte des in Berliner Start-ups investierten Kapitals verbuchen. Auch bei den großen Deals lagen Berliner Startups vorn: So erhielten der Berliner Lebensmittellieferdienst Gorillas 861 Millionen Euro, die Smartphone-Bank N26 775 Millionen Euro und der Broker Trade Republic 747 Millionen Euro. Beeindruckende Zahlen!

Abbildung 1: Beschäftigungsentwicklung in der Digitalwirtschaft
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnungen IBB

Abbildung 1: Beschäftigungsentwicklung in der Digitalwirtschaft
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnungen IBB

Allgemein sammelten laut EY vor allem die jungen Unternehmen aus den Branchen Software, Online-Handel und Finanzen das meiste Geld ein. Damit setzt sich der Trend der letzten Dekade auch während der Pandemiekrise fort. Vor allem die Berliner Digitalwirtschaft erweist sich als deutlich resilienter als der Rest der Wirtschaft und baut sogar noch kräftig Beschäftigung auf. Inzwischen sind hier rund 130 000 Menschen angestellt - mehr als in jeder anderen deutschen Großstadt. Zwischen 2008 und 2021 sind in dem Bereich fast 90 000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden - jeder sechste neue Job in Berlin ist hier entstanden. Damit ist die Digitalwirtschaft mehr als dreimal so schnell gewachsen wie die übrige Berliner Wirtschaft und einer der entscheidenden Wirtschaftstreiber und Jobgaranten.

Jedes zehnte Start-up ein Fintech

Insbesondere Fintechs stehen bei den international agierenden Investoren weiterhin hoch im Kurs. Nicht wenige sind bereit, große Summen in Millionenhöhe in technische Innovationen auf dem Finanzmarkt zu investieren, glaubt man dem "German Fintech Report 2021" von Germany Finance in Zusammenarbeit mit Startbase. Laut der Studie sind die Investoren in den vergangenen Jahren sogar noch spendierfreudiger geworden. So ist die Anzahl der Finanzierungen seit 2018 pro Quartal durchschnittlich um 6 Prozent gestiegen, auch wenn die Gründungslaune für Fintechs laut Report rückläufig ist.

Abbildung 2: Finanzierungszusagen in den Clustern 2021 (in Millionen Euro)
Quelle: IBB Geschäftsbericht 2021

Abbildung 2: Finanzierungszusagen in den Clustern 2021 (in Millionen Euro)
Quelle: IBB Geschäftsbericht 2021

Dass aber jede zehnte Neugründung ein Fintech-Unternehmen ist, beweist, dass die Bedeutung der Branche trotz sinkender Gründungsbereitschaft dennoch enorm ist. Nach der Informations- und Kommunikationstechnik (IuK) bilden Fintechs die zweitstärkste Branche in der Start-up-Szene. Vor allem Themen wie Blockchain, künstliche Intelligenz (KI) und Digitalisierung finden sich in den Geschäftsmodellen von Fintechs wieder. Klar, dass sie somit zu Impulsgebern von digitalen Innovationen werden.

Es dürfte auch kaum verwundern, dass im Start-up-Hotspot Berlin die meisten Fintechs (182) in Deutschland angesiedelt sind. In Zahlen ausgedrückt sind es 28 Prozent. Berlin ist hinsichtlich der Fintechs zwar der bedeutendste Standort und auch die internationalste Stadt Deutschlands, dennoch gibt es gerade auf der internationalen Bühne noch viel Potenzial und Spielraum nach oben.

Berlin als Hauptdomizil der Fintechs

An die großen Player im Start-up-Ökosystem wie New York oder London kommt Berlin (noch) nicht heran. Und auch innerhalb von Deutschland schläft die Konkurrenz nicht. So hat sich beispielsweise Hamburg als starker Standort für Fintechs herauskristallisiert und gerade Fintechs, die jünger als fünf Jahre sind, zieht es laut Germany Finance Report in die Hansestadt. Doch wie sagt man so schön, Konkurrenz belebt das Geschäft. Noch hat Berlin deutlich die Poleposition in Deutschland inne, muss allerdings weiter Gas geben. Berlin hat die Kraft, als Startup-Metropole die Finanzwirtschaft zu verändern.

Frankfurt am Main glänzt mit seinem traditionellen Bankenumfeld und München mit seinem Umfeld aus Unternehmen der Versicherungs- und Kreditbranche. Was ist es also, dass Berlin so attraktiv für Fintechs macht? Die Stärke Berlins liegt ganz eindeutig in der Digitalwirtschaft und an der Vielzahl der jungen, dynamischen und kreativen Unternehmen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik. Die Fachkräftedichte in der Hauptstadt ist so hoch wie in keiner anderen deutschen Stadt. Die Stadt lockt immer noch viele junge, gut ausgebildete Menschen aus aller Welt an. Hinzu kommt, dass das Leben hier im internationalen Vergleich tatsächlich immer noch erschwinglich ist.

Zwei von drei Förder-Euros gehen in die Zukunftscluster

In Berlin wurde hier in den vergangenen Jahren viel aufgebaut, an dem auch die IBB Gruppe mit ihrer konsequenten Ausrichtung der Wirtschaftsförderung auf die innovativen Berliner Zukunftsfelder (Berliner Cluster) maßgeblich beteiligt war. Entstanden ist unter anderem ein sehr starker Informations- und Kommunikationstechniksektor (IuK-Sektor), der sich nach wie vor durch eine sehr hohe Gründungsdynamik auszeichnet. Die IBB hat 2021 für Unternehmen in den Berliner Clustern insgesamt 631 Finanzierungszusagen über 337,3 Millionen Euro gegeben und damit ein deutlich höheres Volumen als im Jahr zuvor (617; 192,3 Millionen Euro). Der Großteil davon entfiel auf das Berliner Cluster IuK mit insgesamt 127,5 Millionen Euro. Fintechs finden auf dem Nährboden der kreativen Digitalwirtschaft in Berlin also ausgezeichnete Entwicklungsperspektiven.

