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Geschichte der DZ Bank

Zu den Charakteristika der deutschen Kreditwirtschaft zählt ihre Drei-Säulen-Struktur. Besagte Säulen befinden sich allerdings in einem kontinuierlichen Entwicklungsprozess. Dieser wird durch menschliches Handeln vorangetrieben, das sowohl die geltenden Regeln als auch die Organisationen stetig verändert, die hiernach Bankgeschäfte betreiben. Zu den Wesensmerkmalen dieses institutionellen Wandels zählt nach dem Wirtschaftsnobelpreisträger Douglass C. North ein schrittweises, pfadabhängiges Voranschreiten, weswegen für die Beurteilung des Status quo einer Institution ihre Geschichte von maßgeblicher Bedeutung ist. Folgerichtig sind Arbeiten, die sich mit der Geschichte von Bankunternehmen befassen, zwar in der Vergangenheit verwurzelt, aber gleichzeitig auf (die Erklärung von) Gegenwart und Zukunft gerichtet.

Im Rahmen eines dahingehenden Forschungsprogramms hat das Institut für bankhistorische Forschung im Auftrag der DZ Bank einen voluminösen Band zur Geschichte des Instituts herausgegeben. Auf über 600 Seiten werden hierin die letzten anderthalb Jahrhunderte in außerordentlich detaillierter, sorgfältig belegter und kenntnisreicher Art und Weise aufgearbeitet. Dem Vorwort von Bernd Rudolph (Seiten 11 bis 13) ist zu entnehmen, dass der Fokus hierbei gezielt auf der Geschichte der überregionalen Zentralbank lag, während die der (hierin aufgegangenen) regionalen Zentralinstitute künftiger Forschung überlassen bleibt. Es folgt eine ausführliche, zurückhaltend betitelte Einleitung von Gerald Braunberger (Seite 15 bis 39), um "Lesern einen Überblick über die wesentlichen Entwicklungsschritte des Spitzeninstituts" (Rudolph, Seite 12) zu gewähren. Hiernach gliedert sich der Band in drei Hauptkapitel beziehungsweise Zeitabschnitte, nämlich erstens die Anfänge des genossenschaftlichen Zentralbankwesens bis 1914; zweitens die Kriegs- und Krisenjahre 1914 bis 1945 sowie drittens die jüngste Geschichte der DZ Bank bis ins Jahr 2010.

Im ersten Hauptkapitel (Seiten 41 bis 144) untersucht der US-amerikanische Historiker Timothy W. Guinnane (Yale) unter dem Titel "Zwischen Selbsthilfe und Staatshilfe: Die Anfänge genossenschaftlicher Zentralbanken in Deutschland (1864 bis 1914)" die früheste DZ-Geschichte. Bereits eingangs wird die maßgebliche Rolle des institutionellen Rahmens für die Entwicklung von Organisationen im Allgemeinen und die der genossenschaftlichen Zentralinstitute im Besonderen betont (Seite 47), bevor an der Position Schulze-Delitzschs im Rahmen der ersten, durchaus konfliktträchtigen Diskussion um genossenschaftliche Zentralinstitute zwei ihrer künftigen Wesensmerkmale (Eigentum der Primärinstitute in Verbindung mit der Erlaubnis, sich auch außerhalb der eigentlichen Zentralbankfunktion zu betätigen, Seite 63) festgemacht werden.

Im weiteren Verlauf steht die institutionelle Entwicklung der zeitlebens nicht unumstrittenen, ebenso wichtigen wie opaken Preußenkasse samt des dahinter stehenden unternehmerischen Handelns im Mittelpunkt. Detailreich wird zunächst der Aufbau und sodann das noch originellere Selbstverständnis und Geschäftsgebaren der Preußenkasse (Seiten 92 ff.) geschildert, wobei Dilemmata durchschimmern, die bis heute aus dem Bankgeschäft von Zentralinstituten (der genossenschaftlichen wie der öffentlich-rechtlichen Banken) bekannt sind.

Am (Nicht-)Zusammenwirken mit neuen zentralen Institutionen wie der Reichsgenossenschaftsbank arbeitet Guinnane schließlich heraus, dass die "Preußenkasse mit ihrer staatlichen Rückendeckung keinen Raum mehr für eine rein genossenschaftliche gesamtdeutsche Zentrale" (Seite 127) gelassen haben dürfte. Die Wettbewerbsposition und das daraus erwachsene Verhalten der Preußenkasse gegenüber den Zentralkassen, die sich zwischen ihr und den Primärinstituten entwickelt hatten, ließen Erstere bis eingangs des 20. Jahrhunderts "eine in der Entstehung begriffene Struktur ... festigen, die auch heute noch die deutsche Genossenschaftsbewegung kennzeichnet" (Seite 143) - ungeachtet der denkbar dunklen Folgejahre.

