Aufsätze

"Die Probleme müssen im Rahmen des Systems gelöst werden"

Das Nachdenken über "Rendite, Risiko und Regulierung" beherrscht seit vielen Jahren in immer neuen Zyklen die Bankenwelt. Es hat gerade angesichts der anhaltenden Turbulenzen an den Finanzmärkten wieder deutlich an Aktualität und vor allem Dringlichkeit gewonnen. Ausgehend von ersten Überlegungen zu den einzelnen Bestandteilen des "Triple-R" sollen anschließend die Querverbindungen zwischen ihnen im Detail erörtert werden.

Steigende Renditeerwartungen der Anleger

Das Streben nach höheren Renditen ist seit einiger Zeit nicht nur bei börsennotierten Unternehmen, sondern auch in weiten Teilen der Kreditwirtschaft bestimmendes Thema. Für Banken wird es angesichts wachsenden Wettbewerbs- und Margendrucks immer schwerer, die steigenden Renditeerwartungen der Anteilseigner zu erfüllen. Dies gilt in besonderer Weise für den deutschen Markt. Angesichts der Marktentwicklung der letzten Monate stellt sich zunehmend die Frage, ob die teilweise erheblichen Renditeziele nachhaltig realistisch sein können. Gerade bei strukturierten Produkten stellen wir fest, dass in dieser Hinsicht viel Quantität produziert wurde, aber wenig Qualität.

Banken konkurrieren seit jeher um die richtige Einschätzung von Risiken; in gewisser Weise gilt: "Risiko ist unser Geschäft". Daher ist es für das Geschäftsmodell eines Kreditinstituts ausschlaggebend, welche Risiken es einzugehen gewillt ist und wie diese gemessen werden. Jedoch gibt es immer noch Risikoarten, die sich einer quantitativen Messung weitgehend entziehen - etwa operationelle oder strategische Risiken. Schwierig wird es auch dann, wenn die Risiken dreimal zerteilt, umsortiert und neu verpackt werden: Allzu häufig werden sie dadurch eben nicht kleiner: Der zuvor zerschlagene "Risiko-Knoten" wird durch einen neuen - wenngleich in einer anderen Verpackung - substituiert. Müssen wir uns also angesichts der Verwerfungen an den Finanzmärkten nicht mit der Frage auseinandersetzen, ob unsere Risikosteuerung versagt hat?

Banken produzieren zwar keine gefährlichen Chemikalien, sie werden aber mindestens so intensiv reguliert wie die chemische Industrie. Und trotzdem: Das eine oder andere Institut hat in den letzten Wochen in der eigenen Bilanz überraschenderweise ziemlich toxisches Material entdeckt. Für die intensive Regulierung der Finanzbranche gibt es demnach gute Gründe. Dennoch müssen wir darüber nachdenken, ob die Aufsichtsbehörden in den letzten Jahren die richtigen Fragen gestellt haben. Oder anders: Hat die Regulierung versagt?

Die Finanzbranche tut gut daran, diese Sachverhalte intensiv zu diskutieren. Nicht nur, um daraus für die Zukunft zu lernen, sondern auch aus der Verantwortung der Branche für Wirtschaft und Gesellschaft heraus. Denn wir erleben gerade eine beunruhigende Vertrauenskrise. Daher ist es unsere gemeinsame Pflicht als Finanzbranche, die Ursachen und Hintergründe der Turbulenzen genau zu analysieren und einer breiten Öffentlichkeit verständlich zu machen. Nur so können wir verloren gegangenes Vertrauen wieder herstellen; vor allem das unserer Kunden wieder zurückgewinnen. Dazu soll hier ein Beitrag geleistet werden. Dem ersten, flüchtigen Blick auf die Bestandteile des "Triple-R" muss also ein zweiter, differenzierter folgen. Daher werden nun die Begriffe paarweise beleuchtet.

