Aufsätze

Regulierung von OTC-Derivaten und deren Liquiditätswirkung

Zum Ende des Jahres 2011 summierte sich der globale Handel mit derivativen Finanzinstrumenten auf ausstehende Nominalwerte in Höhe von knapp 500 Billionen Euro.1) Hierbei handelte es sich zu etwa 95 Prozent um sogenannte Over-The-Counter-Geschäfte (OTC), das heißt individuelle außerbörsliche Vereinbarungen zwischen einzelnen Vertragsparteien. Diese Derivate dienen zwar oft dazu, bestehende Risiken zu managen, bringen jedoch auch neue Risiken mit sich. Denn die Erfüllung der aus ihnen abgeleiteten Zahlungsverpflichtungen ist inhärent an die Zahlungsfähigkeit der beteiligten Kontrahenten geknüpft (Kontrahentenausfallrisiko).

In Anbetracht der immensen Geschäftsvolumina und der unüberschaubaren Interkonnektivität des OTC-Handels zwischen Banken und größeren Finanzmarktakteuren, besteht hierbei ein systemisches Risiko für potenzielle Kettenreaktionen infolge von Ausfällen einzelner Marktteilnehmer. Dieses Risiko offenbarte sich etwa auch im Verlauf der jüngsten Finanzkrise als ein wesentliches Argument für die staatliche Rettung der AIG als bedeutender Verkäufer von Credit Default Swaps (CDS).

Abwicklung über zentrale Kontrahenten

Inzwischen zeigt sich ein internationaler Konsens für eine striktere Regulierung des Handels mit OTC-Derivaten. Von der EU wurde hierzu die im August 2012 in Kraft getretene European-Market-Infrastructure-Regulation-Verordnung (EMIR) erarbeitet. In dieser fordert sie, analog zum US-amerikanischen Dodd-Frank Act (DFA) und den Empfehlungen der G202), die weitestgehende Abwicklung von Derivategeschäften über zentrale Kontrahenten und deren Überwachung durch zentrale Melderegister. Konkret müssen Kreditinstitute3) nach EU-Recht zukünftig

- alle Transaktionen mit Derivaten an zent rale, aufsichtsrechtlich legitimierte Transaktionsregister melden, - alle standardisierten, für zentrales Clearing qualifizierten OTC-Derivate auf geregelten Handelsplattformen beziehungsweise Börsen tätigen und direkt (als Clearingmitglied) oder indirekt (als Klient eines Clearingmitglieds) über einen zentralen Kontrahenten (Central Counterparty - CCP) abwickeln und

- alle weiterhin bilateral abgewickelten Derivate einem gegenüber zentraler Abwicklung gleichwertigen Risikomanagement mit entsprechenden Margin-Regelungen und weiteren definierten Risikominderungstechniken unterwerfen.4)

Zentrales Motiv dieser Vorgaben ist die Entkoppelung von Ausfallrisiken zwischen Banken und größeren Finanzmarktakteuren im Derivategeschäft. Ansteckungs gefahren zwischen einzelnen Marktteilnehmern werden vermieden indem sich Ausfallrisiken weitestgehend auf zentrale Kontrahenten, die sich als alleiniger Vertragspartner zwischen interessierte Handelspartner stellen, konzentrieren. Entsprechend gelten besondere Anforderungen an das Risikomanagement und die Ausfallsicherheit dieser Institutionen als neue potenzielle Single-pointof-failure im Marktgefüge.5)

Direkter Eingriff in die Marktstruktur

Die neuen Regularien stellen einen direkten Eingriff in die Marktstruktur und den Wettbewerb im OTC-Derivategeschäft dar. Hierbei dürfte es eine Spaltung in Handelssegmente mit einerseits weitgehend standardisierten zentral abgewickelten und andererseits individualisierten weiterhin bilateral gehandelten Produkten geben. Anbieter werden sich und ihre Produktportfolios zwischen diesen Segmenten positionieren müssen. Die geänderte Wettbewerbsdynamik umfasst hierbei auch das Nachfrageverhalten. Marktteilnehmer aus dem Asset Management oder der Industrie sind nicht nur durch die eventuelle Weitergabe steigender Produktkosten tangiert, sondern werden je nach Handelsaktivität auch den neuen Abwicklungs- und Meldepflichten unterliegen.

