Aufsätze

Risikohebel, Anreizsysteme und Finanzstabilität

Rund zweieinhalb Jahre nach dem offenen Ausbruch der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg beginnen sich die Pulverschwaden zu verziehen. Die Gefahr einer globalen Deflationsspirale, die unmittelbar nach dem Zusammenbruch der systemrelevanten US-Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 offenbar geworden war, konnte gebannt werden, dank der staatlichen Rettung anderer systemrelevanter Finanzinstitute (Finanzintermediäre) in den USA und in Europa, dem expansiven Liquiditätsmanagement der Zentralbanken im internationalen Interbankenhandel, den sonstigen Krisenprogrammen, den automatisch wirkenden Wirtschaftsstabilisatoren sowie den kreditfinanzierten Konjunkturprogrammen.

Alle Indikatoren deuten nunmehr darauf hin, dass die reale Weltwirtschaft schon im zweiten Halbjahr 2009 langsam wieder Tritt gefasst hat und in 2010 weiter langsam wächst, nachdem Produktion und Handel im 4. Quartal 2008 in die Phase eines freien Falls übergegangen waren.

Initiativen auf der Ebene der G20

Nach der zweiten Konferenz der Staats- und Regierungschefs der Gruppe der G20 in London1) am 2. April 2009 haben diese sich zum dritten Mal am 24./25. September in Pittsburgh getroffen, um die nationalen Maßnahmen des aktuellen Krisenmanagements global zu koordinieren. Im Vorfeld waren am 5. September 2009 die Finanzminister und Zentralbankgouverneure der G202) in London zusammengetroffen. Einerseits geht es darum sicherzustellen, dass die Realwirtschaft jetzt ausreichend und zu angemessenen Konditionen mit Krediten versorgt, der aufgeblähte Finanzsektor (overleveraging) jedoch mittelfristig zurückgeführt wird.

Entschärft wird die jetzige Lage durch das Versprechen der verantwortlichen Stellen, die expansiven geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen schrittweise und nur in dem Maße abzubauen beziehungsweise die ins Auge gefassten erhöhten Eigenkapitalanforderungen an die Finanzinstitute, für die mittlerweile die Konsultationsphase läuft, erst dann einzufordern, wenn der angestrebte Konjunkturaufschwung wieder in der Breite Fuß gefasst hat. Insoweit geht die massive Kritik, die insbesondere von Vertretern der Kreditwirtschaft an einigen Vorschlägen im In- und Ausland geäußert wird, ins Leere.

Einige der im Forderungskatalog der G203) angesprochenen Maßnahmen, insbesondere solche zur Weiterentwicklung der Eigenkapitalvorschriften4), fügen sich konzeptionell durchaus in den bisherigen Rahmen der Basel-II-Vorschriften ein. Diese sind in der EU immerhin seit dem 1. Januar 2008 voll in Kraft, nicht aber zum Beispiel in den USA. Zu den ersten Einzelmaßnahmen, die hier nur angeführt werden sollen, zählen beispielsweise einige Anpassungen im Verbriefungsbereich, insbesondere die Erhöhung der Kapitalanforderungen für Wiederverbriefungen sowie für bestimmte Liquiditätsfazilitäten zugunsten von Verbriefungsgesellschaften oder Zweckgesellschaften außerhalb der Bankbilanzen mit ausgelagerten Risikopositionen, soweit bilanzielle Konsolidierungsvorschriften nicht greifen.

Zu erinnern ist daran, dass die sogenannten SPVs oder Conduits als Teil des Bereichs der "Schattenbanken" die Finanzkrise im Rahmen des neuen Geschäftsmodells "Pro-duce-to-distribute" - im Gegensatz zum traditionellen Geschäftsmodell "Produce-to-hold" - wesentlich verschärft hatten. Die Verbriefung mit dem Ziel der Auslagerung und Weiterveräußerung von Kreditrisiken bot einen großen materiellen Anreiz, US-amerikanische Subprime-Hypotheken und andere risikoreiche Kreditforderungen ohne angemessene Bonitätsprüfung anzukaufen, um sie alsbald in Kredittranchen umzupacken und weiterzugeben, versehen mit dem Bonitätssiegel parteiischer Ratingagenturen. Bei intransparenten Märkten kam es anstelle einer vermeintlich gleichmäßigen Verteilung von Kredit-, Markt- und Liquiditätsrisiken auf breitere Schultern im Endeffekt zu einer Konzentration von Risiken, und zwar oft an Stellen im In- und Ausland, wo man sie vorher nicht vermutet hatte. Damit waren aus angeblich mathematisch kalkulierbaren und beherrschbaren Einzelrisiken im Zuge der gegenseitigen Aufschaukelung akute Systemrisiken geworden.

