Aufsätze

Finanzmarktregulierung: Prinzipien und Maßnahmen der Bundesregierung

Seit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise im Jahr 2007 stellt sich die Frage nach dem richtigen Umgang mit den Finanzmärkten neu - mit aller Dringlichkeit und äußerst schmerzhaft für alle Beteiligten. Allzu lange hatte man sich der Illusion hingegeben, dass unregulierte Märkte stets dem Allgemeinwohl dienen und die wesentliche Grundvoraussetzung für wirtschaftlichen Wohlstand sind. Die Finanzkrise, die zur weltweiten Rezession im Jahr 2009 und zu erheblichen Belastungen bei Unternehmen und Bürgern führte, hat uns eines Besseren belehrt.

Frage nach dem richtigen Maß der staatlichen Regulierung

Seit Ende der siebziger Jahre gab es weltweit insgesamt 124 systemische Bankenkrisen. Die durchschnittlichen fiskalischen Kosten pro Krise betrugen mehr als 13 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der betroffenen Länder, die durchschnittlichen Wachstums- beziehungsweise Wohlfahrtsverluste rund 20 Prozent. Deshalb sollten wir Abschied nehmen von der Utopie einer sich selbst regulierenden und dauerhaft stabilen Weltwirtschaft. Finanzmärkte brau chen - wie jede Freiheitsordnung - Regeln und Grenzen, die sie selbst nicht setzen, geschweige denn effektiv durchsetzen können. Die Effizienz der Finanzmärkte wird heute kritisch hinterfragt. Und die Politik hat damit begonnen, die Rolle des Staates als Regulierer nach den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft wiederherzustellen.

Damit stellt sich die Frage nach dem richtigen Maß der staatlichen Regulierung. Denn es ist klar, dass einer übertriebenen Marktgläubigkeit keine übertriebene Staatsgläubigkeit folgen darf. Funktionierende Finanzmärkte sind für ein funktionierendes Gemeinwesen unverzichtbar. Dies ist keine neue Erkenntnis, gilt aber in unserer arbeitsteiligen, globalisierten Welt mehr denn je. Funktionierende Marktmechanismen sorgen für eine effiziente Allokation von Kapital dorthin, wo es von Unternehmen, privaten Haushalten und nicht zuletzt Staaten benötigt und nutzbringend eingesetzt wird, und zur effizienten Allokation von Risiken dorthin, wo sie am besten gesteuert und gegebenenfalls auch getragen werden können.

In diesem Sinne ist häufig und zutreffend von der dienenden Funktion der Finanzmärkte für die Realwirtschaft die Rede. Der Zusammenhang ist jedoch weder durchweg linear noch durchweg positiv. So legt eine Untersuchung des Internationalen Währungsfonds den Befund nahe, dass ein großer Finanzsektor das Wachstum eines Landes nicht fördert, sondern eher bremst: Hat der Finanzsektor eine bestimmte Größe erreicht, wirkt sich jede weitere Expansion wachstumshemmend auf die Realwirtschaft aus.

Qualität vor Quantität

Es kommt also wesentlich auf die Qualität an, nicht auf die Quantität. Und so wenig staatliche Regulierung Marktmechanismen ersetzen kann, so sehr muss staatliche Regulierung die Rahmenbedingungen für stabile, nachhaltig funktionierende Finanzmärkte setzen. Wir haben hier erhebliche Fortschritte gemacht, international, in Europa und in Deutschland. Die Reaktionen auf unsere Maßnahmen könnten dabei kaum unterschiedlicher sein: Sie reichen vom Vorwurf, es sei nichts passiert, bis zur eindringlichen Warnung vor erstickender Überregulierung. Dabei kann vom einen so wenig die Rede sein wie vom anderen. Denn wir regulieren nicht unbedacht und ziellos. Vielmehr haben wir die Lehren aus der Krise gezogen und auf der Grundlage dieser Analyse fünf Prinzipien entwickelt, von denen wir uns bei unseren Regulierungsmaßnahmen leiten lassen:

- Wir verschaffen der Haftung wieder Geltung.

