Aufsätze

Zeitgemäß, bewährt, erfolgreich: das genossenschaftliche Geschäftsmodell

Die Finanzkrise hat deutlich gezeigt, dass Genossenschaftsbanken stets gut beraten waren, ohne strategische Kapriolen und übereilte Geschäftsmodellveränderungen verlässlich und berechenbar für ihre Mitglieder und Kunden da zu sein, und zwar mit einem umfassenden Angebot klassischer, natürlich auch innovativer Produkte und Dienstleistungen. Allfinanz vor Ort, nah und begreifbar statt "global Investmentbanking" mit großer Distanz und "unbegreifbar".

Gestärkte Position

Das haben inzwischen auch viele Marktbeobachter außerhalb der genossenschaftlichen Finanzgruppe bemerkt und ihr früher gepflegtes Urteil korrigiert: Das kundenorientierte Bankgeschäft, wie es sich die Genossenschaftsbanken immer schon auf die Fahnen geschrieben haben, gilt nun doch nicht mehr als antiquiert, wie es noch vor Kurzem gelegentlich dargestellt wurde. Die für Genossenschaftsbanken typische Hinwendung zum Kunden, die Ausrichtung und zugleich Beschränkung auf die eigene Region zeigt sich als Erfolgsmodell und als volkswirtschaftlicher Stabilitätsfaktor gleichermaßen. Was vor gar nicht allzu langer Zeit als angestaubt galt, ist jetzt wieder modern. Banken gelten zu Recht auch nicht mehr als zu klein, sondern allenfalls als zu groß.

Die Finanzkrise hat die Position der genossenschaftlichen Finanzgruppe im deutschen Bankenmarkt zweifellos gestärkt. Das lässt sich auch mit Zahlen belegen. Während die Großbanken in den Jahren 2007 bis 2011, also seit dem Beginn der Finanzkrise, ihre Kredite an Nichtbanken um mehr als zehn Prozent reduzierten, wuchsen die Ausleihungen der Volksbanken und Raiffeisenbanken um über 14 Prozent. Auch auf der Einlagenseite sind die Marktanteile gestiegen. Volksbanken und Raiffeisenbanken haben mehr Mitglieder und Kunden als je zuvor. Über 30 Millionen Kunden und jetzt über 17 Millionen Mitglieder zeugen von der Anziehungskraft des Modells der genossenschaftlich orientierten Bank.

Besonders symbolträchtig für das veränderte öffentliche Meinungsbild ist wohl auch die Entscheidung der Vereinten Nationen, das Jahr 2012 zum "Internationalen Jahr der Genossenschaften" auszurufen. Damit wird auf die weltweite Bedeutung von Genossenschaften aufmerksam gemacht. Mit dieser Würdigung geht zugleich eine große globale Beachtung ihres Wirkens für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung einher.

Weiterentwicklung der bewährten Ideen

Es lohnt sich deshalb, einmal genauer hinzuschauen, um zu erkennen, welche Gründe für den anhaltenden Erfolg des genossenschaftlichen Geschäftsmodells sprechen. Der Erfolg beruht ohne Zweifel auf der konsequenten Weiterentwicklung der seit über 150 Jahren bewährten Ideen der Gründungsväter. Genossenschaften, und damit auch Genossenschaftsbanken, sind geprägt durch die Prinzipien der Selbsthilfe, der Selbstverwaltung und der Selbstverantwortung.

Genossenschaftsbanken sind nicht den Gewinninteressen anonymer Investoren unterworfen. Sie haben vielmehr die Aufgabe, ihre Mitglieder zu fördern, Werte für sie zu schaffen. Sie sind eng mit ihrer Region verbunden - aus der Region für die Region. Das ist mehr als nur ein gängiger Slogan. Es ist das Prinzip der regionalen Wertschöpfung, das sich elementar von einer weltweiten Ertragsoptimierung internationaler Konzerne unterscheidet. Wertorientiertes Wirtschaften steht für Genossenschaftsbanken an erster Stelle. Subsidiarität, Solidarität und Souveränität sind für sie prägende Aspekte ihrer Geschäfts- und Unternehmensphilosophie. Diese geschäftspolitische Ausrichtung wird von immer mehr Menschen beachtet, gewürdigt und als Unterscheidungsmerkmal gewertet.