Diesen ist das zweite Hauptkapitel (Seiten 145 bis 294) über "Die kreditgenossenschaftlichen Zentralinstitute vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur bedingungslosen Kapitulation des NS-Staates (1914 bis 1945)" gewidmet. Verfasst ist dieser Teil von den Wirtschaftshistorikern Patrick Bormann, Joachim Scholtyseck (beide Bonn) sowie Harald Wixforth (Bielefeld/ Bremen). Die Autoren verdeutlichen zunächst, dass weniger der Ausbruch als das Ende des Ersten Weltkrieges samt der darauf folgenden Inflationszeit eine erste Zäsur für die deutsche Genossenschaftsorganisation dargestellt hat, in deren Verlauf es zur strukturell bedeutsamen Beteiligung der Genossenschaften an der Preußenkasse kam (Seiten 161 ff.).

Hiernach wird die zweite Zäsur der Bankenkrise von 1931 und ihrer Vorgeschichte für die Genossenschaftsabteilung der Dresdner Bank und besonders detailliert für die schon vorher massiv geschwächte Preußenkasse dargestellt, die letztlich zu deren Transformation in die reichsgebundene Deutschlandkasse (Seiten 222 ff.) führte. Die Folgejahre der nationalsozialistischen Diktatur waren eine Herrschaft des Terrors in jeglicher, nicht zuletzt in ökonomischer Hinsicht. Die Autoren zeichnen minutiös nach, wie "[p]ragmatische und sachlich gerechtfertigte Überlegungen und Anregungen ... angesichts der 'braunen Revolution' in den Hintergrund" (Seite 263) einer durch obskure wirtschaftliche Anschauungen geprägten nationalsozialistischen Bank- und Finanzpolitik traten. Dieser erschien schließlich auch der gewachsene Dualismus der genossenschaftlichen Spitzeninstitute untragbar, was in die Übertragung der Dresdner Genossenschaftsabteilung auf die Deutschlandkasse per Februar 1939 mündete. Die Autoren sezieren nicht nur abschließend (Seiten 287 f.) in großer Klarheit, wie auch die neue Deutsche Zentralgenossenschaftskasse von der Expansion in annektierte oder verbündete Gebiete profitierte, ohne eine Art "loyaler Distanz" zum Regime (Seiten 252 ff., 293) ganz aufzugeben.

Das dritte und längste Hauptkapitel handelt über "Das genossenschaftliche Zentralbankwesen auf dem Weg in die Zweistufigkeit (1945 bis 2010)". Nach einem gemeinsamen Einleitungsteil nehmen Stephan Paul (Bochum) und Theresia Theurl (Münster) bei gleicher zeitlicher Untergliederung verschiedene Blickwinkel ein, die auf die Entwicklung a) des DZ-Geschäftsmodells im nationalen und internationalen Bankenwettbewerb (Paul) sowie b) der DZ Bank innerhalb der genossenschaftlichen Bankengruppe (Theurl) fokussiert sind. Die Einleitung (Seiten 297 bis 322) behandelt mit ausführlichem Rückgriff auf zeitgenössische Quellen die ersten Nachkriegsjahre, in denen "grundlegende Kontroversen des genossenschaftlichen Diskurses" (Seite 298) auch die neuerliche Diskussion über das Ob und Wie eines Spitzeninstituts prägten. Diese Phase kennzeichnet das Autorenteam als Wiederholung der Geschichte, namentlich des Diskurses um Selbst- oder Staatshilfe, der die Frühgeschichte (und damit auch das erste Hauptkapitel) - geprägt hatte (Seiten 313 ff.). Als neuartig anerkennen sie das Ende dieses Prozesses, der mit der Deutschen Genossenschaftskasse per Dezember 1950 erstmals in genau ein Spitzeninstitut mündet, das sich in die genossenschaftlichen Verbundstrukturen einfügt (Seite 321).

Im ersten Teilabschnitt zu den Jahren 1949 bis 2010 (Seiten 323 bis 435) analysiert Stephan Paul die Triebkräfte, die den "Wandel des Geschäftsmodells zwischen Marktentwicklung und Finanzmarktregulierung" bestimmten, sowie die Auswirkungen ihrer Veränderungen. Die erste Erfolgsära zur Zeit des Wirtschaftswunders wird sorgfältig mit Text- und Zahlenmaterial unterlegt und eng mit der Rolle des Unternehmers (Draheim) verknüpft, der das Spitzeninstitut auf den "Weg zur Universalbank" (Seiten 341 ff.) brachte. Ebenso konzis werden die gesellschaftsrechtliche und strategische Neuordnung in Gestalt der DG Bank eingangs der 1970er Jahre sowie die Expansion/Internationalisierung der 1980er Jahre mitsamt den durch zu sehr quantitatives, zu wenig qualitatives Wachstum bedingten Schwierigkeiten geschildert, welche die Bank eingangs der 1990er Jahre zum Sanierungsfall machten (Seiten 364ff.).

