Leitartikel

"Du musst nach Berlin"

Unsere (Ur-)Großväter haben es gesungen: "Du bist verrückt mein Kind, Du musst nach Berlin! Da, wo die Verrückten sind, da gehörst Du hin! " Als Karsten von Köller vor nicht langer Zeit Hypothekenbankpräsident war, hat er damit seinen Empfang eingeleitet. Nicht alle geladenen Hauptpersonen lächelten. Sie kannten einfach die Geschichte nicht: den Spott des fast noch kaisertreuen Volkes über die Verhältnisse der Weimarer Republik.

Der Erwerb des stadteigenen Berliner Bankkonglomerats durch DSGV-Gliederungen ist keine Verrücktheit. Auch der hohe Preis ist es nicht. Beides war zwingend - wenn man jene Grundposition gutheißt, die bis heute "Deutsches Sparkassenwesen" ausmacht. Denn die Hauptstadt ohne eine Sparkasse, die diesem Wesen entspricht, oder eine ganz neue "Sparkasse", die diesem Wesen trotz ihres Namens nicht entspricht, oder ein Kaufpreis, den eine sozialistische Stadtregierung nicht "voll befriedigend" nennen könnte, sondern vielleicht allein aus ideologischen Gründen akzeptiert hätte? Nein, das wären der Strukturkonflikte wahrlich viel zu viele geworden.

Dass nicht sämtliche Mitglieder der Sparkassenorganisation dieses so sehen können, liegt in der überaus edlen Errungenschaft der Gruppe, ihre Homogenität aus einer Toleranz zu beziehen, die die prinzipielle Heterogenität der Dezentralen gerade noch akzeptiert. Die Vorstellung, dass die Landkreise München-Starnberg (nur beispielsweise! ) über ihre Kreissparkasse und via Deutscher Sparkassenverband nun ein bisschen (aber immerhin) an der Sparkasse Berlin beteiligt sind, um damit dem Gemeinwohl der Stadt Berlin (ausgerechnet) fürderhin zu dienen, bedarf der Gewöhnung. Und vielleicht ist die dauernde Hinnahme solcher Verflechtung sogar zu viel verlangt. Vielleicht ist deshalb die augenblickliche Lösung irgendwann in eine Fortsetzung überführbar, die einzelne jetzt indirekt engagierte Sparkassenkommunen wieder befreit. Die Beteiligungsverhältnisse bei der sparkasseneigenen Deutschen Leasing etwa binden auch nicht jedes Einzelinstitut ein.

Dass ideologische und praktische Konkurrenten den Berliner Sparkassen-Deal kritisieren müssen, steht ebenfalls außer Zweifel. Wiederum ist es nicht gelungen, aus der Sparkassen- respektive Öffentliche-Banken-Welt in Deutschland ein Stück herauszubrechen. Von der Entwicklung jetzt irgendwie überrascht worden zu sein, kann aber niemand ernsthaft behaupten. Vom grundsätzlichen Brüsseler Zugeständnis, die Existenz Öffentlicher Banken in der Bundesrepublik nicht zu vernichten, sondern nur etwas strenger zu reglementieren über das denkwürdige Einfangen des Musterfalles "Sparkasse Stralsund" bis eben hin zu Berlin hat die Lobby der Privatbanken immer wieder lernen dürfen: Es gibt bis heute keine politische und auch keine populäre Mehrheit für die Privatisierung der Sparkassen. "Sparkasse" ist eine deutsche Emotion - auch, wenn die Kundschaft bei der Diba mitspart.

Die entsprechende Nähe von Politik und Sparkassen kann man zwar immer wieder beklagen. Man kann sie sogar als Anachronismus brandmarken. Aber ob die Sonderstellung von Sparkassen angesichts der Bedrohung "ordentlicher" Marktwirtschaften durch den puren Kapitalismus von Beteiligungsfonds (= Spekulanten) nicht schon wieder einen höchst zeitgemäßen Schutzzaun darstellt, muss bedacht werden.

Wer sich von den Sparkassen gestört fühlt, pflegt ihre Verfassung verkrustet zu nennen, weil sie nicht alles machen können, was die freien Nachbarn so tun, vor allem jedoch, weil man mit ihnen nicht alles tun kann, was man mit privaten Kollegen so macht. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass die Kruste keineswegs einen Panzer darstellt, der die ganze Gestalt hermetisch abkapselt. Sondern vielleicht ähnlich wie bei der Vorrichtung, mit der die Kreuzfahrer die heimatliche Treue zwar zuschließen konnten, aber nicht sicher waren, wo der Zweitschlüssel für das Öffnen von innen lag. Bei dringendem Bedarf sind die Sparkassen wie jetzt in Berlin, wie bei der Deka, wie bei der West LB, wie bei der Frankfurter Sparkasse und so weiter ganz offensichtlich in der Lage, sich aller Instrumente raffinierter Kapitalmarkt- und Finanzierungsformen zu bedienen. Oder anders ausgedrückt: Sie sind auch in Verbandsgestalt (! ) kapitalmarktfähige Adressen, bekommen allemal die Mittel, die sie für schwierige (Verbands-)Beteiligungen brauchen - nicht anders als andere Marktteilnehmer mit erstklassiger Haftbarkeit.

Zweimal in Folge hat der Deutsche Sparkassen- und Giroverband mit politischen Präsidenten vorteilhafte Erfahrungen gesammelt. Dietrich Hoppenstedts Verdienst bleibt es, als niedersächsicher Landespolitiker in einer Zeit mit einem niedersächsischen Bundeskanzler aus der "Brüsseler Bedrohung" einen Modus vivendi für die Sparkassenorganisation mitgebaut zu haben. Er hat dabei reparieren können, was sein Vorgänger Horst Köhler in etwas eiliger Solidarität angerichtet hatte, als er vor allem die Düsseldorfer Eigenkapitalnöte mit der Gewährträgerfrage für alle Öffentlich-Rechtlichen verknüpfte.

