Aufsätze

Chancen und Risiken einer anhaltenden Niedrigzinsphase

Deutschlands Banken sind über die Jahre hinweg mit einer im internationalen Vergleich hohen Zinsspanne verwöhnt worden. Dies gilt insbesondere für Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Allerdings ist die Zinsspanne auch seit Jahren rückläufig. Sollte die seit 2011 andauernde extreme Niedrigzinsphase anhalten, droht hier eine weitere Verschärfung der Situation. Wie kann man also mit dieser Situation umgehen?

Manchmal hilft ein Vergleich mit der Historie beziehungsweise der Situation in anderen Ländern, um sich die Lage zu verdeutlichen respektive Chancen und Risiken zu erkennen. Das Niedrigzinsland Japan soll im Rahmen dieser Untersuchung als Beispiel dienen. Die Zinsmargen der Kreditinstitute in Japan sind deutlich niedriger als in Deutschland. Dies hat Auswirkungen auf die Ertragslage, aber auch die Risikound Investitionsbereitschaft dieser Kreditinstitute gehabt.

Japanische Verhältnisse

Die Situation in Japan ist seit Mitte der neunziger Jahre durch ein in europäischen Augen extrem niedriges Zinsniveau gekennzeichnet. In dem Zeitraum zwischen 2000 und 2005 überschritt die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihen niemals die Marke von zwei Prozent (Abbildung 1).

Begonnen hatte der Zinsverfall schon Anfang der neunziger Jahre. Die Rendite erreichte 1997 erstmals das Niveau des Untersuchungszeitraums. Man kann hier also mit Fug und Recht von einer lang anhaltenden Niedrigzinsphase sprechen.

Die Ertragslage japanischer Banken war im Zeitraum 2000 bis 2005 zunächst deutlich schlechter als die ihrer deutschen Pendants. Die Zinsspanne als wichtigste Ertragsquelle blieb interessanterweise fast konstant, allerdings auf einem sehr niedrigen Niveau. Der IWF ermittelte einen Wert von 1,1 Prozent für 2005. Für Deutschland lag der Wert bei 1,4 Prozent. Der Anteil des Zinsüberschusses an den Gesamterträgen der japanischen Banken reduzierte sich von knapp 70 Prozent auf 64 Prozent. Die sonstigen Erträge erhöhten sich also. Die Verwaltungsaufwendungen lagen stabil bei zirka 0,9 Prozent der Bilanzsumme und damit leicht unter den deutschen Werten. Insgesamt stieg das Betriebsergebnis vor Bewertung auf einem niedrigen Niveau an (von zirka 0,5 Prozent auf 0,6 Prozent der Bilanzsumme).

Die Gesamtkapitalrentabilität lag in 2000 bei null, sank dann deutlich in den negativen Bereich und erreichte 2005 einen positiven Wert von 0,5 Prozent. Die deutschen Banken erreichten nur 0,3 Prozent. Dies lässt den Schluss zu, dass das Bewertungsergebnis der japanischen Banken zunächst deutlich schlechter war, sich dann aber gegenüber dem Bewertungsergebnis deutscher Banken erheblich verbesserte.1) Insgesamt verbesserte sich die Ertragslage japanischer Banken zwischen 2000 und 2005 deutlich, aber auf einem im internationalen Vergleich sehr niedrigen Niveau. In Anbetracht der anhaltenden Niedrigzinsphase ist dies jedoch eine beachtliche Leistung. Dies gilt insbesondere, weil die Ertragslage bis heute relativ stabil ist.2)

Die Bank of Japan nennt als Ursachen für die Verbesserung der Ertragslage neben den sinkenden Ausfallraten im Wesent lichen die Rationalisierung, die Einführung neuer Produkte und den Ausbau des provisionsabhängigen Geschäftes.3) Dies erklärt allerdings noch nicht die - trotz des sinkenden Abstands zwischen Kredit- und Einlagenzins - stabile Zinsspanne. So wurden zum einen niedrigverzinsliche Aktiva abgebaut. Zum anderen erhöhte sich der Anteil festverzinslicher Aktiva. Insgesamt lässt sich feststellen, dass japanische Banken gelernt haben, mit der Niedrigzinsphase zu leben.