Rendite und Risiko

Hier stellt sich die Frage: "Haben Banken angesichts der hohen Renditeerwartungen die damit verbundenen hohen Risiken ausgeblendet beziehungsweise bewusst in Kauf genommen?" Man muss kein Banker sein, um einen positiven Zusammenhang zwischen Rendite und Risiko, das heißt zwischen erwarteter Rendite und erwartetem Risiko zu antizipieren. Aus Sicht des Anlegers bedeutet dies: Um eine höhere Rendite zu erzielen, muss er bereit sein, ein höheres Risiko einzugehen. Oder kurz gesagt: "There is no free lunch." Aus Sicht des Schuldners: Um bei geringerer Bonität Geld geliehen zu bekommen, muss er bei ansonsten gleichen Bedingungen bereit sein, einen Aufschlag zu bezahlen, nämlich genau die "Risikoprämie".

Wenn aber nun die Renditeerwartungen steigen und gleichzeitig der Wettbewerb in den angestammten Geschäftszweigen zunimmt, mithin die Margen unter Druck geraten, dann beginnt leider allzu häufig eine hektische Suche nach attraktiven, das heißt rendite- und damit risikoträchtigen Tätigkeitsfeldern. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden: Eine bewusste Entscheidung für mehr Risiko kann durchaus vernünftig sein, allerdings nur dann, wenn mindestens die drei folgenden Nebenbedingungen erfüllt sind.

Nebenbedingung 1: Die handelnden Personen müssen sich der tatsächlichen Risiken bewusst sein. Überdurchschnittliche Renditen können eben nur um den Preis überdurchschnittlicher Risiken erzielt werden. Dieses Risiko lässt sich langfristig nicht wegdefinieren. So nahmen die aktuellen Turbulenzen in einer deutlichen Fehleinschätzung des Rendite-Risiko-Verhältnisses auf Seiten der Hypothekenbanken im US-amerikanischen Subprime-Segment ihren Ausgangspunkt: Die Ausfallquoten des Jahrgangs 2006 liegen mit bis zu 14 Prozent beinahe doppelt so hoch wie die der bisherigen Problem-Jahrgänge 2000, 2001 und 2005.

Risiken erkennen und bewerten

Die Risiken in voller Höhe zu erkennen, ist also nicht trivial. Das beginnt mit der Frage, welche Risikoart in welcher Art und Weise in die Betrachtung einfließen soll. Wer beispielsweise im Vorfeld der Sub-prime-Krise die Ausfallrisiken berücksichtigt, aber die Liquiditätsrisiken unterschätzt hat, lief Gefahr, "ruhig gestellt" zu werden. Wie wichtig einzelne Risikoarten sind, hängt jedoch auch davon ab, in welcher Phase einer Krise wir uns befinden: Waren die Ausfallrisiken einer der Auslöser der Subprimekrise, so entstanden die eigentlichen Probleme erst aus den ursprünglich vernachlässigten Liquiditätsrisiken. Diese wurden zum Teil auch deshalb unterschätzt, weil die Assets und deren Refinanzierung eben nicht auf der eigenen Bilanz lagen, sondern "nur" in einem Conduit.

Nebenbedingung 2: Art und Höhe der eingegangenen Risiken müssen zum Geschäftsmodell passen und mit der Risikotragfähigkeit eines Instituts in Einklang stehen. Höhere Risiken bedeuten eine höhere Volatilität der Erträge. Wer hierbei nicht über genügend Reserven verfügt, um Ausschläge nach unten zu verkraften und um Durststrecken zu überstehen, kann selbst dann ins Trudeln kommen, wenn die Qualität der zugrunde liegenden Aktiva einwandfrei ist.

Nebenbedingung 3: Die "Corporate Governance" muss funktionieren. Das bedeutet: Der Aufsichtsrat muss sich des zunehmenden Risikos, also der steigenden Volatilität der Erträge und der gegebenenfalls erhöhten Komplexität bewusst werden. Jede Organisation muss also ihre Corporate Governance auf den Prüfstand stellen und sich versichern, dass die Veränderungen im Geschäftsmodell das Aufsichtsgremium nicht überfordern. Zudem steigt angesichts zunehmender regulatorischer Anforderungen auch der zeitliche Aufwand für die Wahrnehmung eines Aufsichtsratsmandates deutlich an. Letztlich macht das Komplexitätsrisiko vor der Aufsichtsratsarbeit nicht halt. Der Corporate-Governance-Kodex hat hier eine durchaus positive Entwicklung in Gang gebracht, indem er das konstruktive Zusammenspiel zwischen Vorstand und Aufsichtsrat fördert. Soweit zu den Nebenbedingungen.