Im Gegensatz zu kapitalmarktorientierten Unternehmen müssen Genossenschaftsbanken ihre Strategie und ihr Handeln auch nicht quartalsweise je nach aktuellen Entwicklungen oder vermeintlicher Erwartungshaltung der Märkte neu ausrichten. Dies schafft in den Unternehmen eine Kultur, die den Mitarbeitern in ihrer täglichen Arbeit ein Grundgefühl von Sicherheit und Stabilität sowie verlässlicher Orientierung gibt.

Und diese Kultur schafft zugleich Vertrauen - Vertrauen, das viele Kunden suchen. Und immer mehr Kunden suchen zugleich Nähe und Überschaubarkeit. Die dezentrale Struktur stellt einen nicht unbedeutenden Erfolgsfaktor der genossenschaftlichen Finanzgruppe dar. Aber es bleiben Herausforderungen. So dauern beispielsweise Entscheidungen in einem dezentralen Netzwerk häufig länger und sie müssen besser begründet werden als in einem zentralistisch bestimmten hierarchischen Konzern. Die vielfältige Gremienstruktur der Gruppe kostet mitunter Zeit.

Entscheidungsfindung in einem dezentralen Netzwerk

Doch schnelle Entscheidungen sind noch kein Wert an sich. Sie können sich auch nachträglich als fatale Fehlentscheidung herausstellen. Dagegen hat die Entscheidungsfindung in einem dezentralen Netzwerk einen unschätzbaren Vorteil: Die Gefahr, mit Entscheidungen gravierende Fehler zu begehen, die sich unmittelbar vervielfältigen, wird deutlich eingegrenzt. Dafür sorgt die Gremien- und Kontrollstruktur innerhalb des genossenschaftlichen Netzwerkes. In Zeiten, in denen Herausforderungen auftauchen, die völlig neu sind, bei denen man nicht auf gesammelte Erfahrungen zurückgreifen kann und die keine Parallelen zu gestern oder vorgestern aufweisen, ist dies eine durchaus moderne Art der Entscheidungsfindung.

Einer der zentralen Leitgedanken Friedrich Wilhelm Raiffeisens bekommt insoweit eine gänzlich neue Interpretation: "Was dem Einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele." Der Grundsatz der in der genossenschaftlichen Finanzgruppe verabredeten Arbeitsteilung gilt unverändert. Er ist völlig zeitlos. Was die Möglichkeiten der einzelnen Volksbank oder Raiffeisenbank vor Ort übersteigt, das kann sie in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk der genossenschaftlichen Finanzgruppe zum Wohle ihrer Mitglieder und Kunden erreichen. Und dieser Rückhalt eröffnet es den Genossenschaftsbanken, nah bei ihren Kunden zu sein. Mehr als 1100 Banken mit über 13000 Filialen bilden eines der dichtesten Finanzdienstleistungsnetze in Deutschland. Rund 190000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter setzen sich Tag für Tag für die Mitglieder und Kunden ihrer Genossenschaftsbank ein. Alle vereint ein Ziel: Wirtschaften mit den Menschen und für die Menschen, Wirtschaften in der Region und für die Region.

Ungeachtet dessen muss sich aber auch die genossenschaftliche Finanzgruppe den zukünftigen Herausforderungen stellen. Als ein Beispiel sei hier die demografische Entwicklung genannt: Ohne gezielte Maßnahmen und Aktivitäten wird sich die Zahl der Kundenverbindungen in spätestens zehn Jahren deutlich verringert haben, da die Marktanteile der genossenschaftlichen Finanzgruppe bei den älteren Jahrgängen größer ist als bei den jüngeren. Gerade bei der Jugend und der jungen Generation hat der genossenschaftliche Bankensektor noch Nachholbedarf, beispielsweise bei den Themen Internetauftritt, Social Media und technischem Komfort.