- Wir machen das Finanzsystem insgesamt krisenfester.

- Wir beteiligen die Verursacher an den Kosten der Krise.

- Wir erhöhen die Transparenz der Märkte und Produkte.

- Wir machen die Aufsicht durchsetzungsstärker.

Ein neuer Ordnungsrahmen für die Finanzmärkte

Diese Prinzipien greifen ineinander und bilden zusammen einen neuen Ordnungsrahmen für die Finanzmärkte. Was bedeuten sie im Einzelnen?

Wir verschaffen der Haftung wieder Geltung: Die Krise hat uns die Verwundbarkeit von Banken eklatant vor Augen geführt. Doch wer Gewinnchancen hat, muss auch in der Lage sein, die damit verbundenen Risiken zu tragen, und darf diese nicht auf Dritte, insbesondere den Steuerzahler, abwälzen. Mit Basel III erhöhen wir maßgeblich die Anforderungen an die Quantität und vor allem die Qualität des haftenden Eigenkapitals von Banken.

Zudem führen wir eine Verschuldungsobergrenze ein und verbessern das Liquiditätsmanagement. Für diejenigen Institute, von deren Zusammenbruch besondere Risiken für das gesamte Finanzsystem ausgehen würden - die global systemrelevanten Banken oder "G-SIBs" - haben wir die Kapitalanforderungen noch einmal um derzeit bis zu 2,5 Prozent erhöht. Und die Einzelheiten der europäischen Regelungen zu Basel III nehmen nunmehr konkrete Gestalt an. Ich bin zuversichtlich, dass wir sie im Laufe dieses Jahres so rechtzeitig fertigstellen, dass der Aufbau des zusätzlichen Kapitals innerhalb des von Basel III festgelegten Zeitrahmens begonnen werden kann. Und ich erwarte von unseren amerikanischen Partnern, dass sie ebenfalls fest zu ihrem politischen Entschluss zur Einführung des neuen Regelwerkes stehen.

Der Gleichlauf von Chancen und Haftung muss aber nicht nur für die Institute insgesamt gelten. Er muss auch in den Instituten gelten. Vergütungssysteme dürfen nicht länger kurzfristigen Profit belohnen und langfristige Risiken ausblenden und damit zu verantwortungslosem Handeln Anreiz geben.

Deshalb haben wir in einem ersten Schritt klare Vorgaben für die Bezahlung der Bankmanager aufgestellt. Schon jetzt dürfen zum Beispiel nur 40 bis 60 Prozent der variablen Vergütung sofort vollständig ausgezahlt werden. Verluste müssen die Höhe der variablen Vergütung verringern. Wir unterstützen eine weitere Verschärfung dieser Regeln im Rahmen der CRD IV. Und in besonders drastischen Fällen kann es nicht genügen, Einbußen am Gehalt hinnehmen zu müssen. Wir setzen uns daher dafür ein, dass Bankmanager auch zivil- und strafrechtlich härter sanktioniert werden, wenn sie nachweislich ihre bankaufsichtsrechtlichen Organisationspflichten verletzt haben.

Wir machen das Finanzsystem insgesamt krisenfester: Wenn wir einzelne Institute und dabei insbesondere große, weltweit vernetzte Banken widerstandsfähiger machen - und für Letztere gleichzeitig einen Anreiz setzen, nicht unkontrolliert weiter zu wachsen -, dann machen wir auch das Finanzsystem in seiner Gesamtheit krisenfester.

Mit diesem Ziel haben wir noch weitere Maßnahmen getroffen: Mit den von den G20 beschlossenen Abwicklungsstandards haben wir weltweit die Grund lage für klare, im Vorhinein bekannte Regeln zur Sanierung und Abwicklung in Schiefl age geratener Banken geschaffen. In Deutschland haben wir hier mit dem Anfang 2011 in Kraft getretenen Restrukturierungsgesetz eine Vorreiterrolle übernommen. Wir sind dafür von manchen kritisiert worden. Doch heute dient unsere Gesetzgebung in vielen Punkten als Vorbild auf internationaler und europäischer Ebene.