Durch Verbriefungsinstrumente lassen sich Risiken zwar reduzieren. Durch die Hintertür wurden aber die gleichen oder ähnliche Risiken wieder in die Bücher gebracht durch eigene Käufe oder Kreditvergabe an Hedgefonds und andere institutionelle Investoren, die damit ihrerseits in diverse verbriefte Finanzinstrumente anlegten. Im Zweifel führt also die Möglichkeit, Risiken an andere Marktteilnehmer abzugeben, sogar dazu, dass die eigenen und die des Finanzsystems insgesamt zunehmen. Unter anderem auch deswegen, weil die Akteure, die diese Risiken sammeln, nicht mehr bekannt sind.

Arbeitsteilung und Zusammenhalt

Vor diesem Hintergrund gewinnt das Geschäftsmodell von Genossenschaftsbanken eine für manche überraschende Aktualität und Attraktivität. Im Gegensatz zu anderen Finanzdienstleistern sind Genossenschaftsbanken in der Regel nicht gezwungen, einen immer höheren "Shareholder Value" zu erzielen. Im Mittelpunkt der ursprünglichen genossenschaftlichen Idee steht grundsätzlich der langfristige Nutzen für unsere Kunden und Mitglieder. Grundlage dafür ist ein Kreislauf aus wirksamer Corporate Governance und einem für alle Beteiligten förderlichen Leistungszusammenhang. Dabei orientieren wir uns an zwei Prinzipien: Arbeitsteilung und Zusammenhalt.

Das funktioniert folgendermaßen. Der genossenschaftliche Finanzverbund in Deutschland verfügt über 16 Millionen Mitglieder, das heißt Anteilseigner - fast viermal so viel wie Aktionäre in Deutschland, nach Angaben des Deutschen Aktieninstituts 4,3 Millionen. Die Anteilseigner der Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie der ebenfalls zum genossenschaftlichen Sektor gehörenden Sparda- und PSD-Banken sind die wesentliche Finanzierungsquelle für den gesamten Finanzverbund mit seinen fast 1 250 Genossenschaftsbanken.

Diese Genossenschaftsbanken sind wiederum die Aktionäre der DZ Bank mit einem Anteil von mehr als 90 Prozent am Grundkapital. In den Aufsichtsräten der DZ Bank AG und der wichtigsten Verbundgesellschaften sitzen - neben verbundexternen Experten - zumeist die Vorstandsvorsitzenden vorbildlich geführter Primärbanken. Sie verfügen in der Regel über jahrzehntelange Erfahrung im Bankgewerbe und kennen die Geschäftsrisiken sehr genau. Zudem haben sie ein unmittelbares Interesse daran, dass wir uns nicht zu weit von unseren "Leisten", dem ursprünglichen Geschäftsmodell weg bewegen. Soweit zur Corporate-Governance-Seite des Kreislaufs.

Auf Basis der Leistungen der DZ-Bank-Gruppe und anderer Verbundpartner bieten die Kreditgenossenschaften ihren Kunden, und darunter insbesondere den Mitgliedern, eine breite Palette von modernen Allfinanzprodukten zu wettbewerbsfähigen Preisen an. Mit diesem Leistungszusammenhang schließt sich der Kreislauf. Daraus generiert die Gruppe etwa drei Viertel ihrer Erträge. Schon aus diesem Grund wären überhöhte Renditeziele für uns kontraproduktiv. Sie würden von den Volksbanken und Raiffeisenbanken wegen des Verdachts auf unangemessene Preise und Provisionsgestaltung nicht akzeptiert: Verbundstrukturen erlauben nun einmal keine Monopolrente und sie funktionieren langfristig nur, wenn die Effizienz- und Renditemaßstäbe aller Verbundpartner nicht zu sehr auseinanderlaufen.