Der Einsatz von Risikohebeln (Leverage)

Richtigerweise sollte "leverage" in einem umfassenden Sinn als "Risikohebel" übersetzt und verstanden werden. Hebeleffekte können nämlich auch dann wirksam werden, wenn kein unmittelbarer kreditärer Liquiditätsfluss mit der Übernahme bestimmter Risiken verbunden ist. Zu denken ist an die Übernahme von Garantien oder an die spekulative Absicherung von Kredit- und Marktrisiken als eigenes gewinnorientiertes Bankgeschäft. Solche Risikoübernahmen finden auch nicht notwendigerweise ihren bilanziellen Niederschlag oberhalb oder unterhalb des Bilanzstriches. Dies gilt vor allem bei derivativen Finanzinstrumenten.5)

Im Kern handelt es sich beim Aktivgeschäft der Banken um die Übernahme bestimmter finanzieller Risiken gegen ein Entgelt für die Dauer der Übernahme solcher Risiken, und sei die Dauer - wie typischerweise im Investmentbanking - auch noch so kurz. Ein Fremdkapitalhebel ist also ein Risikohebel, bei dem die traditionelle Hebelwirkung bei einem Kreditgeschäft durch den zusätzlichen Einsatz von Fremdkapital bei einer gegebenen Eigenkapitalbasis zustande kommt.

Von der Anwendung eines Risikohebels kann und muss man auch sprechen, wenn ein spekulatives Risikogeschäft nur deshalb abgeschlossen wird, weil das Finanzinstitut glaubt, sich im Ernstfall auf seine kapitalnachschießenden öffentlichen Kapitaleigner verlassen zu können, oder wenn das Geschäft nur wegen seines öffentlichrechtlichen Status mit einer unzureichenden Zinsmarge zustande kommt.

Typische Beispiele sind die deutschen Landesbanken, die seit Ausbruch der Finanzkrise - mit der bemerkenswerten Ausnahme der Helaba - massive Kapitalhilfen und Kreditgarantien ihrer Kapitaleigner (Länder und Sparkassen mit unterschiedlichen Kapitalanteilen) in Anspruch nehmen mussten. Sie hatten zwar bereits am 18. Juli 2005 ihren institutionellen Sonderstatus (Anstaltslast und Gewährträgerhaftung) wegen Unvereinbarkeit mit den Beihilferegeln der EU verloren. Übergangsweise war ihnen jedoch eine Besitzstandswahrung für die bis zu diesem Zeitpunkt emittierten Schuldverschreibungen für die Zeit bis Ende 2015 eingeräumt worden. Nicht zuletzt im Hinblick auf diese Übergangsregelung hatten die Landesbanken außerordentlich hohe Fremdkapitalien eingesammelt, um diese mangels profitabler Anlagemöglichkeiten im Inland am internationalen Kapitalmarkt in innovative Verbriefungsprodukte anzulegen. Die Bereitschaft der Institute, sich in risikoträchtigen Kapitalmarktgeschäften vor allem im Ausland zu engagieren, um eine erhöhte Eigenkapitalrendite zu erzielen, lässt sich also auch auf die partiell fortdauernde Begünstigung der Landesbanken auch nach dem Stichtag von Mitte 2005 zurückführen.

In den USA sind es im Subprime-Hypothekenmarkt zwei sich gegenseitig ergänzende und hochschaukelnde Risikohebel gewesen, die die Brisanz der Krise in diesem Bereich ausgemacht haben, worauf Kenneth Rogoff6) hinweist. Zum einen sorgten die Innovationen am US-Hypothekenmarkt (MBS, Aufkauf von Hypothekenforderungen durch die mit einem öffentlichen Mandat betrauten privaten Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac und Refinanzierung an den Kapitalmärkten im In- und Ausland) dafür, dass einkommensschwache Hauskäufer billige Hypothekenkredite erhielten. Zum anderen waren diese Innovationen zugleich ein Mechanismus, um implizite Steuersubventionen zu hebeln.