Sehr deutlich wird hiernach, wie stark - oft negativ - das Institut von Entwicklungen der (institutionellen) Rahmenbedingungen beeinflusst wurde, so der Neuordnung der Bankenregulierung durch Basel I, der Rechnungslegung durch internationale Standards, der Wiedervereinigung oder der Europäischen Einigung, während die DG-Führung unter ihrem neuen Kopf Thiemann Refokussierung, Sanierung und Privatisierung umsetzte (Seiten 384 ff.). Hinzu trat im 21. Jahrhundert eine zunehmende Krisengetriebenheit von Bankregulierung/-wirtschaft.

Mit dahingehend unglücklichem Timing war im Herbst 2001 der bislang letzte institutionelle Entwicklungsschritt durch Fusion des vormaligen Spitzeninstituts mit einem regionalen Zentralinstitut (GZ-Bank) zur DZ Bank AG heutiger Prägung erfolgt (Seiten 415 ff.). Während das neue Spitzeninstitut erfolgsrechnerisch erheblich durch die Kreditbestände der DG Bank belastet blieb, gelang strategisch die (Re-)Positionierung als "'Bank der Banken' im genossenschaftlichen Verbund" (Seite 423). Sowohl die Bewältigung dieser Belastungen als auch die neue Qualität der Verankerung im Verbund werden schließlich nachvollziehbar als Begründung dafür herausgearbeitet, dass die DZ Bank die Finanzmarktkrise seit 2007 unter dem neuen Lenker Kirsch vergleichsweise glimpflich und ohne Staatshilfe überstehen konnte (Seiten 432f.).

Der etwas kürzere zweite Teilabschnitt zum gleichen Betrachtungszeitraum über das Spitzeninstitut "Auf dem Weg zur modernen Zentralbank im genossenschaftlichen Finanzverbund" (Seiten 436 bis 495) ruht auf der Erkenntnis, "dass für das neue Spitzeninstitut die Einbettung in einen Finanzverbund konstitutiv war", der ein "dezentrale[s] Netzwerk mit subsidiären Strukturen" repräsentiert (Seiten 436f.). Überzeugend beleuchtet Theurl hiernach die Vor- wie Nachteilspotenziale eines Verbundes aus Sicht der verschiedenen Beteiligten, die sich jeweils auf ihre Weise zu emanzipieren suchen. Die "Konzentrationsprozesse im Verbund" werden ebenso anschaulich - insbesondere anhand der Abbildungen Seiten 456, 465, 474 - nachgezeichnet wie das neue Selbstbewusstsein des Spitzeninstituts (Seiten 460ff.). Gleichzeitig wird deutlich, dass die Verbunddiskussion hierdurch zwangsläufig auf die Frage der (von der DZ Bank wenig überraschend befürworteten) Zwei- oder Dreistufigkeit zusteuerte (Seiten 479ff., 491 ff.). Auch deswegen ist zu vermuten, dass die Möglichkeiten einer Fusion von DZ Bank und WGZ zu den spannendsten Verbundthemen für die Zeit gehören werden, die selbst dieser umfassende Band aus der Natur der Sache heraus nicht abdecken konnte.

Die bereits erwähnte akribische Forschungs- und Belegarbeit der Autoren wird überaus deutlich bei Inaugenscheinnahme des nachfolgenden Anhangs (Seiten 497 ff.), der gut 70 Seiten mit Anmerkungen und 20 Seiten mit Quellen umfasst, von denen nicht wenige erstmals wissenschaftlich ausgewertet worden sind. Bereits die Hebung und Weitervermittlung des hierin liegenden Wissens macht diese Unternehmenschronik zu einem begrüßenswerten Werk.

Allen, die aus der Praxis oder der Wissenschaft heraus an der Geschichte deutscher Banken generell und an der des genossenschaftlichen Zentralbankwesens speziell interessiert sind, bietet der Band eine außerordentlich reichhaltige Informationsquelle und Nachschlagemöglichkeit. Aufgrund der im wahrsten Sinne zentralen Rolle der DZ Bank, die nicht nur die größte genossenschaftliche Bank, sondern inzwischen auch die nach Bilanzsumme viertgrößte deutsche Bank überhaupt ist, sollte dieses Buch noch viele weitere Leser finden. Dazu dürfte auch beitragen, dass Umfang und Qualität des Inhalts, aber auch die Aufmachung des Bandes dazu führen, dass er ein ausgesprochen attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis bietet.

Prof. Dr. Andreas Horsch, Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Schwerpunkt Investition und Finanzierung, Technische Universität Bergakademie Freiberg

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