Vertrauensverhältnis

Seinen Reiz gewinnt der geschilderte Kreislauf für alle Beteiligten aus dem lang fristigen Vertrauensverhältnis, das mit ihm verbunden ist. Dieses reicht von den 16 Millionen Mitgliedern der Primärbanken über die fast 1 250 Genossenschaftsbanken bis hin zur DZ Bank und den Verbundunternehmen. Der Erhalt und der Ausbau langfristiger Geschäftsbeziehungen stehen dabei im Vordergrund aller Überlegungen. Für die DZ Bank sind die Kreditgenossenschaften zusätzlich zu ihrer Funktion als Aktionäre seit jeher die mit Abstand bedeutendste Kundengruppe.

Ein ähnliches Verhältnis - ebenfalls doppelt abgesichert durch Kundenbeziehung und Anteilsbesitz - besteht zwischen den Volksbanken und Raiffeisenbanken und ihren Mitgliedern. Das soll nicht heißen, dass im Finanzverbund alles zum Besten gestellt ist. Nein, es gibt vielfältigen Handlungsbedarf. Aber es lohnt sich eben, die Herausforderungen offensiv anzugehen. Schließlich weist unser Geschäftsmodell eine überzeugende innere Logik auf. Auf dieser Basis bilden wir seit vielen Jahrzehnten beispielsweise eine starke Risikogemeinschaft.

Die Sicherungseinrichtung wurde - übrigens in enger und harmonischer Abstimmung mit der BaFin - in den letzten Jahren deutlich modernisiert. Hier konnten stärkere Eingriffsmöglichkeiten durchgesetzt werden. Ein internes Klassifizierungsverfahren macht die Höhe der Beiträge von der Bonität der Mitgliedsbanken abhängig. Dies schafft Anreize zum verantwortungsvollen Umgang mit Risiken. In Deutschland ist die genossenschaftliche Sicherungseinrichtung das einzige bundesweit agierende System mit Institutsschutz. Die Genossenschaften haben ihre Risiken mittlerweile gut im Griff.

Make-or-Buy-Entscheidungen: strikt auf betriebswirtschaftlicher Basis

Allerdings dürfen wir darüber nicht die Rendite aus den Augen verlieren. Der Finanzverbund muss sich von einer Risikogemeinschaft noch stärker zu einer Ertragsgemeinschaft weiterentwickeln und das Geschäftsmodell besser nutzen. Das bedeutet: Eine gemeinsame Verantwortung für den Ausbau von Marktanteilen und die Steigerung der Profitabilität sowie die Abschaffung von Doppelarbeit im Verbund. Die Kostenstrukturen sind - gerade bei den Volksbanken und Raiffeisenbanken - noch lange nicht ideal. Daher sollten auch sie Make-or-Buy-Entscheidungen stärker auf einer strikt betriebswirtschaftlichen Basis treffen.

Auch innerhalb der DZ-Bank-Gruppe muss die Arbeitsteilung immer wieder auf Effizienz überprüft werden. Unsere Produktunternehmen agieren in ihrem Markt wie "Schnellboote". Aufgrund ihrer starken Spezialisierung können sie auf Herausforderungen im Wettbewerb rasch reagieren. Über verbesserte Produktqualität, zeitgemäße Innovationen, hohe Abwicklungssicherheit und geeignete Markenpolitik sowie andere Maßnahmen stellen sie ein hohes Maß an Wettbewerbsfähigkeit sicher. Nicht umsonst gehört die DZ Bank in vielen Sparten des Privatkundengeschäftes zu den Marktführern in Deutschland - so bei Zertifikaten, Bausparen, Altersvorsorge und Lebensversicherungen. Oder sie befindet sich auf dem besten Wege dahin, zum Beispiel bei Konsumentenkrediten.

