BANKING

Zukunftsorientierte Ermittlung der Kapitaldienstfähigkeit

Effiziente Abläufe mittels Drei-Säulen-Konzept

Stephan Schütrumpf, Foto: Creditreform Rating

Die Ermittlung der Kapitaldienstfähigkeit ist ein wichtiger Teil der Kreditwürdigkeitsprüfung von Finanzdienstleistern. Um derartige Entscheidungen kosteneffizient treffen zu können, gelten im nicht risikorelevanten Geschäft vereinfachte Verfahren. Der Beitrag umreißt die regulatorischen Rahmenbedingungen und stellt das von Creditreform Rating entwickelte Drei-Säulen-Konzept vor. Damit soll bereits zum Zeitpunkt der Kreditentscheidung eine adäquate Einschätzung der Entwicklung der Kapitaldienstfähigkeit eines Antragstellers innerhalb der Kreditlaufzeit ermöglicht werden. (Red.)

Im Rahmen des Kreditmanagementprozesses von Banken und Finanzdienstleistern ist die Ermittlung der Kapitaldienstfähigkeit ein wesentlicher Teil der Kreditwürdigkeitsprüfung, welche in den einschlägigen Normen und Gesetzen explizit gefordert wird.

Der Begriff "Kapitaldienstfähigkeit" selbst ist jedoch nicht gesetzlich definiert, sondern wird im Allgemeinen als die Fähigkeit des Kreditnehmers beschrieben, auf der Grundlage seines Geschäftsmodells Zins- und Tilgungsleistungen termingerecht und vollständig zu erfüllen. Besonders im sogenannten nicht risikorelevanten Geschäft müssen Kreditentscheidungen kosteneffizient und binnen kürzester Zeit erfolgen. Deshalb erlaubt die Regulierung grundsätzlich die Anwendung vereinfachter Verfahren zur Bestimmung der Kapitaldienstfähigkeit. Im Folgenden werden die regulatorischen Rahmenbedingungen kurz umrissen.

Regulatorischer Rahmen

Der regulatorische Rahmen wird im Wesentlichen durch das Kreditwesengesetz (KWG) sowie die Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) vorgegeben. Die Leitlinien der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) zielen auf eine Verbesserung des Risikomanagements sowie der Governance im Kreditgeschäft ab und enthalten im Vergleich zu den MaRisk konkretere Anforderungen zur Analyse der Kapitaldienstfähigkeit. Für die sogenannten CRR-Institute ergeben sich somit Anforderungen aus der EBA-Leitlinie EBA/GL/2020/06 Kreditvergabe und Monitoring.

Gemäß der MaRisk BTO 1.2.1 Teilziffer 1 sind die aktuelle und künftige wirtschaftliche Lage des Kreditnehmers unter Einbeziehung von Risiken seiner Vermögens- und Liquiditätslage zu berücksichtigen. Von besonderer Bedeutung ist die Einschätzung der zu erwartenden Zahlungsfähigkeit. Da eine nur einmalige Überprüfung bei Geschäftsabschluss als nicht ausreichend beurteilt wird, ist ein turnusmäßiges und/ oder anlassbezogenes Monitoring zwingend erforderlich. Eine Überprüfung der Risikoeinschätzung ist hierbei mindestens einmal pro Geschäftsjahr durchzuführen.

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen ermöglichen es, die Intensität der Beurteilung und die Prozesse in Abhängigkeit des Risikogehaltes der Engagements zu gestalten. Die Beurteilung der Kapitaldienstfähigkeit auf Basis eines vereinfachten Verfahrens bedeutet jedoch keineswegs einen generellen Verzicht auf die individuelle Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers. Abbildung 1 veranschaulicht den Zusammenhang zwischen Risikogehalt eines Engagements und der Prüfungsintensität.

Abbildung 1: Prüfungsintensität in Abhängigkeit des Risikogehalts eines Engagements Quelle: Creditreform Rating
Abbildung 1: Prüfungsintensität in Abhängigkeit des Risikogehalts eines Engagements Quelle: Creditreform Rating

Eine Voraussetzung zur Anwendung eines vereinfachten Verfahrens ist die notwendige Abgrenzung des risikorelevanten vom nicht risikorelevanten Geschäft eines Institutes. Das standardisierte Mengengeschäft kann grundsätzlich den nicht risikorelevanten Engagements zugerechnet werden, da der Anteil eines einzelnen Engagements am Gesamtvolumen eines Portfolios sehr gering ist und dessen Ausfall nicht wesentlich im Gesamtkontext wäre. Grundsätzlich ist die Abgrenzung des risikorelevanten Bereichs vom nicht risikorelevanten Bereich von jedem Institut eigenverantwortlich festzulegen und ausführlich zu dokumentieren.

