Bankenstresstest und Stabilität des Finanzsystems

Abbildung 1: Prozentanteil an der Summe aller Finanzaktiva in der Eurozone und den USA Quelle: FSB Global Shadow Banking Monitoring Report 2014

Michael Altenburg, Luzern
Bei allen verdienstvollen Erfolgen des Bankenstresstests zur Schaffung einer wesentlich verbesserten Datenbasis lenkt der Autor den Blick auf Liquiditätsengpässe als Auslöser von Bankenkrisen. Und das führt ihn direkt weiter zu dem fast zeitgleich vom Financial Stability Board veröffentlichten Report über Schattenbanken und dem Hinweis auf mögliche Ausweichreaktionen des Bankensektors in diesen Bereich. Ein Bankenstresstest, so seine These, ist für gewisse Risiken von systemgefährdenden Engpässen vollkommen blind, da sein Augenmerk nicht auf die Wechselbeziehungen zwischen Banken und Nichtbanken am kurzfristigen Ende gerichtet ist. Er regt deshalb zu Überlegungen an, durch geeignete Standardisierungen der Anleihemärkte und durch stärkere Standardisierungen von Refinanzierungsinstrumenten eine höhere Liquidität der Sekundärmärkte sicherzustellen. (Red.)

Am 26. Oktober veröffentlichte die EZB die Ergebnisse einer seit Monaten mit großem Aufwand erarbeiteten und daher mit ebenso großer Spannung erwarteten "Asset Quality Review", in welcher die Bilanzen der 130 wichtigsten Banken der EU analysiert und danach bewertet wurden, wie weit diese einzelnen Banken hinsichtlich ihrer Eigenkapitalausstattung als sicher gelten können, beziehungsweise nachbessern müssen.

Die seit 1988 begonnenen Bemühungen von inzwischen 27 beteiligten Staaten um die von den Banken bei ihren jeweiligen Geschäften mindestens einzuhaltende Eigenkapitalausstattung haben seitdem zu den als "Basel Akkords" bekannten internationalen Übereinkünften geführt, die nunmehr in einem teilweise bereits sehr fortgeschrittenen Umsetzungsprozess in den einzelnen Staaten stehen. Auch dem Bankenstresstest der EZB liegen diese Maßstäbe zugrunde.

Liquiditätsengpässe als Auslöser von Bankenkrisen

Neben den Banken gibt es allerdings nicht nur in der EU auch noch "other financial intermediaries", die den Regeln von Basel III nicht unterliegen und ihre zunehmende Bedeutung zumindest teilweise gerade diesem Umstand verdanken. Der ebenfalls in Basel ansässige Finanzstabilitätsrat (Financial Stability Board/FSB), gegenwärtig unter Vorsitz des Gouverneurs der Bank von England, Mark Carney, beobachtet neben dem Bankensektor auch diesen weniger regulierten Finanzbereich, für den sich die Bezeichnung "Shadow Banking" eingebürgert hat.

Nur vier Tage nach dem Stresstest der EZB veröffentlichte der FSB den "Global Shadow Banking Monitoring Report 2014"1), welcher neben jenem mindestens gleich große Aufmerksamkeit verdient (Abbildung 1).

Diese Aufmerksamkeit empfiehlt sich, weil Finanzkrisen anfangs nie durch Eigenkapitaldefizite bei Banken ausgelöst werden, sondern zunächst immer durch akute Liquiditätsengpässe. Um es in alt hergebrachter Weise auszudrücken: es kann also auch eine gediegen kapitalisierte Bank erwischen, wenn bei einem Run auf ihre Depositen ihre Kassenbestände nicht ausreichen. Genau diesen Fall meint das traditionelle Verständnis von der Zentralbank als dem "lender of last resort". Und genau deswegen ist der Fokus auf eine angemessene Eigenkapitalausstattung der Banken zwar notwendig zur Verhütung von Finanzkrisen, aber jedenfalls dann nicht hinreichend, falls es am kurzfristigen Ende weiter zu systemgefährdenden Engpässen kommen kann.

Die Auffassungen darüber, ob finanzielle Engpässe am kurzen Ende so effektiv vermieden werden können, dass systemische Krisen gar nicht erst entstehen können, gehen auseinander. Im Hintergrund steht natürlich immer die Zentralbank, die im Notfall intervenieren wird, um systemgefährdende Ausweitungen von Liquiditätsengpässen möglichst im Keim zu ersticken. Aber damit sind Konstellationen angesprochen, in denen bereits etwas aus der Balance geraten, eine "Blase geplatzt" ist, an irgendeinem Ort in der Finanzarchitektur ein um sich greifender Vertrauensverlust aufgetreten ist.