Bei Back-Office-Funktionen oder auch im sogenannten "Middle-Office" ließe sich hingegen eine noch stärkere Bündelung vorstellen. Eine Möglichkeit wäre die Zusammenführung von Personalsteuerung, Rechnungswesen und Controlling der gesamten Gruppe in einer Art operativem Holding. Insgesamt reizen wir unsere Vertriebskraft noch bei weitem nicht vollständig aus. Es gilt, die Marktpotenziale in den einzelnen Regionen der Volksbanken und Raiffeisenbanken besser auszuschöpfen. Ziel muss es sein, einen Marktauftritt und eine Strategie aus einem Guss zu formulieren, und sich auf mehr Verbindlichkeit und Einheitlichkeit innerhalb des Verbundes zu verständigen.

Andere europäische Genossenschaften sind da schon weiter. Die genossenschaftlichen Verbünde beispielsweise in der Schweiz oder in den Niederlanden haben es geschafft, klare Spielregeln und effiziente Organisationsstrukturen zu etablieren. Bei ihnen sind Verbands- und Zentralbankaufgaben verschmolzen. Sie vermeiden so Doppelarbeiten und Ineffizienzen. Oberstes Gebot für den Finanzverbund wird in Zukunft sein: Auf der Suche nach höherer Rendite dürfen wir nicht Gefahr laufen, blind in unüberschaubare Risiken zu fliehen. Zumal der Aufsichtsrat gar nicht zulassen würde, dass wir unser etabliertes Geschäftsmodell verlassen - und schon gar nicht die Bundesbank oder die BaFin!

Risiko und Regulierung

Die Kreditinstitute haben in den letzten Jahren in enger Begleitung durch die Aufsichtsbehörden ihre Modelle und Prozesse zur Messung und Steuerung einzelner Risikoarten grundlegend überarbeitet und entwickeln sie kontinuierlich weiter. Es stellt sich die Frage: Haben wir uns aufgrund der verfeinerten Modelle vielleicht im Vorfeld der Marktturbulenzen in zu großer Sicherheit gewähnt? Haben unsere Modelle letztlich versagt?

Um es vorwegzunehmen: Sicher nicht! Wir haben gut daran getan, sie nach modernen Verfahren und aktuellen Erkenntnissen weiterzuentwickeln und regelmäßig neu zu kalibrieren. MaRisk und Basel II stellen hier wichtige Meilensteine dar. Bei aller Wertschätzung den einzelnen Modellen gegenüber - bei der Interpretation der Ergebnisse sollten stets auch die Grenzen eines Modellansatzes bedacht werden. Sie stellen stets nur ein mehr oder weniger perfektes Abbild der Wirklichkeit dar und basieren auf vereinfachenden Annahmen, wie beispielsweise der Rationalität der handelnden Personen. Da Modelle Zusammenhänge zwischen endogenen und exogenen Variablen auf der Basis historischer

Daten abbilden, sind sie per Definition rückwärts gewandt. Sie arbeiten mit Erfahrungswerten der Vergangenheit und sind daher immer "überfordert", wenn nie da gewesene, unvorhersehbare exogene Schocks eintreten.

Quantitative Modelle und Stresstests

Um derartige weitergehende Effekte berücksichtigen zu können, bedienen sich Kreditinstitute, Aufsichtsbehörden und Ratingagenturen der Szenariotechnik. Durch die Definition bestimmter Stressszenarien lassen sich die Auswirkungen einzelner Effekte oder einer Kombination mehrerer Effekte auf die zu erklärende Größe - etwa die durchschnittliche Bonität eines Portfolios oder die Liquiditätssituation - untersuchen. Als wichtige Ergänzung zu Risikomodellen haben Stresstests in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Die Marktverwerfungen haben dem noch einmal einen höheren Stellenwert verliehen, sodass sie in Zukunft wohl noch wichtiger werden. Doch auch sie haben ihre Grenzen: Die Interpretation jedes Stressszenarios hängt letztlich davon ab, wie wahrscheinlich die Ausgangsparameter sind.