Eng verbunden mit einem prospektiven Marktgleichgewicht ist die Ausbildung eines neuen Ökosystems aus zentralen Kontrahenten, deren Mitgliedsbanken und dritten Marktteilnehmern. Hierbei ermächtigen Mitgliedschaft und Einzahlung in den jeweiligen Ausfallfonds (Default Fund) den direkten Zugang zum zentralen Clearing und die Vermittlung dieser Leistung an Dritte. Einzelnen Banken ist freigestellt, ob sie sich für eine Clearingmitgliedschaft (Member) entscheiden oder ihre Geschäfte über andere Mitglieder abwickeln (Client). Neben rentabilitäts- und wettbewerbstechnischen Überlegungen sind auch einige ganz pragmatische Hürden zu berücksichtigen.

Während sich die Zulassungsvoraussetzungen zentraler Kontrahenten als sehr hoch erweisen können, besteht bei indirekter Abwicklung, je nach Anrechnungspflicht der Exposure zwischen Client und Member im Rahmen der CRR-Großkreditvorschriften, ein latenter Zielkonflikt zwischen der Vermeidung von Risikokonzentrationen und der Erhöhung des Nettingpotenzials beziehungsweise der Skalierung abwicklungsbezogener Geschäftsbeziehungen.

Angespannte Liquiditätspolster

Für Banken treten die neuen OTC-Regularien insbesondere auch in ein Spannungsfeld zu den erhöhten Anforderungen an ihre Liquiditätspolster. Denn im Vergleich zu bestehenden Marktusancen ergibt sich ein erheblicher Mehrbedarf nach hochliquiden Aktiva zur Besicherung von OTC-Geschäften. Schätzungen taxieren den durch die Migration bilateraler OTC-Transaktionen auf zentrale Kontrahenten beziehungsweise die gleichwertige Stellung von IM auch im bilateralen Geschäft induzierten Mehrbedarf nach hochliquiden Aktiva auf etwa 150 bis 650 Milliarden Euro im globalen Geschäft mit OTC-Derivaten.6) Dies verteuert nicht nur die Refinanzierung dieser Geschäfte, sondern verschärft einen bereits vorherrschenden Nachfragedruck nach Liquidität. Denn belastete Aktiva dürfen dem Liquiditätspolster einer Bank nicht angerechnet werden.

Mit Blick auf die voraussichtlich 2015 in Kraft tretende Liquidity Coverage Ratio (LCR) ermittelte die EBA jüngst auch, dass Stand Mitte 2012 knapp zwei Drittel der europäischen Banken die Vorgaben noch nicht erfüllen und hierzu ihre Liquiditätsreserven um weitere 1,2 Billionen Euro aufstocken müssten. So kam es auch im Januar 2013 zu einer aufweichenden Revision der LCR. Die Mindestquote für das Jahr 2015 wurde auf 60 Prozent gesenkt und wird schrittweise bis 2019 auf 100 Prozent angehoben. Gleichzeitig wurde die Definition hochliquider Aktiva, in Anlehnung an die modifizierten Vorgaben der CRR, um einige Finanzinstrumente erweitert. Dies mindert zwar den kurzfristigen Anpassungsdruck, belegt jedoch die Schwierigkeiten der Branche im Aufbau geforderter Liquidität.

Anreizproblematik

Gemessen am Nominalvolumen wird heute bereits etwa 40 Prozent des globalen Geschäfts mit OTC-Derivaten zentral abgewickelt. Geht man davon aus, dass etwa weitere 20 Prozent nicht der entsprechenden Standardisierung und Liquidität für ein zentrales Clearing zugeführt werden kann7), verbleibt rund 40 Prozent des weltweiten Derivategeschäftes über zunehmende Standardisierung beziehungsweise Individualisierung zur Disposition hinsichtlich zentraler beziehungsweise bilateraler Abwicklung. Hierbei handelt es sich um ein kollektives Handlungsproblem.

