Gespräch des Tages

Börsen - Wachstum in Spezialsegmenten

Blickt man auf die gegenwärtige Gemengelage in der europäischen Börsenlandschaft, so zeichnen sich abseits vom althergedienten und derzeit in punkto Wachstum etwas stagnierenden Wertpapiergeschäft interessante Handelssegmente und eng verwobene Strukturen ab. Insbesondere im aufgrund steigender Preise für Investoren interessanten Emissionsrechtehandel auf der einen und im Strom- und Gasmarkt auf der anderen Seite scheint man sich dabei deutliches Potenzial zu versprechen. Zunächst einmal die Ausgangssituation: Die Deutsche-Börse-Tochter Eurex hat im CO2-Geschäft jüngst eine Kooperation mit der Leipziger European Energy Exchange (EEX) angekündigt (siehe auch Börsen in diesem Heft). Damit entsteht ein potenzielles Netzwerk von über 600 Handelsteilnehmern aus Energiewirtschaft und Finanzmärkten. Gleichgerichtete internationale Ambitionen hat auch der US-französische Handelsplatz Nyse Euronext, der unlängst sein Anteilspaket von insgesamt 34 Prozent an dem französischen EEX-Pendant Powernext abgegeben hat, um im Gegenzug deren Geschäft mit Kohlendioxid-Zertifikaten vollständig zu übernehmen.

Im Energiehandel wiederum arbeitet die EEX ihrerseits an einer engen Kooperation mit Powernext. Als erster Schritt hin zu einer Zusammenarbeit mit weiteren Börsen könnte auf dieser Basis bald ein europäisches Strombörsen-Schwergewicht entstehen. Und um die Fantasie weiter anzuregen: Dem Vernehmen nach soll sich die finanzstarke Deutsche Börse/Eurex derweil mit einer Reihe nordischer Handelsplätze hinsichtlich eines eigenen Energiesegments in Gesprächen befinden. Und schließlich dürfte selbst eine Übernahme der EEX in den Frankfurter Gedankenspielen nicht vollständig ausgeschlossen werden - auch wenn man beim Leipziger Energiemarkt freilich starken Eigeninteressen gegenübersteht.

Verfolgen die Börsenbetreiber also gezielte Strategien, oder suchen sie mehr oder weniger verzweifelt nach neuen Segmenten, aus denen im schärferen weltweiten Wettbewerb der Handelsplätze neues Wachstum fließen kann? Was zunächst unvorteilhaft verflochten und sehr komplex erscheinen mag, hat bei genauerem Hinsehen durchaus einen eigenen Charme. Denn es ist längst nicht geklärt, ob sich eine Konstellation wie EEX/Powernext als Spezialanbieter im Strom- und Gasgeschäft tatsächlich so etablieren kann, dass ein eigenständiges Überleben gesichert ist. Und genauso wenig wissen die großen (Universal-)Börsenbetreiber, ob und wie sich Strom, Gas und Emissionsrechte im eigenen Angebot etablieren lassen. Ihre gegenwärtigen Avancen in Richtung dieser neuen Handelssegmente erlauben es ihnen, sich alle Möglichkeiten offen zu halten.

Übrigens: Nicht nur im Energie- und CO2-Markt will die Deutsche Börse weiter wachsen, auch in den Handel mit greifbaren Rohstoffen stößt das Frankfurter Unternehmen derzeit vor. Angefangen mit Gold soll in den nächsten Jahren über eine eigens gegründete Tochter zusammen mit derzeit sechs Partnern eine Plattform für entsprechende Warentermingeschäfte aufgebaut werden. Bietet aber ein solch traditionell anmutendes Geschäft überhaupt einen attraktiven Markt für eine moderne Börsenorganisation? Klare Antwort, ja: Die Chicago Mercantile Exchange, die größtenteils in genau diesem Segment aktiv ist, ist heute der zweitgrößte Marktbetreiber der Welt.

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