Für kleinere Engagements ist die Verarbeitung eines Jahresabschlusses häufig nicht praktikabel, da Finanzierungsentscheidungen in einem sehr kurzen Zeitfenster erfolgen müssen und entsprechende Daten entweder nicht verfügbar oder nicht mit vertretbarem Aufwand zu beschaffen sind. Unter dieser Annahme ist der Einsatz eines vereinfachten Verfahrens zur Ermittlung der Kapitaldienstfähigkeit anzustreben. Die Obligogrenzen werden dabei durch das Institut selbst definiert.

Grundsätzlich ist die Ausgestaltung eines vereinfachten Verfahrens im Retailgeschäft soweit frei definierbar, wie sie den Anforderungen der MaRisk genügt. Hierbei ist eine institutsspezifische detaillierte Beschreibung der verwendeten Daten, der definierten Prozesse sowie eine Begründung zur Bestimmung des Risikogehalts beziehungsweise der Produktgruppen zu dokumentieren. Zu beachten ist, dass die Anwendung eines vereinfachten Verfahrens nicht ausschließlich auf externen Daten beruhen darf.

Proportionalitätsprinzip

Für CRR-Kreditinstitute gelten die Vorschriften aus der EBA-Leitlinie EBA/ GL/2020/06 Kreditvergabe und Monitoring. Die Institute sind verpflichtet, sich einen umfassenden Überblick über die finanzielle Leistungsfähigkeit des Kreditnehmers auf aktuellen und belastbaren Daten zu verschaffen. Für alle relevanten Kreditnehmersegmente müssen spezifische Standards für Kreditrisikoanalyse, Kreditvergabe, Besicherung und Kreditüberwachung vorhanden sein. Die Ausgestaltung kann proportional zu Größe, Komplexität und Risikogehalt des Instituts erfolgen. Durch die Kreditnehmereigenschaften der verschiedenen Kreditnehmersegmente (Kleinstunternehmen und kleine Unternehmen, mittlere und große Unternehmen) wird das Proportionalitätsprinzip vorgegeben.

Die konkrete Ausgestaltung zur Ermittlung der Kapitaldienstfähigkeit obliegt aufgrund des Proportionalitätsprinzips demnach dem Kreditinstitut selbst. Für die verschiedenen Kreditnehmersegmente sehen die Leitlinien im Rahmen der Kreditvergabe eine Analyse der aktuellen und zukünftigen Kapitaldienstfähigkeit auf Basis einer Cashflow-Analyse vor. Hierin sind auch mögliche ungünstige Ereignisse zu berücksichtigen, während Sicherheiten nur noch ein untergeordnetes Kriterium für die Kreditentscheidung darstellen sollen.

Zusammenfassend dargestellt gilt folglich, dass im risikorelevanten Geschäft die Cashflow-basierte Ermittlung der Kapitaldienstfähigkeit mithilfe vollständiger Jahresabschlüsse zwingend erforderlich ist, während im nicht risikorelevanten Geschäft vereinfachte Verfahren, die keiner Legaldefinition per se unterliegen, zur Anwendung gebracht werden können. Die EBA-Leitlinie EBA/ GL/2020/06 verlangt zudem, die unternehmensindividuelle aktuelle und zukünftige Kapitaldienstfähigkeit des Kreditnehmers zu berücksichtigen.

Umsetzung der siebten MaRisk-Novelle

Creditreform hat im Zeitraum von Ende Oktober bis Ende November 2021 eine Befragung bei rund 200 Instituten der Banken- und Finanzdienstleistungsbranche durchgeführt, um ein Meinungsbild zum Umgang der Institute mit dem Thema Kapitaldienstfähigkeit und die Einschätzung zu den künftigen regulatorischen Anforderungen zu erhalten. 85 Prozent der teilnehmenden Institute unterlagen der Aufsicht durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), 15 Prozent berichteten an die Europäische Zentralbank.

