Warum Banken sich auf Decentralized Finance vorbereiten müssen

Shuki Licht, Foto: Finastra

Laut dem Autor sind Decentralized Finance und Kryptowährungen in Deutschland noch kein Mainstream und es werde auch noch eine Weile dauern, bis sie ein Teil des Finanzalltags des Durchschnittsbürgers werden. Dennoch sieht Licht diese Märkte klar auf dem Vormarsch. Vor allem in den Segmenten Peer-to-Peer-Kredite, Peer-to-Peer-Payments und der komplexe Bereich der Handelsfinanzierung böten großes Potenzial. Banken sollten das nicht als Bedrohung empfinden, sondern die Nachfrage danach gezielt zur Kundenbindung nutzen. Gerade für die Aufklärung über die hohen Risiken und die Volatilität von DeFi und Kryptowährungen sieht er die Banken in einer guten Position. Die genannten Segmente seien aber nur Beispiele, wie Banken profitieren könnten. Licht geht davon aus, dass DeFi "gekommen ist um zu bleiben", es sei nun nur die Frage, wie die Banken und Finanzinstitute darauf reagieren. (Red.)

Laut einer aktuellen Studie nutzen oder besitzen lediglich 10 Prozent der 2 000 in Deutschland befragten Personen Kryptowährungen (Statista Global Consumer Survey). Die Adaption von Decentralized Finance (DeFi) ist sogar geringer. Im Vergleich zu anderen Märkten, beispielsweise den USA, hinkt Deutschland bei DeFi und digitalen Assets hinterher. Das zeigt deutlich, dass DeFi und digitale Währungen noch kein Mainstream sind und es noch etwas dauern wird, bis sie ein Teil des Finanzalltags des deutschen Durchschnittsbürgers werden. Dennoch ist weltweit ein zunehmendes Interesse der Verbraucher zu spüren, mit dem auch das Potenzial wächst, das globale Bankensystem signifikant und nachhaltig zu verändern. DeFi ist hier eines der zentralen Schlagworte. Denn ähnlich wie der durch die Einführung des Online- und Mobile Bankings ausgelöste Wandel, lassen sich durch DeFi und digitale Währungen Bankgeschäfte auf völlig neue Weise gestalten.

DeFi ermöglicht es, Finanzaktivitäten auf einer Blockchain, meist Ethereum, durchzuführen. Transaktionen und Regulationen basieren vollständig auf einem Code, der in einem intelligenten Vertrag enthalten ist und innerhalb von Millisekunden ausgeführt wird. Dadurch entfällt die Notwendigkeit, dass Menschen aktiv in diesen Prozess eingreifen. Durch DeFi haben Einzelpersonen somit die Möglichkeit, außerhalb einer traditionellen Bankbeziehung oder -umgebung auf Kapital zuzugreifen, es zu tauschen und zu vermehren.

Für Finanzinstitute auf der anderen Seite ist diese Entwicklung häufig ein Grund zur Sorge, besonders weil sie seit jeher den persönlichen Service als Antrieb für den Aufbau von Beziehungen und die Kundenbindung nutzen. Anstatt sich dieser Disruption aus Angst vor Obsoleszenz zu wiedersetzen, müssen Banken Wege finden, um mit Kunden, die sich für diesen Bereich interessieren, in Kontakt zu treten und bestmöglich auf ihre Bedürfnisse und Präferenzen einzugehen. Da die Akzeptanz von DeFi bei den Verbrauchern steigt, sind Finanzinstitute zudem angehalten, einen Weg zu finden, dieser steigenden Nachfrage gerecht zu werden, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Geschickt aufgestellt, können Banken und Finanzinstitute von DeFi profitieren.

Drei Bereiche sind bei der Anwendung besonders relevant: Peer-to-Peer-Kredite, Peer-to-Peer Payments und der komplexe Bereich der Handelsfinanzierung. Das sind drei Beispiele dafür, wo DeFi den Status quo grundlegend verändern könnte. Für Banken gilt deshalb, sich mit den Innovationen in diesem Bereich genaustens auseinanderzusetzen und ihre Angebote entsprechend weiterzuentwickeln und dem wachsendem Markt anzupassen.