Verschiebungen zum kurzfristigen Ende hin

Am kurzen Ende sind das die Absicherungskonstruktionen für Refinanzierungen am Geldmarkt, also Repos, Credit Default Swaps oder andere Derivative. Da Basel III kurzfristige, liquide gegenüber langfristigen, weniger liquiden Aktiva als weniger riskant einstuft und daher mit niedrigeren Eigenkapitalunterlegungen belastet, haben die Basel Akkords bei den Bankenaktiva eine entsprechende Verschiebung zum kurzfristigen Ende hin ausgelöst. Da aber die gegenwärtige Niedrigzinspolitik auskömmliche Renditen am kurzen Ende ausschließt, ist gleichzeitig ein enormer Druck im gesamten Finanzsystem entstanden, auch langfristige, riskante Engagements über Fristentransformation und geeignete Absicherungen so zu konstellieren, dass die Eigenkapitalunterlegungsanforderungen nach Basel III minimiert werden. Dieser Druck ist für Pensionskassen und Lebensversicherungen noch größer, die zwar nicht Basel III, aber korrespondierenden Beschränkungen (Solvency II) ihrer Anlagen und gleichzeitig Mindestauszahlungsverpflichtungen ihrer Langfristverbindlichkeiten in einer Höhe unterliegen, die im Niedrigzinsumfeld nicht zu erwirtschaften sind.

Also weichen nicht nur die Banken, sondern auch die Kapitalsammelstellen sowohl in Produkte wie in Absicherungskonstruktionen des nicht oder weniger regulierten Shadow-Banking-Systems aus. Beim in der Refinanzierung besonders beliebten Repo-Geschäft werden dem Kreditgeber auf Termin gängige Wertpapiere verkauft, die nach Fristablauf wieder zurückübertragen werden. Kreditgeber kann eine andere Bank, ein anderer Geldfonds, ein anderes Versicherungsunternehmen oder aber auch eine Zentralbank sein.

Ein Bankenstresstest ist für die sich hieraus womöglich ergebenden Systemrisiken vollkommen blind, da sein Augenmerk nicht auf die Wechselbeziehungen zwischen Banken und Nichtbanken am kurzfristigen Ende gerichtet ist.2) Was sich da unbemerkt zusammenbrauen kann, lehrt die Phase vom Januar 2007 bis zum Oktober 2008 (Abbildung 2).

Wie bekannt ist, wurde die Krise im US-Subprime-Mortgage-Bereich durch die Umkehr des jahrzehntelangen Anstiegs der US-Eigenheimpreise ausgelöst. Diese Umkehr erfolgte laut Case-Shiller National Index bereits um die Mitte des Jahres 2006. Dennoch wurden noch bis zur Mitte 2007 Subprime-Mortgage-Verbriefungen ohne jeden Haircut, also ohne Abschlag zum Nennwert, im Repomarkt akzeptiert. Erst ab Juli 2007 sickerten dann allmählich schlechte Nachrichten durch, unvollständig, bruchstückhaft, eher gerüchteweise. Diese führten stufenweise zu immer massiveren Haircuts auch für nicht Subprime-Mortgage-Verbriefungen und sogar für AAA Corporate Bonds, bis dann in der ersten Oktoberhälfte 2008 allgemeine Panik ausbrach und auch nachhaltig werthaltige Wertpapiere aufgrund irrationaler Risikoaversion lange keine nachhaltigen Bewertungen mehr im Markt erfuhren.

Ausdehnung der Regulierungen auf Nichtbanken-Intermediäre?

Was kann man tun, um Erfahrungen wie die von 2007/2008 in Zukunft zu verhindern? Eine naheliegende Reaktion wäre die möglichst schnelle und lückenlose Ausdehnung der bestehenden Regulierungen vom Bankenbereich auf alle Nichtbanken-Intermediäre im Finanzsektor. Eine Tendenz in diese Richtung kennzeichnet den vorherrschenden politischen Diskurs.4) Gegenargumente kommen aber nicht nur aus dem Finanzsektor, sondern auch von wissenschaftlicher Seite. Es wird grundsätzlich die konzeptionelle Willkür, die Vergangenheitsfixiertheit und daher prozyklische Wirkung der quantitativen Risikobemessungskonzepte kritisiert. Eine makroprudentiell, antizyklisch intendierte Anordnung höherer Eigenkapitalpuffer bei befürchteten Überhitzungen etwa des Immobilienmarktes sei nicht in gleicher Weise für andere Märkte und Geschäftsbereiche geeignet. So könne sich der Circuit-Breaker unter Umständen sogar als Brandbeschleuniger auswirken.

Auch unbedingte Transparenz zur Identifizierung und Abwehr von Systemrisiken sei gerade am kurzfristigen Ende kontraproduktiv. Diese Position wird besonders prononciert von Bengt Holmstrom vertreten.5) Als Beispiel dient ihm wieder der Repo-Markt, dessen reibungsloses Funktionieren gerade darauf beruhe, dass der Einsatz der als Collateral eingesetzten Wertpapiere in besonderem Maße informations-insensitiv sei. Das ist sicher richtig in dem Sinne, dass der Kreditgeber bei einem kurzfristigen Repo-Geschäft nicht in irgendeiner Weise in ein Due Diligence eintritt, sondern ein gängiges Wertpapier als solches ohne Rückfragen akzeptiert.