Banken "too big to fail"

Es traf das internationale Finanzsystem wie ein Blitz aus vermeintlich heiterem Himmel, als sich der amerikanische Finanzminister Mitte September 2008 unerwartet weigerte, die angeschlagene, damals viertgrößte private US-Investmentbank Lehman Brothers ebenso aufzufangen wie kurz zuvor Fanni Mae und Freddie Mac oder etwa zur gleichen Zeit mehrere andere, ähnlich systemisch wichtige Finanzintermediäre. Die unmittelbar einsetzende Schockstarre am internationalen Interbankenmarkt veranlasste jedenfalls die zuständigen Stellen, ad hoc keine weiteren ungeordneten Insolvenzen solcher Institute mehr zuzulassen (in den USA zum Beispiel AIG, in Deutschland Hypo Real Estate, in der Schweiz UBS und Crédit Suisse). Diesen Ad-hoc-Interventionen folgten in den USA und in Europa umfangreiche öffentliche Hilfsprogramme vielfältiger Art, um dem massiven Vertrauensverlust im Finanzsystem entgegenzuwirken.

Dass auch privatrechtliche Institute implizit mit einer Art staatlicher Bestandsgarantie versehen sein können, wenn sie als "too big to fail" angesehen werden, ist aus historischer und wissenschaftlicher Perspektive durchaus nichts Neues. Überraschend ist dagegen für viele die Erkenntnis gewesen, dass heutzutage nicht notwendigerweise die Größe für eine systemisch wichtige Stellung eines Institutes entscheidend ist, sondern der Grad seiner Vernetzung in der heutigen Informationsökonomie. Größere, im europäischen oder globalen Maßstab nicht notwendigerweise "große" Kreditinstitute sind auf den verschiedenen Geld-, Kredit- und Kapitalmärkten ebenso wie im Devisengeschäft und im Zahlungsverkehr mehr als je zuvor mit anderen Kreditinstituten und mit Großkunden vernetzt. In einer Krisensituation sind sie und ihre Geschäftspartner daher in hohem Maße vom gegenseitigen Wohlergehen abhängig. Insbesondere hat die explosionsartige Ausweitung der Derivatemärkte, auf denen einzelne Markt- und Bonitätsrisiken, losgelöst vom zugrunde liegenden Kredit- oder Transaktionsgeschäft, gehandelt werden, den Vernetzungsgrad besonders stark erhöht. Für internationale Bankkonzerne, die grenzüberschreitend im europäischen Wirtschaftsraum oder sogar global tätig sind, das heißt in mehr oder weniger unterschiedlichen Rechtsräumen (Jurisdiktionen), treten wirtschaftspolitische Abhängigkeiten hinzu. Wie sich gezeigt hat, können Größe und Vernetzungsgrad eines solchen Finanzinstituts im Sinne von "moral hazard" und im Einklang mit der Principal-Agent-Theorie Vorstand und andere leitende Angestellte dazu verleiten, im Verhältnis zur eigenen Kapitalkraft besonders hohe Risiken einzugehen, zumal wenn als persönliche Belohnung außergewöhnlich hohe Boni winken.

Neue Ansätze in der Finanzaufsicht

Daraus ist aus der Perspektive einer sys-tem-orientierten Finanzaufsicht die Forderung der Politik erwachsen, in der Weiterentwicklung von Basel II besonders hohe Anforderungen an das aufsichtsrechtliche Regelwerk zu stellen.7) Allerdings führt es nicht sehr weit, wollte man von einem einzelnen Neuansatz ein Allheilmittel für eine effektive Finanzaufsicht erwarten, etwa von dem im Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht erörterten Vorschlag, "some kind of add-on within the capital framework" einzuführen. Gedacht wird beispielsweise auch daran, weitere Beschränkungen hinsichtlich des Umfangs der Bilanzaktiva einzuführen - allerdings immer auf der Basis einer umfassenden, teleologisch konzipierten und interpretierten konsolidierten Rechnungslegung. Weitere Vorschläge sehen die Einführung zusätzlicher institutioneller Vorkehrungen auf den OTC-Märkten für Derivative und Repogeschäfte vor, um das Kontrahentenrisiko auszuschalten.8)