Daneben sorgen wir für eine Eindämmung des gefährlichen Hochfrequenzhandels. Wir haben hierzu einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der den Hochfrequenzhandel so reguliert, dass bei einer auffälligen Kursschwankung der Handel automatisch ausgesetzt wird. Die Aufseher werden zudem einen besseren Einblick in die verwendeten Handelsstrategien gewinnen können.

Finanzsektor an den Kosten der aktuellen Krise beteiligen Wir beteiligen die Verursacher an den Kosten der Krise: Die Kosten der Finanzmarktkrise für Staaten und Steuerzahler waren enorm. Finanzmarktkrisen belasten den Staat und seine Bürger nicht nur finanziell, sondern erodieren auch die Sta bilität unserer demokratischmarktwirtschaftlichen Ordnung. Um dem entgegenzuwirken, müssen wir zum einen den Finanzsektor an den Kosten der aktuellen Krise beteiligen. Hierzu streben wir eine Finanztransak tionssteuer in möglichst vielen Staaten an.

Mit der Einigung von bisher elf EU-Mitgliedstaaten auf das Instrument der "Verstärkten Zusammenarbeit" sind wir hier einen wichtigen Schritt vo rangekommen. Zum anderen geht es da rum, dass bei möglichen künftigen Schieflagen von Banken nicht wieder vornehmlich der Steuerzahler in Anspruch genommen wird. Daher hat das bereits genannte Restrukturierungsgesetz in Deutsch land die Grundlage geschaffen, dass vorrangig Eigentümer und Fremdkapitalgeber Verluste zu tragen haben. Und für die Fälle, in denen dies nicht reicht, leistet der Bankensektor insgesamt mit der Bankenabgabe seinen Beitrag.

Wir erhöhen die Transparenz der Märkte und Produkte: Transparenz ist Grundlage für Vertrauen zwischen Finanzmarktakteuren. Der Verlust des Vertrauens in die Werthaltigkeit amerikanischer Hypothekarkreditderivate war der Auslöser der Finanzmarktkrise. Daher haben wir die Anforderungen an Verbriefungen deutlich verschärft. Auch erhöhen wir die Transparenz insbesondere der Derivatemärkte, indem zum Beispiel bestimmte Derivategeschäfte außerhalb von Börsen künftig nicht mehr direkt zwischen den Geschäftspartnern abgewickelt werden dürfen, sondern über zentrale Clearing-Stellen geleitet und in Transaktionsregistern dokumentiert werden müssen.

Verbindliche Standards für Schattenbanken entwickeln

Mangelnde Transparenz assoziiert man beim Schattenbankensektor bereits durch seinen Namen. Der Schattenbankensektor ist kein spezifisch deutsches Problem. Auch ist er in Deutschland vergleichsweise klein. Aber vom Schattenbankensektor können globale Stabilitätsrisiken ausgehen - und sich dann auf unsere Banken und unsere Realwirtschaft übertragen. Deutschland hat sich daher in den G20 und in Europa von Anfang an für eine effektive Beaufsichtigung und Regulierung des Schattenbankensektors eingesetzt. Mit den jetzt vorgelegten Empfehlungen des Financial Stability Boards haben wir einen wichtigen Schritt vorangemacht. Bis zum nächsten G20-Gipfel in St. Petersburg wird es nun darum gehen, diese Empfehlungen weiter zu konkretisieren und möglichst zu international verbindlichen Standards zu entwickeln.

Stärkung der Aufsicht

Wir machen die Aufsicht durchsetzungsstärker: Die Erhöhung der Transparenz wird es der Aufsicht in Zukunft erleichtern, Risiken an den Finanzmärkten rechtzeitig zu erkennen und zielgerichtet zu bekämpfen. Die Kapitalregeln nach Basel III enthalten für die Aufsicht gestufte Interventionsmöglichkeiten.