Ein Großteil der befragten Institute (77 Prozent) erwartet, dass die Vorgaben der EBA mit der siebten Novelle in die MaRisk überführt werden. Für Finanzierungsportfolien im nicht risikorelevanten Geschäft wird die Anwendung eines vereinfachten Verfahrens zur Ermittlung der Kapitaldienstfähigkeit insgesamt als zulässig erachtet. Rund 55 Prozent der befragten Institute planen aktuell, Maßnahmen zur Ermittlung der Kapitaldienstfähigkeit zu definieren und umzusetzen. Etwa 45 Prozent sehen hierbei Anpassungen in den bestehenden Prozessen und IT-Systemen für notwendig an. Für die andere Hälfte, die noch keine konkreten Pläne hat, bedeutet dies, dass sie bei einer weiteren Verschärfung der Anforderungen kurzfristig reagieren müssen.

Eine automatisierte Ermittlung der Kapitaldienstfähigkeit ist daher nicht nur aus regulatorischer Sicht essenziell für die Institute. Auch der intensive Wettbewerb bevorteilt diejenigen, die dank effizienter Prozesse schnelle Entscheidungen treffen und entsprechende Finanzierungszusagen machen können. Ein Argument für Outsourcing-Lösungen könnte eine damit einhergehende Einbindung von externen Daten sein. Denn nur 22 Prozent aller befragten Institute bezeichnet die eigenen Datenbestände als ausreichend für eine automatisierte Ermittlung der Kapitaldienstfähigkeit, knapp 50 Prozent sehen hier teilweise erhebliche Defizite. Die vollständigen Ergebnisse der Marktstudie sind unter https://www.creditreform-rating.de/de/research abrufbar.

Drei-Säulen-Konzept

Um den regulatorischen Anforderungen zur Ermittlung der Kapitaldienstfähigkeit zu genügen, hat Creditreform Rating ein Drei-Säulen-Konzept entwickelt (Abbildung 2). Damit soll bereits zum Zeitpunkt der Kreditentscheidung eine adäquate Einschätzung zur Entwicklung der Kapitaldienstfähigkeit eines Antragstellers innerhalb der gesamten Kreditlaufzeit ermöglicht werden. Die erste Säule ermittelt die aktuelle Kapitaldienstfähigkeit unter Berücksichtigung klassischer Cashflow-basierter Jahresabschlussanalysen (Modell Eins) oder mittels eines vereinfachten Verfahrens (Modell Zwei). Die zweite Säule ermittelt mehrjährige Kapitaldienstfähigkeitsprognosen, welche in der dritten Säule unter Berücksichtigung konjunkturbedingter Szenarien gestresst werden.

Abbildung 2: Schematische Darstellung des Drei-Säulen-Konzepts Quelle: Creditreform Rating
Abbildung 2: Schematische Darstellung des Drei-Säulen-Konzepts Quelle: Creditreform Rating

Bei der Kreditvergabe von Großengagements wird die Kapitaldienstfähigkeit im Rahmen der Jahresabschlussanalyse bestimmt. Die Aufbereitung der Jahresabschlüsse ist aufwendig, da in vielen Fällen keine automatische Verarbeitung möglich ist und der Prozess deshalb manuell unterstützt werden muss. In der Praxis wird die Kapitaldienstfähigkeit von Unternehmen aus dem aktuellen Cashflow ermittelt.

Klassisches Ermittlungsverfahren

Der Ausgangspunkt für die Berechnung der Kapitaldienstfähigkeit bildet das Betriebsergebnis aus der Gewinn- und Verlustrechnung. Dieses wird um Positionen bereinigt, die als unregelmäßig klassifiziert sind und somit im Rahmen der analytischen Aufbereitung in das außerordentliche Ergebnis umgegliedert werden. Um den Besonderheiten von Konzernabschlüssen Rechnung zu tragen, wird neben den Zinserträgen auch das Beteiligungsergebnis wieder hinzuaddiert. Die ordentlichen Abschreibungen, welche keinen Liquiditätsabfluss darstellen, werden dem bereinigten Betriebsergebnis ebenfalls wieder zugeführt.

Unter Berücksichtigung der Veränderung der langfristigen Rückstellungen und dem Abzug einer pauschalen Steuerquote wird zunächst der erweiterte Cashflow errechnet. Nach Abzug der Entnahmen sowie der Einlagen der Gesellschafter wird die Kapitaldienstgrenze berechnet. Durch Subtraktion des Kapitaldienstes, welcher sich aus bestehenden Zins- und Tilgungsverpflichtungen zusammensetzt, wird schließlich eine Über- oder Unterdeckung - also die Kapitaldienstfähigkeit - ermittelt.