Ohne Berücksichtigung der Eintrittswahrscheinlichkeiten ließen sich - ohne allzu große Fantasie - Szenarien definieren, die ein Risikosystem zum Kollabieren brächten. Insofern setzen Stresstests eine gewisse Selbstbeschränkung beim Härtegrad der zugrunde gelegten Szenarien aus. So wäre es beispielsweise keinesfalls zielführend, die Risikopuffer der Kreditinstitute so auszurichten, dass sie jederzeit einem Ansturm aller Privatanleger standhalten würden. Hier kommt es also entscheidend auf die Erfahrung und Urteilskraft des Risikocontrollers an.

Eine der wesentlichen Rollen der Aufsichtsbehörden ist es hierbei, die beaufsichtigten Institute bei der Einführung von Modellen zur Risikosteuerung und auch der Durchführung und Interpretation von Stresstests zu begleiten. An dieser Stelle erfüllt sie eine wichtige Funktion, die ein einzelnes Institut kaum erfüllen kann - auf die "Best Practice" anderer Institute zu rekurrieren. Das allein kann von unschätzbarem Vorteil für das regulierte Institut sein. Damit ist es aber nicht getan, die Aufgaben der Aufsicht gehen noch weit darüber hinaus. Sie interessiert sich für die Prozesse, die hinter der reinen Modellarbeit und Szenariotechnik stehen. Wie werden Ergebnisse ausgewertet? Wie fließen sie in die Entscheidungsprozesse mit ein?

Denn letztlich ist es eine Managementleistung, die Steuerungsimpulse aus den quantitativen Ansätzen richtig zu interpretieren sowie rechtzeitig geeignete Steuerungsmaßnahmen zu ergreifen und durchzusetzen. Jeder in der Organisation - vom einzelnen Controller bis hin zum Vorstand

- muss seinen Teil dazu beitragen. Um das zu erreichen, müssen wir zu einer Unternehmenskultur kommen, die Engagement und Übernahme von Verantwortung, Mitdenken und Mithandeln zulässt, fördert und fordert. Das Fazit lautet also: Quantitative Modelle und Stresstests sind das Risikosteuerungs-Vehikel. In die richtige Richtung fährt das aber nur dann, wenn am Lenkrad verantwortungsbewusste Experten sitzen, die das Zusammenspiel der einzelnen Bauteile vernünftig orchestrieren. Und natürlich nur, wenn genügend Benzin im Tank ist - sprich Daten in den Risikomodellen.

Strategische Risiken

Besonderen Schwierigkeiten ist die Bewertung von Risikoarten ausgesetzt, die sich einer formalen, modellgestützten Quantifizierung weitgehend entziehen, insbesondere das strategische Risiko. Die negativen Effekte strategischer Fehlentscheidungen können größer und nachhaltiger sein als die Belastungen aus anderen Risikoarten. Und auch hierbei hat die Aufsicht eine wichtige Funktion. Es kann nicht ausreichen, die Strategie eines Instituts nur im Rahmen einer Kreditrisikostrategie oder anderer zu Recht geforderter schriftlicher Unterlagen festzuhalten. Die Jahresgespräche mit den Aufsichtsbehörden haben für die Institute zudem die wichtige Funktion, die innere Logik eines Geschäftsmodells beziehungsweise einer weitergehenden strategischen Weichenstellung auf den Prüfstand zu stellen. Hierbei helfen keine stochastischen Modelle, sondern nur der gesunde Menschenverstand und die Erfahrungswerte der Regulatoren.

Auch aus diesem Grund ist es für unseren genossenschaftlichen Finanzverbund äußerst wichtig, eine geschlossene und überzeugende Strategie aus einem Guss zu beschließen. Daher haben wir uns unter Federführung des BVR entschlossen, unter der Überschrift "Kompass 2008" einige übergreifende Wachstums- und Renditeziele für 2008 zu formulieren, die für den gesamten Verbund wegweisend sind. Schließlich sollten sich die Aufsichtsbehörden nicht mit der Strategie der Raiffeisenbank Butjadingen-Abbehausen auseinandersetzen müssen, sondern mit einer Strategie, die für den gesamten Verbund Gültigkeit besitzt. Dies setzt aber erneut voraus, dass wir uns im Verbund um eine stärkere Verbindlichkeit und um eine weitere Vereinheitlichung des Marktantritts bemühen.