Es lässt sich beobachten, wie sich das Verhalten der Kunden verändert. Internet und Social Media bringen es mit sich, dass sie immer mehr Informationen über Bankprodukte und-dienstleistungen zur Verfügung haben und diese miteinander vergleichen. Die Qualität der Bank, ihrer Leistungen, ihrer Mitarbeiter wird bewertet und beispielsweise über Berater-Rankings sehr schnell für jedermann deutlich gemacht. In Foren und Communities tauschen Kunden und Experten - echte und vermeintliche - Empfehlungen und Erfahrungen miteinander aus. Da kann man ins Gerede kommen. Positiv wie negativ. Zwar sind diese Art der Kommunikation und die gezielte Weitergabe von relevanten Informationen gerade bei Finanzdienstleistungen bis heute noch nicht allzu weit verbreitet. Aber ihre Bedeutung steigt rasant.

Reaktion auf verändertes Kundenverhalten

Die genossenschaftliche Finanzgruppe ist auf den Plattformen im Internet nicht gerade prominent vertreten. Zudem sind die Internetauftritte der Volksbanken und Raiffeisenbanken heterogen, nicht allein in Bezug auf ihr Layout und die verwendeten Style Guides, sondern auch in Bezug auf ihre Benutzerfreundlichkeit und die Qualität der bereitgestellten Informationen. Geschlossenheit im Auftritt ist hier gewiss noch nicht erreicht, es besteht Nachholbedarf.

Eine weitere Herausforderung ist Folge der bereits erwähnten demografischen Entwicklung. Auch Genossenschaftsbanken sehen sich bei der Gewinnung geeigneter Mitarbeiter zunehmend einem spürbar wachsenden Wettbewerb ausgesetzt. Zukünftig werden Methoden der Personalgewinnung und Themen wie Arbeitgeberattraktivität und Personalmarketing weitaus stärker als bislang Berücksichtigung finden müssen. Der Wettbewerb um den Kunden wird ergänzt durch den Wettbewerb um die besten Mitarbeiter.

Die größte Herausforderung kommt allerdings von ganz woanders - vom Staat. Die gesamte genossenschaftliche Finanzgruppe muss sich zur Wehr setzen gegen die Gleichbehandlung der Banken durch eine überbordende, vor allem aber völlig undifferenzierte Regulierung. Die genossenschaftliche Bankengruppe bedarf eines solchen Ausmaßes an Regulierung, wie es gegenwärtig erkennbar ist, nicht. Eine strenge Regulierung wäre an ganz anderer Stelle geboten. Sie wäre geboten hinsichtlich der Entwicklung vieler europäischer Staatshaushalte. Denn davon hängt vieler Schicksal ab - mittelbar und unmittelbar.

Undifferenzierte Regulierung

Bisher jedenfalls hat das politische Europa in Sachen versprochener Haushaltssanierung kaum durch entschlossene Entscheidungen und tatkräftige Umsetzungsschritte überzeugen können. Aber gerade darauf wird es ankommen. Es herrscht vielleicht noch mehr als eine ökonomische eine politische Krise. Es gab zu viele Euro-Jahre der gebrochenen politischen Versprechen. Aber die Schuldenkrise steht auch in einem nicht zu unterschätzenden Zusammenhang mit der strukturellen Krise des Wirtschafts-, Wachstums- und Wohlfahrtsmodells - in Deutschland und in Europa. Wenn mehr Wert auf Freizeit als auf Anstrengung, mehr Wert auf Sicherheit als auf Risikobereitschaft, mehr Wert auf Bewahrung als auf Erneuerung oder auch mehr Wert auf Bevormundung als auf Freiheit gelegt wird, dann wird all das unterlaufen, was Deutschland erfolgreich gemacht hat. Darauf weisen inzwischen ja Länder aus anderen Kontinenten hin. Gerade die Kreditgenossenschaften hätten mit Blick auf ihre Wurzeln und ihre Geschichte in diesem Sinne gewiss einiges zu vermitteln. Sie sollten es tun - gerade im Internationalen Jahr der Genossenschaften.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X