In der Praxis erweist sich die Anrechnung bestehender Tilgungsleistungen aus bestehenden Kreditarrangements als besonders herausfordernd, da diese den eingereichten Kreditunterlagen zumeist nicht beiliegen. Die Grundlage zur Ermittlung der aktuellen Tilgungsleistungen bilden die Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten. Liegen die tatsächlichen Tilgungsleistungen nicht vor, werden bei Creditreform Rating von dieser Größe 20 Prozent als aktuelle Tilgungsleistungen berücksichtigt. Dies entspricht einer typischen Investitionsfinanzierung mit einer durchschnittlichen Darlehenszeit von fünf Jahren. Als aktuelle Zinszahlungen wird der aus der Gewinn- und Verlustrechnung abzuleitende Zinsaufwand herangezogen.

Die Annahme einer Darlehenszeit von fünf Jahren und einer Investitionsfinanzierung von 20 Prozent kann jedoch nicht auf die Unternehmen aller Branchen gleichsam angewendet werden. Gerade für Branchen, in denen eine Finanzierung deutlich längere Darlehenslaufzeiten beansprucht, ist eine Investitionsfinanzierung von 20 Prozent unverhältnismäßig. Aus diesem Grund ist es notwendig, branchenspezifische Finanzierungsbesonderheiten zu beachten und die Tilgungsleistungen an die üblicherweise höheren Darlehenslaufzeiten anzupassen.

Abbildung 3: Berechnungslogik der jahresabschlussbasierten Kapitaldienstfähigkeitsermittlung Quelle: Creditreform Rating
Abbildung 3: Berechnungslogik der jahresabschlussbasierten Kapitaldienstfähigkeitsermittlung Quelle: Creditreform Rating

Die Über- oder Unterdeckung bildet die Grundlage für die Prüfung, ob auch künftige Zins- und Tilgungszahlungen aus dem angefragten Kredit bedient werden können. Abbildung 3 zeigt schematisch die Herleitung der Kapitaldienstfähigkeit.

Gewerbliches Retailgeschäft

Die Verarbeitung eines Jahresabschlusses ist zur Ermittlung der Kapitaldienstfähigkeit für kleine Engagements oftmals nicht möglich beziehungsweise nicht wirtschaftlich. Zudem ist das gewerbliche Retailgeschäft durch eine hohe Automatisierungsquote geprägt, um den Erwartungen einer positiven Kundenerfahrung am Point of Sale zu entsprechen. Es stellt sich demnach die Frage, wie die regulatorisch geforderte Kapitaldienstfähigkeit im Rahmen der Kreditentscheidung zum Antragszeitpunkt im Retailgeschäft ermittelt werden kann. Für CRR-Kreditinstitute gilt zudem, die Anforderung die Kapitaldienstfähigkeit über die Vertragslaufzeit auszuweisen.

Auch wenn lediglich zu einem relativ kleinen Anteil der wirtschaftsaktiven Unternehmen die benötigten Finanzinformationen verfügbar sind, liegen in den Bilanzdatenbeständen der Creditreform über eine Million vollständige Jahresabschlüsse (inklusive Gewinnund Verlustrechnung) vor, zu denen zusätzlich aus den historisierten Datenbeständen der Creditreform Wirtschaftsauskunft jeweils stichtagsbezogen die Brancheninformation gemäß WZ08-Klassifikation sowie der Creditreform Bonitätsindex zugespielt werden können. Eine solche Datenkonstruktion ermöglicht es, eine statistisch aussagekräftige empirische Untersuchung der bilanziellen Kapitaldienstfähigkeitswerte in Abhängigkeit von Branche, Unternehmensbonität und Unternehmensgröße (gemessen am Jahresumsatz) der Unternehmen mit der Zielsetzung durchzuführen, ein vereinfachtes Verfahren zur Ermittlung der Kapitaldienstfähigkeit zu entwickeln.

Untersuchungen haben gezeigt, dass es sowohl einen empirisch belegbaren Zusammenhang zwischen der Kapitaldienstfähigkeitsquote (Kapitaldienst fähigkeit/Umsatz) und Unternehmensbonität sowie zwischen Kapitaldienstfähigkeitsquote und Unternehmensgröße gibt. Zudem zeigt sich, dass auch die Brancheninformation als wichtiger Informationsträger zur adäquaten Schätzung der Kapitaldienstfähigkeit eines Unternehmens dient.