Peer-to-Peer-Kreditvergabe

Online-Peer-to-Peer-Kredite gibt es schon seit Jahren. Die DeFi-Version steckt jedoch noch in den Kinderschuhen. Der Unterschied zwischen traditionellen Peer-to-Peer-Kreditplattformen und DeFi besteht darin, dass die Blockchain den Zwischenhandel durch intelligente Verträge überflüssig macht. Alle, die eine digitale Brieftasche besitzen, können Geld verleihen oder einen Kredit aufnehmen und Zinszahlungen leisten. Kreditnehmer und Kreditgeber verbinden ihre digitalen Geldbörsen mit einer beliebigen DeFi-Kreditvergabe-App, wählen ihren bevorzugten Zinssatz, die Währung und die Liquidität aus, und die App erarbeitet einen intelligenten Vertrag für ihren Kredit. Weder der Kreditnehmer noch der -geber müssen der anderen Partei des Kredits vertrauen oder sie gar kennen. Die DeFi-App verfolgt das Darlehen, zieht die Zahlungen automatisiert über den intelligenten Vertrag ein und sichert Rücklagen, um Zahlungsausfälle zu vermeiden.

Wie die traditionelle Peer-to-Peer-Kreditvergabe, klammert auch die DeFi-Peer-to-Peer-Kreditvergabe traditionelle Banken aus. Der Markt für diese Dienstleistung wächst allerdings schnell. Statt diese Entwicklung als Gefahr anzusehen, sollten Banken das große Potential erkennen, Kunden zu bedienen, die sich für diesen Bereich interessieren. Zum Beispiel durch den Zugang zu digitalen Brieftaschen und Kryptobörsen, die mit bestehenden Bankkonten verbunden sind. Sie sind auch gut positioniert, um die Kunden über mögliche Risiken aufzuklären.

Die Blockchain-Technologie und digitale Währungen könnten Banken auch aus dem Devisenhandel und dem grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr verdrängen. Traditionell muss ein Bankkunde, der beispielsweise von Frankfurt nach Singapur reist, bei einer Bank oder einer anderen Wechselstube Euro in Singapur-Dollar tauschen. Wie viele Singapur-Dollar die europäische Währung wert ist, hängt dabei von dem Wechselkurs zum Zeitpunkt der Transaktion ab. Reisende, die über eine digitale Geldbörse und Zugang zu einer App zum Tausch von Kryptowährung verfügen, können mit dieser App ihre Bitcoin oder Ethereum in DAI, einen an den Wert des Euros gebundenen Stablecoin, wechseln und mit dieser digitalen Währung Singapur-Dollar kaufen. Dieser Prozess findet vollständig digital statt und vermeidet die mit dem traditionellen Devisenhandel verbundenen Gebühren. Banken spielen auch in diesem Anwendungsfall nach wie vor eine Rolle. Die von den Zentralbanken geschaffenen Stablecoins können verwendet werden, um den Währungsumtausch zu erleichtern. Doch dieser Prozess steht ebenfalls noch am Anfang. Eine gute Möglichkeit für Finanzinstitute also, unterstützend an der Entwicklung teilzuhaben. Banken, die Kryptowährungs-Wallets und Umtausch-Apps zur Verfügung stellen, haben schließlich bessere Chancen, ihre Kunden an sich zu binden - selbst wenn sie Devisendienste vermeiden und stattdessen digitale Währungen verwenden. Im Bereich der Geschäftsbanken hat DeFi das Potenzial, die Rolle der Banken bei der Handelsfinanzierung zu verändern. Derzeit agieren Banken als Drittpartei zwischen Importeuren und Exporteuren, um Risiken zu minimieren und den globalen Handel durch Kredite, Kreditlinien, Akkreditive und andere Finanzinstrumente zu erleichtern. Mit intelligenten Verträgen über die Blockchain entfallen allerdings auch diese Aufgaben.