Heinrich Haasis kannte man bereits als höchst geübten ba-den-württembergischen Landespolitiker - gerade auch bei Problemen mit Finanzinstitutionen. Die Neukonstruktion der Landesbank aus Wükola/Bakola, Landesgirokasse, Landeskreditbank, die Zusammenlegung der S-Verbände mit Anhang: viel, viel Politik. Mit dem Kauf von Berlin als Gemeinschaftslösung ist Haasis diesem Ruf als politischem Gestalter sehr gerecht geworden. Und als solcher nicht mit allen Beteiligten die jeweiligen Interessenäußerungen rechtzeitig erörtert zu haben, vor allem auch mit "seiner" LBBW, wäre als ein Versäumnis zu sehen gewesen. Ein Junktim zwischen dem Berliner Zuschlag für den DSGV und den Empfehlungen des DSGV-Präsidenten für expansive Landesbankpraktiken zu konstatieren, ist vielleicht etwas grob. Aber die Verwunderung mancher Leute über die zeitlichen Zusammenhänge darf als gespielt gelten.

Wenn es aber in selbstverständlich rein zufälligem Nachschlag des Ausscheidens von Landesbanken aus dem Berliner Bieterwettbewerb zu einer neuen Runde der "Konsolidierung" bei den ehemaligen Girozentralen kommen sollte, würde ein Hauch von Genialität durch das Geschehen wehen können. Denn so wie sie sind, werden die Landesbanken nicht bleiben können. Grob sortiert gibt es unter ihnen zunächst einmal Glückliche und Unglückliche. Und die Unglücklichste ist ohne Frage die Westdeutsche.

Ob bei ihr, angefangen bei uralten Devisenskandalen, miserablem EU-Management, bösen Niederlagen bei internationalen Engagements bis hin zu den Unregelmäßigkeiten im Wertpapierhandel jetzt, nur das Pech an den Fingern klebt? Unfreundliche Zeitgenossen sehen es anders: Es sei eben bei der West LB seit Fusion der Girozentralen von Münster und Düsseldorf ein unausrottbarer Drang zum Größenwahn festzustellen - eine ständige Selbstüberschätzung. Wer jedoch nur danach giere, überall die Größte, Schnellste, Wichtigste zu sein, mache leider mehr Fehler als bescheidenere Kollegen. Eigentümer jedoch, die immer aufs Neue ideell wie materiell gefordert würden, verlören zu Recht an Geduld. Das mag gerade wieder so sein, trotz der letzten Aufsichtsratserklärung. Wenn darin nett davon die Rede ist, die West LB habe im anstehenden Konsolidierungsprozess eine "aktive Rolle" zu spielen, darf gleich wieder an ein Versagen erinnert werden. Denn Düsseldorf hatte schon einmal die relative Dominanz mit seinen Beteiligungen an Mainz und Hamburg - die "Banane". Wer pellt nun das Residuum? Der Bankplatz Berlin hat in den vergangenen Jahren immer wieder böse Überschriften bekommen müssen. Rund um die Wiedervereinigung fuhren erst einmal die Genossenschaften die Pleiten gleich serienweise ein, weil sie (ob es doch an der Berliner Luft liegt?) mit irrsinniger Expansion in die Immobilienmärkte hineinsprangen. Bis endlich fast alles in einer einzigen Berliner Volksbank geeint werden konnte, hatten die deutschen Genossen den größten Schadensfall ihrer Geschichte in den Büchern. Die Berliner Bank als privater Staatsbetrieb machte es auch nicht besser. Sie tobte plötzlich durch die ganze Republik und erbeutete prompt alle von den Platzbanken verabscheuten Probleme. Und wenn man dann noch die Gründung der Bankgesellschaft Berlin nachliest, mit frechen Großbankparolen geziert, ist dieser ganze Bankplatz keine Zierde Deutschlands gewesen: zu laut, zu ehrgeizig, zu sprunghaft, zu schnell.

Die restrukturierte Berliner Bankenstatistik nennt rund 20 Namen. Hinzu kommen Berliner Adressen zum Beispiel von KfW und DG-Hyp, die ihren Gründungsplatz als Zweitsitz beibehalten haben. Anzumerken ist, dass keine der klassischen deutschen Großbanken Ähnliches als angemessen empfand, auch nach der Wende nicht. Immerhin haben sie aber den alten Grund und Boden mit Repräsentativem neben dem Brandenburger Tor edel besetzt. Zum Berliner Eigengewächs sui generis hat sich die Deutsche Kreditbank gemausert, die "der Osten" als Residuum der DDR-Zeiten akzeptierte - und die nach Übernahme durch die Bayerische Landesbank ihr direktes Privatkundengeschäft listenreich in Gesamtdeutschland platziert. Der Bankplatz Berlin mit seinen Kundenforderungen von 109 Milliarden Euro, mit 28 Milliarden Euro Konsumentenkrediten und 17 Milliarden Euro Spareinlagen hat heute somit die typische Struktur der meisten deutschen Großstädte: Marktführer Sparkasse, gefolgt von der Volksbank, ergänzt durch die Berliner Bank (der Deutschen Bank), gerundet durch fremde Filialen ein paar Spezialitäten. Oder auch so gesagt: Ohne die "richtige" Berliner Sparkasse wär's doch ziemlich - tot. K. O.

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