Auf den internationalen Konferenzen in London und in Pittsburgh haben die Forderungen nach einer verbesserten "corporate governance" und einer radikalen Neuordnung der Vergütungspraxis im Finanzgewerbe eine zentrale Rolle gespielt9), um zukünftig auch auf diese Weise den persönlichen Risikoeinsatz und damit das Wirksamwerden eines Systemrisikos zu begrenzen. Umstritten geblieben ist, ob es ausreichen wird, die Verantwortung für eine quantitative Begrenzung der Gehälter einschließlich Bonus- und Abfindungszahlungen und für eine bessere Gehaltsstruktur dem Aufsichtsrat (Beschlussfassung durch das gesamte Gremium) eines Instituts zu überlassen, oder ob und inwieweit die einzelnen Staaten definitive Vorgaben machen sollen. Ein wichtiger Faktor ist hier der Wettbewerb zwischen den führenden Finanzzentren um gute Führungskräfte. Die formulierten Mindestziele sind Offenlegung und Transparenz von Gehaltshöhe und -struktur sowie die Entwicklung von globalen Standards für die Gehaltsstruktur.

Überlegungen zur Stärkung der Eigenkapitalbasis

Es kann und darf nicht verwundern, dass die Forderung der Politik nach einer quantitativ und qualitativ erheblich verstärkten Eigenkapitalunterlegung von Bankgeschäften jeglicher Art10) und überall auf der Erde11)weit über die bisherigen Anforderungen von Basel II hinausreicht.

Erhöhte Eigenkapitalvorgaben sollen erstens dafür sorgen, dass Finanzintermediären, die üblicherweise weitestgehend mit geliehenem Fremdkapital arbeiten, wegen des höheren Eigenkapitaleinsatzes nur kleinere Gestaltungsräume verbleiben, sprich einen geringeren Fremdkapitalhebel (Leverage) zur Verfügung haben. Dementsprechend soll sich die Wahrscheinlichkeit der Herausbildung einer allgemeinen Kreditblase verringern. Sollte es dennoch zu einer krisenhaften Zuspitzung im Finanzsystem kommen - was schon aus historischer Sicht nie gänzlich ausgeschlossen werden kann -, sorgen im Endeffekt höhere Eigenkapitalpuffer dafür, dass zunächst und weitgehend diese Puffer in Anspruch genommen werden, während die Allgemeinheit erst in zweiter Linie als "risk taker of last resort" auftritt. Die Allgemeinheit ist entweder der sogenannte Steuerzahler oder der schuldenmachende Staat, der die erhöhten Zins- und Tilgungslasten an die nächste Generation weiterreicht.

Ergänzend ist hier anzumerken, dass aus makroprudentieller Sicht solche Eigenkapitalvorgaben von einer ähnlich risikoorientierten Zins- und Liquiditätspolitik der Zentralbanken flankiert werden müssen, um wirksam zu werden. Zentralbanken sollten also bedacht sein, sich im Vorfeld von möglichen, aber noch nicht näher bestimmbaren Kreditblasen "gegen den Wind zu lehnen". Würden sie abwarten, bis eine solche Kreditblase geplatzt ist, müssten sie jetzt umso stärker mit expansiven Gegenmaßnahmen reagieren, um den unvermeidlich negativen Auswirkungen einer Finanzkrise entgegenzuwirken. Eine solche glaubwürdige und auf Nachhaltigkeit ausgelegte Zentralbankpolitik trägt also in Maßen dazu bei zu verhindern, dass sich systembedrohende Kreditblasen überhaupt erst entwickeln.

Um der inhärenten Prozyklizität des Basel-II-Regelwerks entgegenzuwirken, die nicht zuletzt auch eine Auswirkung des Fair-Val-ue-Prinzips im Rechnungswesen ist, sollte darüber hinaus den Aufsichtsbehörden das Recht gegeben werden zu verlangen, dass das normale regulatorische Eigenkapital in konjunkturellen Aufschwungphasen um einen bestimmten maximalen Prozentsatz aufgestockt wird. Sollte dies nicht möglich sein oder inopportun erscheinen, so müsste es möglich sein zu verlangen, dass das Bilanzwachstum gedeckelt wird. In einer Abschwungphase gäbe es einen dementsprechenden Eigenkapitalspielraum nach unten.