Auch institutionell haben wir die nationale Finanzmarktaufsicht konsequent gestärkt und wollen auch die europäische Bankenaufsicht verbessern. Bereits am 1. Januar 2011 hat das neu geschaffene Europäische Finanzaufsichtssystem (ESFS) seine Arbeit aufgenommen. Mit den von den Staatsund Regierungschefs vereinbarten Arbeiten an einer neuen gemeinsamen europäischen Bankenaufsicht unter Einbeziehung der Europäischen Zentralbank gehen wir einen weiteren wichtigen Schritt, um die Integration des Finanzbinnenmarktes zu forcieren und die Stabilität des europäischen Finanzsystems nachhaltig zu stärken. Die Klärung wichtiger Fachfragen und die notwendigen Vorbereitungsarbeiten für die europäische Bankenaufsicht werden zweifellos noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Hierbei gilt für uns eindeutig: Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Denn übereilte Scheinlösungen bringen uns nicht weiter. Eine gemeinsame Bankenaufsicht in Europa muss substanziell besser greifen als die derzeitigen nationalen Aufsichten. Die gemeinsame Aufsicht benötigt die direkte Zuständigkeit immer dann, wenn es um erhebliche systemische Risiken für Europa geht. Dafür sind eindeutig definierte Verantwortlichkeiten mit allen nötigen Befugnissen und Ressourcen erforderlich.

Mit dem dargestellten neuen Ordnungsrahmen wollen wir die Stabilität der Finanzmärkte wieder herstellen und ihre Funktionsfähigkeit bewahren. Wir sind uns der Komplexität unserer Aufgabe bewusst: Die Finanzmärkte sind weltweit eng miteinander vernetzt. Wir müssen daher möglichst global konsistente Lösungen finden und auch Wechselwirkungen zwischen unseren Maßnahmen im Auge behalten. Wir wissen, dass viele unserer Maßnahmen kurzfristig die Profitabilität der Banken beeinträchtigen können. Unsere Politik kann jedoch nicht primär darauf abzielen, die Gewinne einzelner Banken oder des Bankensektors insgesamt zu steigern. Vielmehr sind Ziel und Maßstab unserer Politik - dies gilt bei der Finanzmarktregulierung nicht anders als in anderen Politikbereichen - das Gemeinwohl. So nehmen wir zum Beispiel durchaus in Kauf, wenn höhere Eigenkapitalanforderungen zu größeren Belastungen für die Banken führen - dies ist sogar intendiert, denn hierdurch werden Risiken und Kosten internalisiert, die bisher auf Dritte abgewälzt werden konnten.

Vergleichsweise geringe Kosten der Regulierung für das Gemeinwohl

Wir prüfen aber zugleich kritisch, ob daraus inakzeptable negative Folgen für die Kreditvergabe und damit für die Gesamtwirtschaft drohen. Eine Untersuchung der Auswirkungen der Kapitalzuschläge durch Basel III und die Sonderregelungen für global systemrelevante Banken durch den Baseler Ausschuss hat allerdings ergeben, dass wir zwar durchaus mit einer maßvollen Verteuerung der Kreditvergabe und geringfügigen Wachstumseinbußen rechnen müssen, diese jedoch deutlich überkompensiert werden durch den Gewinn an Stabilität und die verringerte Wahrscheinlichkeit künftiger Krisen.

Die Kosten einer solchen Regulierung für das Gemeinwohl sind gering im Vergleich zu den Kosten einer unterlassenen Regulierung. Es ist die Aufgabe nationaler und internationaler Regulierung, Übertreibungen einzudämmen, ohne dabei die unbestritten positiven Kräfte des Finanzsystems zu unterdrücken. Aber den Marktkräften und Eigeninteressen Grenzen setzen - dies müssen wir. Das lehren uns die Erfahrungen der letzten Finanzmarktkrisen.

Dr. Wolfgang Schäuble , Bundesminister der Finanzen , Bundesministerium der Finanzen, Bonn
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