Die Situation in Deutschland

Aufgrund der Niedrigzinspolitik der EZB und der Staatsschuldenkrise in Europa sank das Zinsniveau in Deutschland seit dem Jahr 2011 auf ein vorher nie gesehenes Tief. Erstmals ist damit das deutsche Zinsniveau mit dem japanischen annähernd vergleichbar (Abbildung 2).

Auf die Erträge der deutschen Banken im Jahr 2011 hatte diese Zinsentwicklung keinen nennenswerten Einfluss. Der Rückgang der Zinsspanne wurde weitestgehend durch eine Reduzierung der Verwaltungsaufwendungen kompensiert. Den Sparkassen gelang es - bei unverändert hohen Verwaltungsaufwendungen - sogar, den Zinsüberschuss im Vergleich zu 2010 konstant zu halten. Das Betriebsergebnis vor Bewertung blieb ebenfalls stabil. Negative Einflüsse aus dem Bewertungsergebnis waren nicht zu verzeichnen. Die Gesamtkapitalrentabilität aller deutschen Banken lag damit auf dem Niveau des Jahres 2005. Im Sparkassensektor lag sie aufgrund eines außerordentlich hohen positiven Bewertungsergebnisses deutlich darüber4) (Abbildung 3).

Für 2012 zeigen Prognosen aus dem Sparkassensektor erstmals einen stärkeren Rückgang des Betriebsergebnisses vor Bewertung. Für den Zeitraum 2013 bis 2016 werden bei einem unveränderten Zinsniveau weitere Ertragseinbußen aufgrund eines deutlichen Rückgangs der Zinsspanne erwartet. Der Zinsüberschuss soll ceteris paribus zum Beispiel bei den ostdeutschen Sparkassen zwischen 2011 und 2016 um zirka 15 Prozent sinken.5)

Maßnahmen zur Gegensteuerung gesucht

Auch die Genossenschaftsbanken konstatieren eine ähnliche Situation. Weil bei beiden Bankengruppen ein höherer Teil des Ergebnisses als bei anderen Bankengruppen von der Zinsspanne abhängt, wird bei Genossenschaftsbanken und Sparkassen besonders intensiv über Möglichkeiten einer Ertragsstabilisierung nachgedacht. Dabei liegt der Schwerpunkt auf Kostensenkungsstrategien. Ertragssteigerungen wer den aufgrund des Marktumfeldes als schwierig angesehen.

6) Aufgrund der Tatsache, dass die meisten Sparkassen auf der Aktivseite eine längere Duration als auf der Passivseite haben, vollzieht sich die Einengung der Zinsspanne mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung. Dies gibt den Instituten die Möglichkeit mit einem ausreichenden Vorlauf über Handlungsoptionen nachzudenken und zu entscheiden. Folgt man dem Beispiel der japanischen Banken, so sind folgende Maßnahmen möglich:

- Zinsanpassungen,

- Preiserhöhungen,

- Ausbau des provisionsabhängigen Geschäftes,

- höhere Kreditrisiken,

- Veränderungen der Bilanzstruktur,

- Rationalisierung.

Die Möglichkeit von Zinsanpassungen ist im derzeitigen Marktumfeld begrenzt. Der Einlagenzins wird nach den japanischen Erfahrungen oberhalb der Nullgrenze verbleiben. Der deutsche Bankenmarkt ist darüber hinaus derzeit in der paradoxen Situation, dass teilweise höhere Einlagenzinsen geboten werden als auf der anderen Seite zum Beispiel für Wohnungsbaufinanzierungen verlangt werden. Eine solche Entwicklung kann nicht von Dauer sein, da alle Marktteilnehmer vor einer ähnlichen Situation stehen. Unmöglich ist eine größere Marge, insbesondere auf der Aktiv seite, deshalb nicht. Dabei wird auch die Aufrechterhaltung beziehungsweise Beseitigung von Marktaustrittsbarrieren durch den Staat eine nicht unwesentliche Rolle spielen.