Regulierung und Rendite

Der ZKA hat für die deutsche Kreditwirtschaft Kosten für branchenspezifische gesetzliche Informationspflichten in Höhe von 3,1 Milliarden Euro jährlich errechnet. Das entsprach im Jahr 2006 über elf Prozent des Jahresüberschusses der Branche. Sicherlich darf eine Aufsicht nicht allein an den Kosten gemessen werden, die sie verursacht. Aber von einer modernen Bankenregulierung sollte man erwarten können, dass sie

1. den Instituten einen Handlungsrahmen vorgibt, das heißt Richtlinien festlegt, statt detailreich Einzelfälle zu regeln;

2. Eigenverantwortung und Selbstregulierung innerhalb dieses gesetzten Handlungsrahmens betont und

3. die Zweckmäßigkeit des Regelungsrahmens laufend überprüft.

Mit der Einführung von Basel II in Deutschland ist ein erster Schritt in Richtung einer zentralen Beaufsichtigung des Finanzverbundes vollzogen worden: Die Nullgewichtung verbundinterner Forderungen hängt insbesondere davon ab, dass der Verbund seine Instrumente der zentralen Risikosteuerung ausbaut und die Doppelbelegung von Kapital ausschließt. Genau in dieser Richtung müssen wir voranschreiten, um künftig von der Aufsicht noch stärker als eine wirtschaftliche Einheit wahrgenommen zu werden, wie das bei den meisten Ratingagenturen mittlerweile selbstverständlich geworden ist.

Sehr weit oben auf der Prioritätenliste des Finanzverbundes steht daher die Fortentwicklung der Risikogemeinschaft im Wege eines weiteren Zusammenführens der Prüfungs- und Steuerungsfunktionen. Das

impliziert auch eine stärkere Zentralisierung der aufsichtsrechtlichen Überwachung des genossenschaftlichen Verbundes. Die Primärbanken sollten mittelfristig nur noch insofern einer Einzelüberwachung unterliegen, wie es ihrer möglichen Risikobelastung für den Finanzverbund insgesamt entspricht. Die Aufsicht kennt die internen Risikosteuerungsmechanismen und das Klassifizierungsverfahren der Volksbanken und Raiffeisenbanken genau. Sie sollte deren Ergebnissen so viel Vertrauen entgegenbringen, dass eine risikoadäquate und damit effiziente Beaufsichtigung erfolgen kann.

Europaweit tätige Regulierungsbehörde?

Das Verhältnis zwischen Risiko, Rendite und Regulierung ist weder statisch noch ist es automatisch ein harmonischer Dreiklang. Banken sind stets besonderen Risiken ausgesetzt. Ihr Wohl und Wehe hängt nicht nur von Entwicklungen an Börsen und Märkten oder von politischen Entscheidungen ab, sondern zunehmend von Ereignissen, die im globalen Maßstab stattfinden. Wenn Petrochina an die Börse geht, betrifft uns das ebenso wie katastrophale Brände in Kalifornien. Risiken zu vermeiden, ist keine Geschäftsstrategie. Sie zu kennen und aktiv zu managen, ist eine unternehmerische und zuweilen schwierige Aufgabe.

Der Sachverständigenrat wirft in seinem jüngsten Gutachten zu Recht die Frage auf, ob angesichts der Internationalisierung der Risiken nicht auch die Regulierungsbehörden stärker internationalisiert werden sollten. Gegen eine stärkere Zusammenarbeit, etwa auf europäischer Ebene und eine einheitliche Anwendung von Regeln ist insbesondere dann nichts einzuwenden, wenn dies dazu beiträgt, Doppelarbeit zu vermeiden, die heute noch aufgrund mangelnder Abstimmung zwischen den nationalen Regulierungsbehörden besteht. Aber eine europaweit tätige Regulierungsbehörde für die Finanzindustrie erscheint derzeit noch unrealisierbar und wäre nicht zielführend. Eine Regulierungsbehörde muss selbstverständlich nicht nur die global ausgerichteten Geschäftsbeziehungen ihrer Institute genau verstehen, sondern ebenso die Risikotoleranz des vorhandenen Geschäftsmodells und der Corporate Governance. Und diese unterscheiden sich nach wie vor stark innerhalb Europas.