Hebeleffekt bei "risikofreien Aktiva"

Damit würde implizit anerkannt, dass unter bestimmten Refinanzierungsbedingungen, wie zum Beispiel einer steil ansteigenden Renditenstrukturkurve auf den Finanzmärkten, selbst der Ankauf scheinbar "risikofreier Aktiva", jedenfalls von Finanzaktiva mit zweifelsfrei allerbester Bonität zum Zeitpunkt der Verlängerung der (konsolidierten) Bilanz - ob verbrieft oder nicht -, einen Hebelungseffekt auslöst. Im US-amerikanischen Beispiel wurde dieser Effekt vor Ausbruch der Krise zusätzlich noch dadurch erhöht, dass vor allem die US-Banken bilanzierte Kreditforderungen in verbriefte Anlagen in der Form von CDOs und CLOs umwandelten, von denen sie wiederum vorzugsweise die mit AAA bewerteten Tranchen in ihre eigenen Bücher nahmen. Von allen geschaffenen AAA-Tranchen waren dies 30 Prozent oder unter Einbeziehung der von ihnen gesteuerten ABCP Conduits und und SIVs sogar 50 Prozent.12)

Gründe für die Einführung allgemeinen Mindesteigenkapitals

Ebenfalls makroprudentielle Überlegungen sind es, die zu der weitergehenden Forderung geführt hat, auf mittlere Sicht ein zusätzliches regulatorisches Mindesteigenkapital als "add-on" einzuführen, also als ein traditionelles Sockelkapital, das nicht bestimmbaren Gruppen von Risikoaktiva zugeordnet werden kann, definiert als ein bestimmter Prozentsatz vom Bilanzvolumen, oder besser vom Geschäftsvolumen.

Es soll als Kapitalpuffer für all jene kaum quantifizierbaren Kapitalrisiken dienen, die nicht schon von den jetzigen quantitativen Anforderungen in der ersten Säule von Basel II (Kapitalunterlegung der nach dem Risikogehalt gewichteten Aktivpositionen) erfasst werden, und sei das Band zum Risikokapital auch noch so locker und dehnbar, wie das bei dem Reputationsrisiko der Fall ist. Rückkopplungseffekte zulasten der Bonität

In der ersten Säule von Basel II werden bisher nur streng abgegrenzte und berechenbare Risikoklassen von Aktiva auf das Kernkapital13) bezogen, andere Faktoren wie vor allem offenbare oder versteckte Interdependenzen dagegen vernachlässigt. Je differenzierter und angeblich "genauer" die Risikoeinschätzung bestimmter Anlageklassen ist, desto größer ist auch der finanzielle Anreiz, durch Finanzinnovationen und regulatorische Arbitrage den kostspieligen Bedarf regulatorischen Eigenkapitals zu minimieren. Ferner setzt die mathematische Berechnung einzelner abgrenzbarer Risiken mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung - basierend auf historischen Erfahrungen, ausgedrückt in langen statistischen Zeitreihen - voraus, dass der Grad der Korrelation zwischen einzelnen Anlagearten und Risiken über längere Zeiträume stabil bleibt. Diese Annahme ist aber immer wieder zu hinterfragen.

Die Bonität einer Kreditforderung, ob verbrieft oder nicht, kann auch nicht vollkommen losgelöst von ihrer Finanzierung gesehen werden, sprich von der Struktur der gesamten Passivseite einer Bankbilanz, nicht zuletzt von ihrer Fristigkeitsstruktur (Liquiditätsrisiko). In der Aufschwungphase waren es vor allem in den USA gerade die systemisch wichtigen Finanzinstitute gewesen, die zusätzliche längerfristige Bilanzaktiva oder die von den "Schattenbanken" aufgekauften Aktiva kurzfristig refinanzierten. In der jetzigen Enthebelungsphase (Deleveraging) hat die mangelnde Liquidität einen Rückkopplungseffekt zulasten der Bonität dieser Kreditforderungen ausgelöst.14) Die Finanzkrise hat insbesondere offenbart, wie Kredit- und Liquiditätsrisiken sich gegenseitig verstärken können. In extremen Stresssituationen kann die Illiquidität von Finanzaktiva die Verluste erheblich erhöhen.