Von Seiten der European Securities and Markets Agency (ESMA) wird zwar eine Liste pflichtweise zentral abzuwickelnder Produkte erwartet. Jedoch sind branchenweite Anstrengungen beziehungsweise der tatsächliche Konsens unter den Marktteilnehmern die unentbehrliche Grundlage für sich gegenseitig bedingende Standardisierung und Liquidität in einzelnen Produkten. Ungeachtet der Nachfragebedürfnisse im Markt und des sich ausbildenden Wettbewerbs zwischen zentralen Kontrahenten, dürften sich insbesondere auch die regulatorischen Anreizstrukturen für die beteiligten Banken maßgeblich auswirken (Abbildung).

Die neuen Eigenkapitalanforderungen setzen über differenzierte Risikogewichte und das zusätzliche Credit Value Adjustment (CVA) für bilaterale Forderungen zwar mehr oder minder eindeutige Anreize zur Nutzung zentraler Kontrahenten,8) konkurrieren jedoch auch mit den von den OTC-Regularien ausgehenden Liquiditätseffekten. Diese deuten aus heutiger Sicht nicht nur auf einen prinzipiell steigenden Liquiditätsbedarf, sondern unter Umständen auch auf adverse Anreize in Richtung bilateraler Abwicklung. In Anbetracht der anspruchsvollen LCR dürften Liquiditätskosten signifikantes Gewicht in den Zielsystemen vieler Banken entfalten und insofern neben angebotsseitigen Margenüberlegungen eine weitere gewichtige Determinante in der Disposition des Derivategeschäfts darstellen. Eine Bewertung dieser Problematik ist abhängig von der Konkretisierung einiger wichtiger Fragestellungen im bilateralen Geschäft. Die entsprechenden regulatorischen Standards werden im ersten Halbjahr 2013 von Seiten der European Supervisory Authorities erwartet.

Determinanten im liquiditätskostenbasierten Vergleich

Maßgeblich für die sich im Vergleich zwischen zentraler und bilateraler Abwicklung ergebenden Liquiditätskosten sollten die in Diskussion befindlichen Pflichten zur Stellung von IM auch im bilateralen OTC-Geschäft sein. In dieser Fragestellung wird der wesentliche Beitrag von IM zur Deckung des Kontrahentenausfallrisikos abgewogen gegen die induzierten Liquiditätskosten. Naheliegend ist, dass man sich an die DFA Vorgaben anlehnt und insofern Banken untereinander gegenseitig IM stellen müssen; gegenüber nicht-eigenkapitalregulierten Kontrahenten jedoch einseitig als Empfänger von IM auftreten. Das im Interbankenbereich ablaufende Gros der Geschäfte wäre somit auch im Falle bilateraler Abwicklung mit insolvenzfest abzusondernder IM gedeckt. So dürfte sich hier der Eigenkapitalanreiz wie auch eine gegebenenfalls niedrigere Marginhöhe für eine zentrale Abwicklung durchsetzen.9) Gegenüber nichteigenkapitalregulierten Kontrahenten hingegen, könnte die Möglichkeit über einseitig erhaltene IM zu disponieren,10) für bilaterales Geschäft mit komplexen und höhermargigen Produkten sprechen.

Die bisher bekannten Vorgaben an erlaubte Margin im bilateralen Geschäft legen nahe, dass es sich hierbei hauptsächlich um hochliquide Aktiva gemäß LCR handeln wird. Dies sind insbesondere öffentliche Schuldtitel, Unternehmensanleihen hoher Bonität, Pfandbriefe, hochliquide Geldmarktinstrumente, Eigenkapitalinstrumente aus maßgeblichen Aktienindizes. Die Schärfe der festgelegten Kriterien beeinflusst nicht nur das Spannungsfeld zu den knappen Liquiditätspolstern, sondern bestimmt auch die Wettbewerbsspielräume für die Anforderungen zentraler Kontrahenten.

