Wirtschaftsnobelpreis

Verdienste um die "mikroökonomische Fundierung" der Makroökonomik

Prof.Dr.Hans Peter Grüner, Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik an der Universität Mannheim, schreibt der Redaktion: "Es ist eine gute Tradition, dass Nobelpreise erst nach einer geraumen Zeit vergeben werden. So kann man in aller Ruhe abwarten, ob eine wissenschaftliche Innovation tatsächlich nach einigen Jahren oder Jahrzehnten den anfangs erwarteten Erfolg gezeigt hat und die Richtung einer Wissenschaft maßgeblich geprägt hat. Manchmal dauert es aber auch solange, dass die entsprechende Innovation gänzlich in den wissenschaftlichen Alltagsgebrauch übergegangen ist und man über die Vergabe des Preises fast etwas verblüfft ist. Ein solcher Fall ist die Vergabe des Wirtschaftspreises der schwedischen Reichsbank an Edmund Phelps in diesem Jahr.

Phelps wesentliche Beiträge zu den Wirtschaftswissenschaften stammen aus den sechziger Jahren. Sie liegen also fast 40 Jahre zurück. Das Nobelkomitee würdigt insbesondere seinen Beitrag zur mikroökonomischen Fundierung makroökonomischer Modelle. Zusammen mit anderen Ökonomen, insbesondere Milton Friedman und Robert Lucas, hat Phelps wesentlich dazu beigetragen, die Bedeutung von Inflationserwartungen im Wirtschaftsprozess hervorzuheben. Der wesentliche Beitrag von Phelps bestand in einem mikroökonomischen Modell, in dem die Lohnsetzung durch rationale Wirtschaftssubjekte untersucht wird. Phelps hebt hervor, dass die Erwartung der Wirtschaftssubjekte im Hinblick auf die Inflationsrate in die Lohnsetzung eingeht, und zeigt, dass die reale wirtschaftliche Aktivität, also reale Löhne ebenso wie die Höhe des Bruttosozialproduktes nur durch Abweichung der tatsächlichen Inflationsrate von der erwartenden Inflationsrate beeinflusst wird, nicht aber vom Niveau der Inflation selbst. Phelps theoretisches Modell hat also dazu beigetragen, die Abkehr von der hergebrachten Interpretation der so genannten Philipskurve einzuleiten, die einen stabilen langfristigen Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosenrate beschreibt.

Nach Phelps ist die Philipskurve nicht stabil, sondern verschiebt sich mit den Inflationserwartungen, das heißt, eine Inflationsrate von fünf Prozent hat nur dann einen Beschäftigungseffekt, wenn die Inflationserwartungen eben nicht bei fünf Prozent liegen. Nur in diesem Falle täuschen sich die Wirtschaftssubjekte und setzen Lohnsteigerungen fest, die aus ihrer Sicht eigentlich zu niedrig sind und generieren so einen Beschäftigungsimpuls. Diese Einsicht steht in enger Verbindung mit Arbeiten von Milton Friedman und Robert Lucas. Lucas erkannte, dass Zusammenhänge wie die in der Philipskurve beschriebenen nicht von Regierungen ausgenutzt werden können, um wirtschaftspolitische Ziele zu erreichen, wenn die Wirtschaftssubjekte das Verhalten der Regierung korrekt antizipieren.

An Phelps Arbeit ist besonders positiv zu bewerten, dass sie sich um ein besseres, auf der Untersuchung von Individualentscheidungen basierendes Verständnis makroökonomischer Phänomene bemüht. Phelps hat damit geholfen, in den sechziger Jahren die theoretische Untersuchung der Makroökonomie wesentlich zu verfortschrittlichen. Ohne eine solche "mikroökonomische Fundierung" der Makroökonomik kann diese alleine auf ad hoc postulierten Zusammenhängen zwischen Aggregaten basieren. Eine nähere Rechtfertigung solcher Zusammenhänge über nachvollziehbares Individualverhalten verleiht der Theorie wesentlich mehr Gewicht.

Ein weiterer wesentlicher Beitrag Phelps aus wirtschaftstheoretischer Sicht liegt in der detaillierten Analyse des Informationsflusses in einer Marktwirtschaft. Auf Märkten treten Informationen dezentral auf und diffundieren oft langsam und regional. Phelps beschreibt diesen Zusammenhang in einem Insel-Modell, in dem Wirtschaftssubjekte nur mit zeitlicher Verzögerung Informationen erhalten und nur zu bestimmten Kosten von einer Insel zur anderen auswandern können. Phelps Inselparabel ist für sich genommen ein wertvoller Beitrag der später in der Mikroökonomie in anderem Zusammenhang bei der Beschreibung von Marktprozessen aufgegriffen wurde.

Auf der monetaristischen Gegenrevolution, die durch Friedman, Phelps und Lucas in den sechziger und siebziger Jahren eingeleitet wurden, basiert im Wesentlichen das heute gängige Verständnis von staatlicher Geldpolitik. In der Folge entwickelten Finn Kydland und Edward Prescott, sowie Robert Barro und Roger Gordon, Modelle, die die Interaktion zwischen Wirtschaftssubjekten und politischen Entscheidungsträgern aus spieltheoretischer Sicht analysieren. Diese Modelle basieren auf den Phelpsschen Ergebnissen und gehen davon aus, dass alleine Abweichungen der tatsächlichen Inflation von der erwarteten Inflation beschäftigungswirksam sein können. Auf dieser Basis zeigen sie, dass das Bemühen der monetären Autorität, also entweder des Finanzministeriums oder der Zentralbank, um eine Steigerung der Beschäftigung am Ende nicht in mehr Beschäftigung, sondern nur in mehr Inflation mündet, wenn dieses Bemühen von der Öffentlichkeit richtig erkannt wird. Das Ergebnis ist dann ein unverändertes und oft niedriges Beschäftigungsniveau verbunden mit Inflation, die so genannte Stagflation.

Sicherlich hat die Stagflation in den siebziger Jahren dieser Interpretation makroökonomischer Politik mit zum Durchbruch verholfen. Die monetaristische Revolution dieser Zeit hat - verbunden mit der spieltheoretischen Analyse des Zusammenspiels zwischen Wirtschaftssubjekten und Zentralbank - die heutigen Ansichten zur richtigen Ausgestaltung der Zentralbanken wesentlich beigetragen. Dies hat insbesondere seinen Niederschlag in der Ausgestaltung der europäischen Zentralbank in den Maastrichter Verträgen gefunden. Der große Erfolg der europäischen Währungsunion beim Erreichen eines stabilen Preisniveaus hat mit den vorher genannten Ökonomen eine Reihe wichtiger Väter.

Neben den Beiträgen zur Geldtheorie hebt das Nobel-Komitee andere Arbeiten Phelps, insbesondere zur Analyse wirtschaftlichen Wachstums und zur Analyse der Dynamik makroökonomischer Phänomene, hervor."

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