Falls ein illustrativer Kapitalverlust von nur einem Prozent einträte, bezogen auf alle Bilanzaktiva und bei einem großzügig angenommenen bilanziellen Eigenkapital von vier Prozent15), würde das Institut einen seine Unabhängigkeit bedrohenden Verlust von einem Viertel seines ausgewiesenen Eigenkapitals erleiden - ganz zu schweigen von dem Fall, wenn zusätzlich noch Verlustrisiken aus einer im Hinblick auf das Reputationsrisiko erzwungenen Repatriierung ausgelagerter Risikopositionen in der Schattenbankenwirtschaft in die Rechnung einzustellen wären. Ferner ist erschwerend zu berücksichtigen, dass es nicht nur auf die Refinanzierungsstruktur des einzelnen Instituts ankommt, sondern auf die Refinanzierungsstruktur einer bestimmten Gruppe von Finanzinstrumenten, die bei anderen Finanzinstituten oder sonstigen Anlegern platziert worden sind.

Ein besonderes Kapitel sind in diesem Kontext die nicht beaufsichtigten Hedgefonds, die mit dem bereitgestelltem Kapital vermögender Einleger arbeiten können, als wäre es Teilhaberkapital. Das Kreditrisiko einer einzelnen Anlagekategorie und eines einzelnen Institutes kann also nicht ein für alle Mal objektiv bestimmt werden, sondern wird auch entscheidend durch das Verhalten vieler anderer Marktteilnehmer mitbestimmt, jedenfalls in einer Krisensituation. So konnte es zu einer unerwarteten Konzentration von Risiken in bestimmten Teilbereichen kommen.

Verhaltensrisiken einbeziehen

Unter Bezugnahme auf den Spieltheoretiker Volker Bieta16) stellt Jochen Sanio fest, dass "das Unglück der Subprime-Krise seinen Lauf (nahm), als die Finanzmärkte die Risiken anders verteilten, als es das Standardparadigma der finanzanalytischen Modelle vorhersagte."17) "Dass auch Motive, Information, Reputation, Mutmaßungen, Hoffnungen, Risikobereitschaft und Anreize und nicht statistische Kennzahlen allein die wahren Treiber von Risiken sind und dass der Mensch schon seit Urzeiten die Spielmetapher benutzt, um sich mit seiner Umwelt differenziert auseinanderzusetzen, macht die facettenreiche Spielfigur also auch in der Finanzmathematik universell" (Bieta).18)

Basel II mit seinen drei Säulen und umso mehr ein erheblich reformiertes Basel II kann daher nur als ein Verbundkonzept verstanden werden, das nicht nur die Zustandsrisiken abzusichern hat, die "von der statistischen Eintrittswahrscheinlichkeit her bestimmbar sind"19), sondern auch die Verhaltensrisiken unter Mithilfe der Spieltheorie. Die Börse (der Markt) verfährt nicht wie das Casino nach den Regeln der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie, die nur unter engen Voraussetzungen gültig sind. Die Börsianer sind nicht Roulette-, sondern Pokerspieler. Ähnlich argumentieren die Verhaltensökonomen, unter denen Robert Shiller durch sein Buch "Irrational Exuberance" und seine Vorhersage der jetzigen Finanzkrise zu besonderer Prominenz gelangt ist.20)

Makroökonomische Verantwortung der Zentralbanken

Aus historischer Sicht und unter Rückgriff auf die Quantenphysik eines Werner Heisenberg (das heißt auf die Dialektik von Materie und Anti-Materie als Metapher für Kreditexpansion und -kontraktion), die Kontrollsystemtheorie von J. C. Maxwell sowie unter Hinweis auf die von Hyman Minsky bereits 1985 veröffentlichte Financial Instability Hypothesis unterstreicht George Cooper die inhärente Instabilität des Kredit- und Geldschöpfungsprozesses.21) "The original and still primary purpose of central banking is not, as is widely believed today, to fight inflation, rather it is to ensure financial stability of the credit creation process." In den USA sei es die große Kreditkrise von 1907 gewesen, die letztendlich zur Bildung des US Federal Reserve Systems geführt hat.

Die "lender-of-last-resort-function" legt damit die primäre makroökonomische Verantwortung der beauftragten Zentralbank sowohl für die Finanzstabilität als auch die langfristige Preisstabilität fest. Nur durch eine vorausschauende Politik und eine "constructive ambiguity" (Gerald Corrigan) kann sie sich selber vor der Gefahr schützen, durch kontrollierte große Finanzinstitute erpresst zu werden, die im Vertrauen auf eine implizite Bestandsgarantie (Moral Hazard) extrem hohe Risikohebel einsetzen.