Gängige Marktpraxis im bilateralen OTC-Geschäft ist es, dass Banken erhaltene Margin weiterverwenden und so ihre effektiven Refinanzierungskosten erheblich senken.11) Aufgrund dessen ultimativer Fungibilität besteht Margin daher großteilig aus Bargeld. Aktive Dealer-Banken sind jedoch auch in der Lage, mithilfe ihrer Collateral-Management-Einheiten erhaltene Wertpapiere zum Beispiel im Rahmen ihres institutionellen Wertpapierfinanzierungs- und Swapgeschäfts wiederholt in Umlauf zu bringen.12) Entsprechend ergaben sich bis dato Synergien zwischen den verschiedenen Geschäftsfeldern im All gemeinen sowie ein geringerer effektiver Liquiditätsbedarf für bilaterale OTC-Geschäfte im Speziellen.

Die Frage nach der zukünftigen Behandlung einseitig erhaltener Margin ist somit eine weitere Determinante für die involvierten Liquiditätskosten. Bei zentraler Abwicklung wird Margin von allen Kontrahenten gestellt und entzieht diesen entsprechende Liquidität (ebenso wie die Ausfallfondsbeiträge). Zwar führt ein multilaterales Netting mit steigender Teilnehmerzahl und deren Trades zu einer erheblichen Reduktion der zu besichernden Netto-Exposure. Der wiederholte Umschlag erhaltener Margin aus bilateralen Geschäften kann diesen Liquiditätsvorteil jedoch klar überwiegen.13)

Wirkung der Regularien

Die neuen OTC-Regularien bedeuten nicht nur Reorganisationsaufwendungen, steigende Abwicklungskosten und Margendruck durch zunehmende Standardisierung. Sie entwickeln zudem signifikante Effekte auf den Liquiditäts- beziehungsweise Refinanzierungsbedarf im Derivategeschäft und erschweren damit einen bereits vorherrschenden Zwang zum Ausbau von Liquiditätspolstern. Banken sind insofern angehalten die erforderliche Neubewertung ihrer OTC-Geschäftstätigkeiten insbesondere auch an ihr Liquiditätsmanagement zu knüpfen. Ein solcher Anspruch steht zudem in enger Kohärenz zu den Herausforderungen der jüngsten MaRisk-Novelle und den bevorstehenden Liquiditätsanforderungen der CRR.

Fußnoten

1) Semi annual OTC derivatives statistics, BIS, November 2012.

2) Margin requirements for non-centrally-cleared derivatives, BCBS, Juli 2012.

3) Neben sogenannten finanziellen und bestimmten nicht-finanziellen Gegenparteien.

4) Draft Regulatory Technical Standards on risk mitigation techniques for OTC derivatives not cleared by a CCP under the Regulation on OTC derivatives, CCPs and Trade Repositories, Februar2012.

5) Vgl. hierzu die Prinzipien für Finanzmarktinfrastrukturen der CPSS/IOSCO, April 2012.

6) Vgl. (Sidanius 2012) Sidanius, C., Zikes, F., Bank of England Financial Stability Paper No. 18, OTC derivatives reform and collateral demand impact, Oktober 2012.

7) Vgl. IMF Global Financial Stability Report, April 2010.

8) Die geplante Eigenkapitalunterlegungspflicht für Ausfallfondsbeiträge und die Behandlung der Trade Exposure zwischen Member und Client wie ein bilaterales Geschäft stehen hierbei in der Kritik die Anreize für ein zentrales Clearing zu relativieren.

9) Für niedrigere Margin bei zentraler Abwicklung sprechen die potenziellen Vorteile des multilateralen Nettings auf die ausstehende Netto-Exposure sowie ein kürzerer Zeithorizont zur Deckung durch IM (Margin-period-of-risk).

10) Soweit der die Sicherheiten stellende Kontrahent nicht auf einer Absonderung besteht.

11) Vgl. Singh, M., Aitken, J., The (sizable) role of rehypothecation in the shadow banking system, IMF Working Paper 10/172, Juli 2010; ISDA Margin Survey 2012.

12) Vgl. Singh, M., Velocity of Pledged Collateral: Analysis and Implications, IMF Working Paper WP/11/256, November 2011.

13) Vgl. (Sidanius 2012).

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