Anstatt die Finanzierung und das Risikomanagement über Banken abzuwickeln, können Importeure und Exporteure dezentrale Apps (dApps) einsetzen, um intelligente Verträge zu erstellen, die bei Warenlieferung automatisiert die Zahlung auslösen. Die dApps verwenden APIs zur Validierung von Arbeitsabläufen. Auch wenn DeFi-Anwendungen bei der Handelsfinanzierung noch nicht aktiv genutzt werden, senken sie die Kosten. Zudem erleichtern sie den Zugang zu kleineren Akteuren auf dem Markt, die möglicherweise nicht über die Bankbeziehungen verfügen, die traditionelle Vereinbarungen zur Handelsfinanzierung unterstützen. Die Erstellung einer digitalen Brieftasche und das Herunterladen einer App sind schneller und einfacher als die Eröffnung eines Bankkontos und die Beantragung einer Finanzierung. Auch hier gilt: Banken, die es ihren Kunden ermöglichen, DeFi-Lösungen kennenzulernen und zu nutzen, sind in der Lage mit Interessenten in Kontakt zu treten, die ihre Dienste sonst nicht in Anspruch nehmen würden.

Innovationen fördern

Es besteht kein Zweifel daran, dass DeFi und digitale Währungen immer beliebter werden und langsam Einzug in den Finanzalltag der deutschen Bevölkerung finden werden. Sie gehören zu einem aufstrebenden und sich schnell entwickelnden Bereich der Finanzdienstleistungen. Ein wesentlicher Treiber hierfür ist die weltweite digitale Revolution, die, vorangetrieben durch die Pandemie, immer mehr Menschen zu Kleininvestitionen und Handel führt. Darüber hinaus wird das Thema Blockchain zwar schon seit mehreren Jahren diskutiert, aber die Technologie ist nun offiziell "etabliert" und wird in konkreten Anwendungsfällen eingesetzt.

Banken und andere traditionelle Finanzinstitute sind einmal mehr gefragt, sich den neuen Bedürfnissen anzupassen und ihre Rolle in der Finanzwelt von heute und von morgen neu zu definieren. Banken genießen das Vertrauen ihrer Kunden, wenn es um Finanzdienstleistungen geht. Das bedeutet, dass sie die Möglichkeit haben, die notwendige Aufklärung über die hohen Risiken und die Volatilität von DeFi und digitalen Währungen zu leisten. Sie können auch sicherstellen, dass angemessene Prozesse für eine sichere Identitätsüberprüfung und Betrugsbekämpfung vorhanden sind, wie beispielsweise KYC-Prüfungen, Datenschutz und AML. Banken müssen einen Rahmen schaffen, der den regulatorischen Anforderungen entspricht.

Schließlich geht es darum, Banking-Lösungen so zu gestalten, dass es den Bedürfnissen und Präferenzen aktueller und zukünftiger Kunden entspricht. Und genau das können Finanzinstitute, die jahrzehntelange Erfahrung damit haben, vertrauensvolle Beziehungen zu ihren Kunden aufzubauen, zu ihrem Vorteil machen, wenn sie Innovationen fördern. Wenn die Akzeptanz digitaler Währungen in Deutschland weiter zunimmt, könnte dies für deutsche Banken und Finanzinstitute auch neue Einnahmequellen und mehr Kundenzufriedenheit bedeuten. Peer-to-Peer-Kredite, Peer-to-Peer-Zahlungen und Handelsfinanzierung sind nur drei beispielhafte Bereiche, in denen Banken davon profitieren können, DeFi und die Anwendungsbereiche von digitalen Währungen zu verstehen und ihre Angebote entsprechend zu erweitern. Denn DeFi ist gekommen, um zu bleiben. Die große Frage ist nun, wie und ob Banken und Finanzinstitute darauf reagieren.

Shuki Licht , SVP, Chief Innovation Officer , Finastra, Atlanta, USA
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