Im Hinblick auf die überragende Bedeutung der Problematik ist es zum Beispiel nur folgerichtig, dass die Deutsche Bundesbank die Thematik der potenziellen Bedrohung der Stabilität des Finanzsystems durch Systemrisiken in institutioneller Hinsicht - im Einklang mit den für die europäische Ebene im de-Larosière-Bericht vorgeschlagenen und inzwischen weitgehend durchgeführten institutionellen Änderungen - bereits im vergangenen Jahr auf Bereichs- und Vorstandsebene angesiedelt hat. Seit den achtziger und neunziger Jahren, als die Bundesbank noch die alleinige Verantwortung für die Geld- und Währungspolitik in Deutschland mit dem Ziel der Preisstabilität trug, hatte sie sich primär nur auf Referenten- und Abteilungsebene mit diesen Fragen auseinandergesetzt.

Aus ordnungspolitischer Sicht weist überdies Heiko Körner in einer kürzlich veröffentlichten kritischen Würdigung von Schumpeters "Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung" auf den grundlegenden Unterschied zwischen Güter- und Finanzmärkten hin.22) Während erstere dem Prinzip der relativen Knappheit unterworfen sind, die die Angebots- und Nachfragebereitschaft der Marktteilnehmer begrenzt und dadurch prinzipiell eine negative (inverse) Rückkopplung von Preisen und Mengen bedingt, kann das Angebot innovativer Finanzprodukte im Grunde unbeschränkt ausgeweitet werden.

"Sofern die (Kredit- und) Geldschöpfung des Bankensystems elastisch reagiert, gilt dies auch für die Nachfrageseite mit der Folge, dass positive (sich verstärkende) Rückkopplungseffekte den Markt immer stärker vom Gleichgewicht entfernen". Gerade das naive Vertrauen in den Wettbewerb auf den innovativen Finanzmärkten als eine nicht nur notwendige, sondern bereits hinreichende Bedingung für seine stabilisierende Funktion für das Gesamtsystem - ist es gewesen, das erst die 2007 ausgebrochene Finanzkrise verursacht hat. Dies begründet die im Grunde altbekannte Maxime, dass die Zentralbank das öffentliche Gut Geld und das Zentralbankgeld als Basis für die Kredit- und Geldschöpfung des Bankensystems von vornherein knapp halten muss, um die Bildung destabilisierender Kredit- und Geldblasen zu vermeiden und die "animal spirits"23) in Schach zu halten, so schwer es auch sein mag, solche Blasen rechtzeitig zu erkennen und politisch schwierig, die Politikwende wegen der erheblichen Wirkungsverzögerungen bereits im Konjunkturaufschwung einzuleiten.

Inzwischen hat der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht, in dem 27 Mitgliedsländer vertreten sind, am 17. Dezember 2009 in zwei Konsultationspapieren24) einen umfangreichen und in weiten Bereichen schon sehr detaillierten Maßnahmenkatalog zur grundlegenden Revision von Basel II der Öffentlichkeit vorgelegt. Die harmonisierte Endfassung soll bis Ende 2010 fertiggestellt und grundsätzlich bis Ende 2012 möglichst weltweit verbindlich eingeführt werden. Unter anderem sieht der Katalog zusätzlich zur risikoorientierten Verstärkung der Eigenkapitalbasis der Finanzinstitute die Einführung einer zusätzlichen "leverage ratio" vor, die auf Bruttobasis die allgemeine "exposure" der Institute ohne Bezug zu gesondert und quantitativ bestimmbaren Einzelrisiken erfasst, gleichwohl aber ebenfalls in die Säule 1 des revidierten Basel-II-Abkommens integriert werden soll.

Fußnoten

1) Klein, Dietmar K. R., Der de-Larosière-Bericht eine europäische Position zur Londoner G20-Konferenz, Kreditwesen, 7/2009, Seite 324 ff.; siehe ferner G20 Declaration on strengthening the financial system - London, 2 April 2009. .

2) G20 Finance Ministers and Central Bank Governors Communiqué, London. September 5, 2009; ferner Declaration on further steps to strengthen the financial system, London, September 5, 2009. PA Deutsche Bundesbank Nr. 38 vom 9. September 2009; ferner

3) Siehe Fußnote 2.