Im Rahmen des vereinfachten Verfahrens werden die Bonität sowie die Unternehmensgröße des bewerteten Unternehmens als erklärende Variablen im Modellierungsverfahren verarbeitet, um unter Berücksichtigung der Branchenzugehörigkeit eine unternehmensspezifische Kapitaldienstfähigkeitsquote als Multiplikator zur Berechnung des Kapitaldienstfähigkeitswertes abzuleiten.

Die Zusammenhänge zwischen den Parametern lassen sich formal folgendermaßen beschreiben:

  • Kapitaldienstfähigkeitsquote: Kapitaldienstfähigkeit/Umsatz = f (Boni, Umsatz | WZ)
  • Kapitaldienstfähigkeitswert: Kapitaldienstfähigkeit = Kapitaldienstfähigkeitsquote x Umsatz
Abbildung 4: Schematische Darstellung des Kapitaldienstfähigkeitsmodells Quelle: Creditreform Rating
Abbildung 4: Schematische Darstellung des Kapitaldienstfähigkeitsmodells Quelle: Creditreform Rating

Abbildung 4 verdeutlicht die grundsätzliche Wirkungsweise der drei Einflussgrößen zur Schätzung der relevanten Kapitaldienstfähigkeitsquote innerhalb des vereinfachten Verfahrens. Für eine bestimmte Bonität und Branchenzugehörigkeit ergeben sich höhere Kapitaldienstfähigkeitsquoten mit sinkenden Umsatzwerten, während bei gleicher Umsatzhöhe und Branchenzugehörigkeit aus schlechteren Bonitäten (also höheren Bonitätsindexwerten) jeweils niedrigere Kapitaldienstfähigkeitsquoten resultieren. Der gesamtwirtschaftlich modellierte Zusammenhang zwischen Kapitaldienstfähigkeitsquote und den erklärenden Variablen - Bonität und Umsatz - wird durch die mittlere Fläche beschrieben, welche dann in Abhängigkeit vom branchenspezifischen Kapitaldienstfähigkeitsniveau je Wirtschaftszweig parallel nach unten oder nach oben verschoben ist.

Zukünftige Kapitaldienstwerte

Das eben in seiner Wirkungsweise skizzierte vereinfachte Verfahren (Modell Zwei) liefert eine statische ex post Einschätzung der Kapitaldienstfähigkeit auf Basis der zum Bewertungszeitpunkt gültigen Einflussfaktoren Unternehmensbonität, Unternehmensgröße und Branchenzugehörigkeit. Die zweite Säule stellt den konzeptionellen Rahmen für die Modellierung der Prognosewerte der Kapitaldienstfähigkeit auf, um die benötigte Einschätzung der Kapitaldienstfähigkeit in zukünftigen Perioden zu ermöglichen.

Der Modellierung der zukünftigen Kapitaldienstfähigkeitswerte liegt die wesentliche Annahme zugrunde, dass die Kapitaldienstfähigkeitsquote in erster Linie durch zukünftige Veränderungen der Unternehmensbonität beeinflusst wird. Die beiden anderen relevanten Faktoren - Branchenzugehörigkeit und Unternehmensumsatz - sind zwar weiterhin bei der Berechnung der Kapitaldienstwerte zu berücksichtigen, werden jedoch als konstant bleibend angenommen. Offensichtlich wird sich das Geschäftsmodell eines Unternehmens nur in wenigen Ausnahmefällen in einen komplett anderen Wirtschaftszweig verlagern und die Annahme eines zukünftig konstanten Umsatzes ist zumindest auf Portfolioebene als konservativ anzusehen.

Auf Basis unterschiedlicher Bonitätsveränderungsszenarien können Szenario-bedingte Kapitaldienstfähigkeitswerte prognostiziert werden. Wenn die Szenario-Wahrscheinlichkeiten bekannt sind, können Erwartungswerte zur Kapitaldienstfähigkeitsprognose in folgender Weise ermittelt werden:

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Die benötigten Szenario-Wahrscheinlichkeiten lassen sich aus Migrationswahrscheinlichkeitsmatrizen ableiten, welche wiederum auf Grundlage eines anhand von Bonitätsindexintervallen definierten Risikoklassenmodells geschätzt werden können. Die zwei wesentlichen Bausteine der zweiten Säule sind also das statistische Modell Zwei und die Modellierung der Migrationswahrscheinlichkeiten basierend auf den Bonitätsindexklassen.

