Leitartikel

Von den Notenbanken wird Mut gefordert

Rund um den Globus ist in diesem Jahr der Exit aus der ultralockeren Geldpolitik vollzogen worden. Nur in den drei führenden Industrieregionen ist noch nichts (oder fast nichts) passiert. Warum sind die Amerikaner, die Japaner und die Europäer so zögerlich? Werden sie den Kurs im nächsten Jahr ändern, und wenn ja wie werden sie es tun? Diese Fragen bewegen im Augenblick die Märkte.

Die Redaktion hat in dieser Ausgabe vier Experten gebeten, ihre Einschätzung der Geld- und Währungspolitik in den USA, in der Eurozone, in der Schweiz und in China zu geben.

Die Geldpolitik der letzten Jahre war eine Erfolgsstory ohnegleichen. Ohne ihre Hilfe wäre die Rezession nicht so schnell überwunden worden. Ohne sie wäre die Finanzkrise nicht so glimpflich verlaufen. Auch die Kapitalmärkte hätten sich für die Anleger in den letzten zwei Jahren nicht so positiv entwickelt.

Die Financial Community ist den Verantwortlichen dafür dankbar. Die Notenbanker könnten jetzt eigentlich mit viel Selbstbewusstsein und Vertrauen in die Funktionsfähigkeit ihrer Instrumente an die vor ihnen liegenden Aufgaben gehen. Gleichwohl tun sie sich außerordentlich schwer mit der Entscheidung zum Exit aus der Stimulierungsphase. In den geldpolitischen Entscheidungsgremien gibt es kontroverse Diskussionen wie selten. Manches erinnert an das erste Halbjahr 2004, als jeder wusste, dass die Zinsen in den USA erhöht werden mussten, die Federal Reserve aber lange, zu lange zögerte.

Der wichtigste Grund für die Haltung der Notenbanker ist natürlich die Unsicherheit über die weitere Entwicklung der Wirtschaft. Die Rezession ist zwar zu Ende. Noch ist aber nicht sicher, wie stabil und belastungsfähig die konjunkturelle Erholung ist. In den USA ist die Arbeitslosigkeit nach wie vor hoch. In Japan gehen die Preise zurück. In Europa gibt es im Süden und im Westen schwache Regionen. All das hat aber im Wesentlichen strukturelle Ursachen, die die Notenbanken nicht zu verantworten haben. Sie können sie auch nicht wirklich ändern. Trotzdem ist es unter solchen Umständen schwer, geldpolitische Lockerungen zurückzunehmen.

Erschwert wird ein Kurswechsel der Geldpolitik auch durch die Tatsache, dass die Preissteigerung in den Industrieländern gering ist (einige in den USA sagen sogar: zu gering).

Ausnahme ist Großbritannien mit einer Geldentwertung von derzeit 3,1 Prozent. Wenn es inflationäre Gefahren gibt, tun sich alle Notenbanker mit Entscheidungen leichter. Nur sollte eine Zentralbank nicht auf die heutige Geldentwertung schauen, sondern auf die mittelfristigen Perspektiven. Da aber deuten sich Probleme an. Agrarische Rohstoffe steigen derzeit um 40 Prozent, industrielle um 30 Prozent. Das kommt später auch bei den Konsumenten an.

Zudem hat sich die monetäre Welt verändert. Wir leben nicht mehr in Zeiten, in denen nur die Verbraucherpreise entscheidend sind. Auch steigende Preise der Vermögensgüter (inklusive der Immobilien) können Ungleichgewichte signalisieren. Es gilt nicht mehr das alte Diktum von Alan Greenspan, dass Notenbanken Blasen an den Märkten nicht verhindern, sondern nur die Folgen eines Platzens der Blasen mildern können. Alle modernen Notenbanken müssen heute auch auf das schauen, was sich an den Kapitalmärkten tut.

Schwierig sind die geldpolitischen Maßnahmen derzeit auch wegen ihrer währungspolitischen Konsequenzen. Wer die Zinsen anhebt, riskiert eine Wechselkursaufwertung gegenüber den Ländern, die dies nicht oder später tun. Das ist der Grund, weshalb die Schweizer warten, bis die EZB die Zinsen nach oben schleust. Es erklärt auch, weshalb die EZB so vorsichtig ist, nachdem sich der Euro so stark nach oben entwickelt hat. Freilich sollte man bei allem Verständnis für diese Haltung auch berücksichtigen, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer bei ihren geldpolitischen Maßnahmen der letzten Monate mehr Mut gezeigt haben. Sie haben die Zinsen angehoben, auch wenn dies spekulatives Kapital anlockte und zu Aufwertungen führte. Erst in letzter Zeit bekommen sie Angst vor der eigenen Courage (und vor der weiteren Lockerung in den USA). Jetzt intervenieren einige von ihnen an den Devisenmärkten und/oder führen Kapitalverkehrskontrollen ein.

All das erklärt, warum es mit dem Exit aus der ultralockeren Geldpolitik in den Industriestaaten so langsam geht. Freilich, die Zeit drängt. Je länger die Zinsen so niedrig sind und die Liquidität so hoch, umso größer die Gefahr, dass sich neue Blasen bilden und neue Krisenherde entstehen. Die Notenbanker müssen jetzt allen Mut zusammennehmen. 2011 muss zu einem Jahr des Wechsels in der Geldpolitik werden. Es bietet sich an, dass die Europäische Zentralbank den ersten Schritt macht (obwohl sie verglichen mit den anderen immer noch die höchsten Zinsen hat). Das könnte schon im ersten Quartal geschehen. Die

Schweizer Notenbank wird folgen. Wann die amerikanische Federal Reserve die Leitzinsen anhebt ist derzeit schwer zu sagen. Sie hat jetzt erst noch einmal den Geldhahn aufgedreht. Das Unbehagen über diese Politik wächst jedoch auch in den Vereinigten Staaten. Am Schluss wird sich auch die britische Geldpolitik dem Trend nicht entziehen können. Allein die Japaner werden den Exit noch weiter nach hinten schieben.

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