Die größte Wirkung würden Preiserhöhungen bei Genossenschaftsbanken und Sparkassen im Kontoführungsbereich entfalten. Auch hier wäre jedoch eine Änderung des Marktumfeldes erforderlich. Solange den Kunden von diversen Anbietern suggeriert wird, dass eine Kontoführung kostenlos zu haben ist, sind Preisanpassungen nicht durchzusetzen. Allerdings gibt es inzwischen bei einzelnen Niedrigpreisanbietern Umsteuerungstendenzen.

Veränderung der Bilanzstruktur?

Die japanischen Banken haben ihr Provisionsgeschäft im Untersuchungszeitraum aus gebaut. In den traditionellen Geschäftszweigen deutscher Sparkassen scheinen die Potenziale derzeit eher ausgereizt zu sein. Neue Produkte wären eine Möglichkeit. Vielleicht bietet die von Vertretern des europäischen Parlaments und engagierten Verbraucherschützern geforderte provisionsunabhängige Beratung einen Ansatzpunkt?

Das Eingehen höherer Kreditrisiken kann zu höheren Zinserträgen, aber auch zu deutlich höheren Bewertungsergebnissen führen. Das japanische Beispiel, aber auch Erfahrungen aus der deutschen Vergangenheit zeigen, dass hiermit eher Risiken als Chancen verbunden sind. Dazu kann auch die durch die niedrigen Zinsen gesteigerte Investitionsbereitschaft bei Privathaushalten und Unternehmen beitragen. Nicht immer stehen dahinter dauerhaft tragfähige Projekte, deren Ertragsrechnungen auch einen stärkeren Zinsanstieg überstehen können.

Mit einer Veränderung der Bilanzstruktur können erhebliche Ertragsveränderungen einhergehen. So haben die japanischen Banken niedrigrentierliche Aktiva wie Aktien abgebaut und variabel verzinsliche Hypothekendarlehen durch festverzinsliche (hybride) Produkte ersetzt. Solange die Zinsstrukturkurve im Euroraum einen normalen (ansteigenden) Verlauf aufweist, haben Verlängerungen der Duration auf der Aktivseite eine ertragssteigernde Wirkung. Allerdings wird das angeblich hohe Zinsänderungsrisiko der deutschen Sparkassen seit Jahren von den Aufsichtsbehörden thematisiert.

Erhebliche Rationalisierungspotenziale

Hierzu sei angemerkt, dass eine sogenannte gleitende Zehnjahresstrategie auf der Aktivseite seit Jahrzehnten als konservativ gilt. Diese Strategie bedeutet, dass fällige Aktiva immer wieder mit zehnjähriger Zinsbindung angelegt werden und eine Gleichverteilung der Aktiva über zehn Jahre erfolgt. Ein Kreditinstitut, das diese Strategie konsequent verfolgte, würde derzeit eine Duration aufweisen, die weit über dem Durchschnitt der deutschen Sparkassen läge. Wenn man tatsächlich von einer langanhaltenden Niedrigzinsphase ausgehen kann, liegen hier deutliche Chancen. Die Risiken insbesondere bei einem kurzfristigen und starken Zinsanstieg sind bekannt.

Die Rationalisierungspotenziale bei den deutschen Sparkassen sind immer noch erheblich. So liegt der Verwaltungsaufwand der besten zehn Prozent der deutschen Sparkassen um über 20 Prozent unter dem Durchschnitt aller deutschen Sparkassen. Handlungsoptionen sind beispielsweise die weitere Straffung von internen Arbeitsabläufen und die Reduzierung des Filialnetzes. Ein Personalabbau im zweistelligen Prozentbereich ist dabei kein Tabu mehr.7) Insgesamt gilt es jedoch die Grundidee der deutschen Sparkassenorganisation hin sichtlich einer flächendeckenden Versorgung mit Finanzdienstleistungen aufrechtzuerhalten. Weiterhin werden die Quersubventionen von defizitären Produkten und Dienstleistungen kritisch überprüft werden müssen. Dazu gehören beispielsweise Teile des Kartengeschäftes.