Die Digitalwirtschaft ist ein starker Faktor in der gesamten Berliner Wirtschaft. Das zeigt auch die Zahl der Neueinstellungen von mehr als 9 300 Menschen im Jahr 2021. Berlin wird inzwischen international als Digitalhauptstadt Deutschlands wahrgenommen, die Start-up-Branche hat sich in den vergangenen zehn Jahren deutlich dynamischer entwickelt als in jeder anderen deutschen Großstadt. 2021 war die zur IBB Gruppe gehörende IBB Ventures an 47 Finanzierungsrunden beteiligt und zählt inzwischen 85 Unternehmen in ihrem Portfolio. 2020 ist zudem die IBB Capital GmbH (IBC) zur IBB-Familie gestoßen. Ursprünglich gegründet, um die Corona-Hilfen für Start-ups aus der sogenannten Säule II des Bundes umzusetzen, finanziert diese Tochtergesellschaft junge Berliner Unternehmen mit innovativem Geschäftsmodell durch Eigen kapital oder eigenkapitalähnliche Instrumente.

Breite Wirkung

Ein Novum der IBC ist, dass sie über private Investoren, sogenannte Intermediäre, eine sehr breite Wirkung in die Start-up-Szene erreicht und in Berlin damit überproportional viele Mittel im Bundesvergleich abrufen konnte. Hinzu kommt, dass die IBB über die IBC insbesondere Unternehmen, die in bestimmten Nachhaltigkeitssegmenten wie der Arbeitsplatzsicherung oder beim Klima- und Umweltschutz punkten, unterstützt.

Neben der digitalen Transformation rückt auch das Thema Nachhaltigkeit immer stärker in unseren Fokus. Mit seinen Produkten unterstützt die IBB daher gezielt die Umstellung auf nachhaltige Geschäftsmodelle. Schon jetzt ist das Produktportfolio dafür gut ausgestattet, doch die IBB ist dabei, sich als IBB Gruppe noch weiter zu verbessern und ein ganzheitliches Angebot für eine nachhaltige Berliner Wirtschaft zur Verfügung zu stellen. Deshalb wird sich die IBB künftig noch stärker dafür engagieren, Markt und Menschen sowie Ökonomie und Ökologie zu vereinen.

Ein erster Schritt war es für die IBB, ihre Förderprogramme den Unternehmen der sozialen Ökonomie zu öffnen. Social Entrepreneurs, deren Unternehmen nicht vorrangig auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind, werden ein immer wichtigerer Stützpfeiler in unserer Gesellschaft und Wirtschaft. Im Berliner Ökosystem hat Social Entrepreneurship inzwischen mit 185 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auch eine große volkswirtschaftliche Bedeutung.

Investieren mit echtem Impact

Das Thema Impact Investing wird aber seit einigen Jahren auch im Bereich der Frühphasenfinanzierung mit Venture Capital wichtiger. Vor allem in Berlin hat sich in den vergangenen Jahren ein Bedarf entwickelt. Deshalb arbeitet IBB Ventures, die innovativen Berliner Unternehmen schon seit 1997 Venture Capital zur Verfügung stellt, an einem Impact VC Fonds zur gezielten Ansprache von Startups, die mit ihrer Geschäftstätigkeit einen Beitrag zur Erreichung der von den Vereinten Nationen definierten 17 Nachhaltigkeitszielen leisten. Damit wird die IBB das IBB-Portfolio um den VC Fonds Technologie und VC Fonds Kreativwirtschaft an die Entwicklungen von Gesellschaft und Markt anpassen. Der Fonds wird mit Mitteln von der IBB und dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) in Höhe von insgesamt 30 Millionen Euro ausgestattet und soll im zweiten Halbjahr 2022 starten.

An der Innovationskraft der deutschen Gründungsszene besteht kein Zweifel. Das beweisen die Zahlen eindeutig. Gleichwohl liegt Deutschland im internationalen Vergleich noch deutlich hinter seinen Möglichkeiten. Es gibt viel Potenzial, auch in Berlin, das aktuell noch ungenutzt ist, wie beispielsweise der bislang niedrigere Anteil von Gründerinnen und Gründern mit Migrationshintergrund zeigt. Es braucht daher mehr und vor allem gezielte Unterstützung. Sprich: Gründungen unterstützen, Diversität fördern, für einen fairen Wettbewerb sorgen und den Zugang zu Kapital erleichtern. Es ist wichtig, die richtigen Weichen zu stellen und Anreize zu setzen, damit Deutschland im internationalen Wettbewerb mithalten, sich besser positionieren und im selben Atemzug selbstverständlich die Herausforderungen der digitalen Transformation und des Klimawandels bewerkstelligen kann. Deutschland und damit natürlich auch Berlin müssen langfristig für die Gründerinnen und Gründer attraktiv bleiben. Das ist in im Interesse aller!

Dr. Hinrich Holm , Vorsitzender des Vorstands , Investitionsbank Berlin (IBB), Berlin

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