4) Reckers, Hans, Umsetzung der neuen Eigenkapitalvorschriften "Basel II" in Deutschland, . In: Hrsg.: Schäfer, Burghof, Johanning, Wagner, Rodt, Risikomanagement und kapitalmarktorientierte Finanzierung, Festschrift zum 65. Geburtstag von Bernd Rudolph. S. 67 ff, Frankfurt am Main, 2009.

5) Das, Satyajit, Tales of leverage (Regulators are proposing the introduction of leverage caps on banks. The author argues leverage achieved through derivatives does not always show up in traditional leverage measurements). Risk, 22 (2009), 7, S. 74-75.

6) Rogoff, Kenneth, Why we need to regulate the banks sooner, not later. Financial Times, Frankfurt/London, August 19, 2009. Abgedruckt in: Deutsche Bundesbank Auszüge aus Presseartikeln Nr. 35/2009, S. 12 f.

7) Siehe Fußnote 2, Declaration Ziffer 2.

8) Davis, Rob; Walter, Stefan: Building up Basel II. (In an exclusive interview with Risk, Stefan Walter, se-cretary-general of the Basel Committee on Banking Supervision, discusses everything from capital to pro-cyclicality, while outlining the reform agenda for Basel II (Interview). Risk, 22 (2009), 7, S. 33-36.

9) Siehe Fußnote 2, Declaration Ziffer 1.

10) Siehe Fußnote 2, Declaration Ziffer 3.

11)Siehe Fußnote 2, Declaration Ziffer 4.

12) Acharya, Viral V. und Richardson, Matthew (Hrsg.): Restoring Financial Stability: How to Repair a Failed System. An Independent View from New York University Stern School of Business. Dezember 2008/März 2009. Chapter 2: How Banks Played the Leverage "Game".

13) Inwieweit die jetzige Zulassung verschiedener Eigenkapitalkategorien in Tier 1 dem Postulat von Kernkapital entspricht, soll hier dahingestellt bleiben.

14) Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, BCBS, Findings on the interaction of market and credit risks. Working Paper No. 16, Mai 2009.

15) Bei einem bilanziellen Eigenkapital von nur drei Prozent oder zwei Prozent, wie bei manchen führenden Banken vor allem in Europa zu Beginn der Krise der Fall, wären ein Drittel oder die Hälfte dieses Eigenkapitals ausgelöscht worden.

16) Bieta, Volker, Spiele gegen die Natur: Eine Hypothek für Einsteins Erben in den Banken, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 61. Jg. (2008) Nr. 2, S. 76-80.

17) Sanio, Jochen, Bankenaufsicht und Systemrisiko, in: Schäfer/Burghof/Johanning/Wagner/Rodt (Hrsg.): Risikomanagement und kapitalmarktorientierte Finanzierung. Festschrift zum 65. Geburtstag von Bernd Rudolph, 2009. S. 15-32, insbes. Kapitel 2.3 Über die Grenzen der Risikomessung, S. 22 ff.

18) Bieta, V., Spiele gegen die Natur ..., (2008), a.a. O., Seite 3l/78, unter Hinweis auf Bieta, V., Wenn der Mensch ins Glücksrad greift - die Grenzen des Physikalismus im Risikomanagement, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen 8-2005, S. 417-420.

19) Wie schon Merton/Scholes, die zwei Nobelpreisträger der stochastischen Finanzmathematik und die geistigen Väter von LTCM, schon 1998 zu ihrem Leidwesen erfahren mussten, da sie das Problem der Informationsasymmetrie (Heimlichkeit) nicht in ihren Berechnungen berücksichtigt hatten.

20) Shiller, Robert, Interview Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 10. August 2009.

21) Cooper, George, The Origin of Financial Crises - Central Banks, Credit Bubbles and the Efficient Market Fallacy. New York 2008, unter anderem S. 57 ff, 157 ff.

22) Körner, Heiko, Schumpeter und die Krise. Wirtschaftsdienst, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 89. Jg. Heft 8, August 2009, S. 519-525. Zur Instabilität der Finanzmärkte, siehe auch: Franke, Günter/Krahnen, Jan Pieter, Instabile Finanzmärkte. Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 10 (2009), 4, S. 335-366.

23) Plender, John, How to tame the animal spirits. Financial Times London, 30. September 2009.

24) Basel Committee on Banking Supervision, (a) Strengthening the resilience of the banking sector consultative document. BIS December 2009.. (b) International framework for liquidity risk measurement, standards and monitoring - consultative document. BIS December 2009. .

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