Eine Rationalisierung kann ebenfalls durch Konzentration erfolgen. Für wirtschaftlich starke Kreditinstitute bietet die sich abzeichnende Situation die Chance, Marktanteile zulasten schwächerer Marktteilnehmer zu erobern beziehungsweise diese zu übernehmen. Dies erscheint nach den japanischen Erfahrungen als ein wahrscheinliches Szenario.

Im Übrigen kann auch der Gesetzgeber zu deutlichen Kostensenkungen beitragen, wenn er dafür sorgt, dass das Regulierungsdickicht auf einen notwendigen Kern, wie zum Beispiel umfassende Eigenkapitalvorschriften, zurückgeschnitten wird. Eine Beurteilung der Chancen derartiger Vorhaben erscheint an dieser Stelle nicht angemessen.

Eine ernst zu nehmende Herausforderung

Die Gefahr, dass eine lang anhaltende Niedrigzinsphase das deutsche Bankwesen und die deutsche Volkswirtschaft nachhaltig schädigen, ist nicht von der Hand zu weisen. Inflationstendenzen sind dabei nur ein Teil des Problems. Auch hier hilft ein Blick nach Japan um sich über die Folgen klar zu werden.8) Das deutsche Bankwesen und insbesondere die Genossenschaftsbanken und Sparkassen stehen dadurch vor erheblichen Herausforderungen. Wie jede Veränderung bietet auch diese Situation Chancen und Risiken. Es gibt eine Reihe von Handlungsoptionen, um die Chancen zu nutzen und die Risiken zu begrenzen.

Insgesamt wird es jedoch voraussichtlich nicht gelingen, die sich ceteris paribus einengende Zinsspanne durch Gegenmaßnahmen vollkommen zu neutralisieren. Dazu trägt wesentlich bei, dass nach den japanischen Erfahrungen Negativzinsen im Einlagenbereich nicht durchsetzbar sind. Dies gilt insbesondere aufgrund der Bedeutung des zinsabhängigen Geschäftes bei Sparkassen.

Die japanische Erfahrung zeigt jedoch auch, dass ein Bankwesen eine lang anhaltende Niedrigzinsphase bei reduzierten Ertragserwartungen überstehen kann. Ein Blick zu den Nachbarn in der Schweiz bestätigt dies ebenfalls. Trotzdem wäre eine zeitlich eng begrenzte Niedrigzinsphase sicherlich die bessere Alternative.

Fußnoten

1) Elena Loukoianova, Analysis of the Efficiency and Profitability of the Japanese Banking System, IMF Working Paper 63/2008.

2) Bank of Japan, Financial System Report, April 2012, S. 64-70. '

3) Bank of Japan, Financial System Report, Juli 2006, S. 2-6.

4) Deutsche Bundesbank, Die Ertragslage der deutschen Kreditinstitute im Jahr 2011.

5) Prognose des Ostdeutschen Sparkassenverbandes, September 2012.

6) Zum Beispiel Peter Aubin, Das Risiko Niedrigzinsniveau, Genograph 9/2012, S. 32-35.

7) Zum Beispiel Marcus Riekeberg, Der andere Klimawandel, Sparkasse, 10/2012, S. 8.

8) Michael Schubert, Leitzinssenkung auf historischem Allzeittief: Welche Folgen hat die Leitzinssenkung der EZB?, ifo Schnelldienst 16/2012, S. 3-7.

Michael Bräuer , Vorsitzender des Vorstands, Sparkasse Oberlausitz-Niederschlesien, Zittau
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