Produktinnovationen, die letztlich den Fortschritt treiben und Pionierrenditen ermöglichen, gehen einher mit erhöhten Risiken. Diese sind rechtzeitig - bevor sie eintreten - zu reflektieren und in ein angemessenes Verhältnis zur Risikotragfähigkeit und zum Geschäftsmodell zu stellen. Gesetzliche Vorschriften oder eine noch so penible Aufsicht können keinen Komplettschutz bieten. Das Prinzip "Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht", ist im Bankgewerbe aufgrund seiner volkswirtschaftlichen Bedeutung abzulehnen. Und doch muss es in einem wettbewerbsorientierten Umfeld auch unter einer strengen Aufsicht möglich sein, dass Geschäftsmodelle scheitern. Sonst sind wirtschaftliche Ineffizienz und eine Art Verstaatlichung vorprogrammiert.

Problemlösung im Rahmen des Systems

Fehlschläge sind kein Beweis dafür, dass Risikomodelle versagt haben, sondern Zeichen für unternehmerische Fehleinschätzungen. Wer diese wegdefinieren will, läuft Gefahr, unternehmerisches Denken insgesamt zu unterbinden - mit entsprechend negativen Effekten auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Vereinzelte Fehlschläge dürfen freilich nicht das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Handlungsfähigkeit der Branche insgesamt stören. Wir wollen schließlich keine Schlangen vor unseren Bankschaltern erleben wie dies bei Northern Rock der Fall war.

Daher müssen Probleme im Rahmen des Systems gelöst werden - ohne Verunsicherung der breiten Öffentlichkeit. Das ist in Deutschland bislang gelungen. Und doch fällt auf, dass die Krise nun schon über fünf Monate anhält und es den Marktteilnehmern immer noch nicht gelungen ist, nachhaltig das Vertrauen wiederherzustellen. Das überrascht nicht. Nach wie vor haben wir keine vollständige Transparenz über die in den Büchern der Banken versteckten Risiken. Gleichzeitig wird über internationale Haftungskonstruktionen - wie einen Superfonds - nachgedacht, obwohl doch der Markt selbst eine Lösung finden muss.

Wir brauchen in der Branche einheitliche Bewertungsmaßstäbe, um nicht länger dauerhafte Abschreibungen mit vorübergehenden Wertverlusten, Portfolios niedriger Bonität mit solchen hoher Bonität, um nicht länger Äpfel mit Birnen vergleichen zu müssen. Denn ohne eine vollständige Transparenz und hohe Vergleichbarkeit der Subprime-Effekte auf die Bilanzen werden wir das Vertrauen auch innerhalb der Branche, zwischen den Banken nicht wieder zurückgewinnen.

Keine monokausalen Erklärungsansätze

Und somit bleibt festzuhalten: Trotz aller Sorgfalt sind selbst bei verantwortungsbewusster Handlungsweise Irrationalitäten und falsche Urteile nie ganz ausgeschlossen. Multiple Entscheidungsparameter führen zu multiplen Entscheidungsoptionen. Auch für die Subprime-Krise wäre ein monokausaler Erklärungsansatz unangebracht: Es gibt nicht den einen Schuldigen. Die Komplexität entbindet uns aber nicht von der Verantwortung, die einzelnen Ursachen und Katalysatoren, die in ihrem Zusammentreffen die Turbulenzen auslösten, zu untersuchen und der Öffentlichkeit zu erläutern.

Der Beitrag basiert auf einer Rede des Autors bei der 53. Kreditpolitischen Tagung der ZfgK am 9. November 2007. Die Zwischenüberschriften sind von der Redaktion eingefügt.

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