Gesamtsystem komplex und arbeitsteilig

Wie die Subprime-Mortgage-Krise zeigt, führten die allmählich und bruchstückhaft sich ausbreitenden Informationen zu Problemen im US-Subprime-Mortgage mit enormer Verzögerung - dann aber umso exzessiver - zur Zerstörung des gesamten - auch des nicht Immobilienbezogenen - Verbriefungsmarktes sowie des gesamten Marktes für Asset Backed Commercial Paper, und zwar auch in dessen fundamental werthaltigen Bereichen.

Das Gesamtsystem ist, mit anderen Worten, so komplex und damit arbeitsteilig geworden, dass der Repo-Trader schon seit Langem nicht mehr zugleich Securitisation expert sein kann und sich daher in seinen tagtäglichen Dispositionen von allgemeinen, ungefähren, gerade vorherrschenden Einschätzungen leiten lassen muss, wenn er überhaupt entscheidungsfähig bleiben will. Diese unverzichtbare Grunddisposition nennt Bengt Holmstrom recht drastisch "symmetric ignorance", ohne die aber der Markt am kurzen Ende nicht funktionieren könne.

Deshalb sei die Effizienzmarkthypothese (das heißt dem Investor sind alle für seine Anlageentscheidungen relevanten Umstände vollständig bekannt) als unrealistisch und in der Praxis zerstörerisch abzulehnen. Holmstrom fordert im Gegenteil "purposeful opacity", also vertrauensbildendes Geraune ohne konkrete Substanz, und zitiert in diesem Zusammenhang den berühmt gewordenen Halbsatz aus Mario Draghis Rede vom 26. Juli 2012, in welcher der EZB-Präsident ankündigte, diese sei zur Rettung des Euro bereit "to do whatever it takes".

Holmstrom räumt selbstverständlich ein, dass auch "symmetric ignorance" keine Finanzmarktstabilität sichern könne. Die Geschichte zeige, dass Blasen und deren Platzen unvermeidbar in der Natur der Finanzmärkte lägen. Jedwede regulativen Anstrengungen, dieselben total auszumerzen, seien vergebens und könnten den Markt nur instabiler machen. Wie immer schon, müssten nach dem nächsten Crash die Zentralbanken eben wieder intervenieren und das System wieder ans Laufen kriegen. Ob bei Holmstroms Einschätzungen letztlich Resignation, Sarkasmus oder Zynismus überwiegen, ist schwer auszumachen.

Man muss Holmstrom aber nicht unbedingt folgen. Denn auch dann, wenn eine perfekte Marktregulierung eher unrealistisch sein dürfte, und schon gar nicht in ein administriert repressives Pricing der Märkte durch die Zentralbanken umschlagen sollte, wäre als praktischer nächster politischer Schritt zu überlegen, ob nicht durch geeignete Standardisierungen der Anleihemärkte analog dem US-Treasury-Markt6) und durch stärkere Standardisierungen auch von Refinanzierungsinstrumenten7) eine höhere Liquidität der Sekundärmärkte wiederhergestellt werden kann, damit sich zumindest Ansätze einer effizienten Allokation von Kapitalressourcen aufgrund eines Marktmechanismus bilden. So könnten sich nicht nur im Kapitalmarkt, sondern auch am kurzfristigen Geldmarkt robustere Fundierungen entwickeln, welche tektonische Marktbeben bei langsamen oder auch abrupten Veränderungen des Umfeldes abzufedern geeignet sind.

Fußnoten

1) Download unter: http://www.financialstabilityboard.org/publications/r_141030.pdf

2) Siehe dazu Gary B. Gorton: Misunderstanding Financial Crises/Why We Don't See Them Coming; Oxford University Press 2012.

3) National Bureau of Economic Research, Working Paper 15223, August 2009; download unter: http:// www.nber.org/papers/w15223.pdf

4) Besonders optimistisch in dieser Richtung etwa Andrew Haldane, Chefökonom der Bank von England, in einer Rede vom 29. Oktober 2014 an der Universität Birmingham: "Managing Global Finance as a System"; download unter: http://www.bankofengland.co.uk/publications/Documents/speeches/2014/speech772.pdf

5) "Understanding the Role of Debt in the Financial System"; Vortrag auf der 13. Jahreskonferenz der BIZ am 27. Juni 2014 in Luzern; download unter: http://www.bis.org/events/conf140626/holmstrom_ paper.pdf

6) Siehe: Corporate Bond Market Structure: The Time for Reform is Now; Black-Rock Viewpoint, 22. September 2014; download unter: https://www.blackrock.com/corporate/enmx/literature/whitepaper/ viewpointcorporatebondmarketstructureseptember-2014.pdf

7) Vgl: Gary B. Gorton/Andrew Metrick: Regulating the Shadow Banking System, NBER Working Paper 18. Oktober 2010; download unter: http://papers. ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id= 1676947

Michael Altenburg , Luzern, Schweiz

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