Konjunktureller Einfluss

Die zweite Säule beinhaltet bereits das Konzept zur Ermittlung von Kapitaldienstfähigkeitsprognosewerten auf Grundlage mehrjähriger Migrationswahrscheinlichkeitsmatrizen. Hierbei handelt es sich um sogenannte durchschnittliche Migrationswahrscheinlichkeitsmatrizen, welche auf Basis einer Vielzahl empirisch beobachteter unternehmensbezogener Bonitätsmigrationen über einen längeren Zeitraum ermittelt wurden und somit die durchschnittliche Migrationsdynamik der Unternehmen über den beobachteten Zeitraum repräsentieren.

Um zusätzlich konjunkturelle Einflüsse verarbeiten zu können, wird dieses Konzept erweitert. Die Prognosen sollen ausgehend von dem aus der zweiten Säule bekannten mittleren Migrationsverhalten unter Berücksichtigung der zum Prognosestichtag verfügbaren Informationen zur konjunkturellen Lage abgeleitet werden. Das Ziel der dritten Säule ist es also, die Berechnung der Kapitaldienstfähigkeitsprognosen auf die konjunkturelle Lage und Aussichten zum Prognosestichtag zu adjustieren. Dies wird im Rahmen der dritten Säule durch die Verwendung von sogenannten Szenario-bedingten Migrationswahrscheinlichkeiten (statt der durchschnittlichen) realisiert.

Konjunkturprognosen sind im Allgemeinen sehr komplex und naturgemäß entsprechend ungenau. Mit den bekannten statistischen Verfahren ist es kaum möglich, eine sehr genaue Prognose zu Ausmaß und Dauer von Boom- oder Rezessionsphasen aufgrund der a priori zur Verfügung stehenden Informationen zu liefern. Aus diesem Grund wird ein relativ simples und nachvollziehbares Modell eingesetzt, um die konjunkturellen Entwicklungen zu erfassen und in die Prognose einzubeziehen.

Der vorherrschende konjunkturelle Zustand wird im Kontext des Modells allein anhand des Ausfallrisikos von Unternehmen quantifiziert, sodass die Prognose der zukünftigen Ausfallraten in der deutschen Gesamtwirtschaft von entscheidender Bedeutung für die Kapitaldienstfähigkeitsprognosen im Rahmen der dritten Säule ist. Die für verschiedene zukünftige Zeitperioden prognostizierten Ausfallraten fungieren dann als Stellschraube für die passende Adjustierung Szenario-bedingter Migrationswahrscheinlichkeitsmatrizen.

Die Modellierung der benötigten konjunkturbedingten Migrationswahrscheinlichkeiten erfolgt mithilfe der folgenden aufeinander aufbauenden methodischen Schritte:

  • Zur kurzfristigen Prognose der Ausfallrate für die Folgeperiode wird ein Modell basierend auf Informationen des ifo-Instituts (mittlere ifo-Geschäftslage der letzten 24 Monate) verwendet.
  • Ausgehend von der einjährigen Prognose des ifo-Modells werden mehrperiodische Prognosen mit einem autoregressiven Modell, welches auf Grundlage einer langjährigen Creditreform-Ausfallzeitreihe geschätzt wurde, bis zu zehn Jahre in die Zukunft projiziert.
  • Im Rahmen eines jährlichen Methodenkomitees erfolgt eine Revision der Prognosen aus den beiden statistischen Modellen. Als Ergebnis des Komitees werden angepasste Ausfallprognosen als gewichtete Werte aus den statistischen Modellen und den individuellen Einschätzungen der einzelnen Komiteemitglieder ermittelt und der Beschluss protokolliert, diese für das laufende Jahr als maßgebliche Parameter für die Ermittlung der Kapitaldienstfähigkeit gemäß der dritten Säule des Verfahrens zu verwenden.
  • Erzeugung von bedingten Migrationswahrscheinlichkeitsmatrizen, die das konjunkturbedingte Migrationsverhalten abbilden, auf Grundlage der durch das Methodenkomitee festgelegten Ausfallprognosen. Das Modell zur Anpassung der Migrationswahrscheinlichkeiten innerhalb der mittleren Matrix wurde anhand des historisch beobachteten konjunkturellen Verlaufs kalibriert.
  • Ermittlung der mehrperiodischen bedingten Migrationswahrscheinlichkeitsmatrizen für die mehrperiodische konjunkturbedingte Kapitaldienstfähigkeitsprognose.

Ausgehend von der im Kreditrisikomanagement gängigen bilanzbasierten Ermittlung der Kapitaldienstfähigkeit ermöglicht das Drei-Säulen-Konzept nicht nur eine adäquate Kapitaldienstfähigkeitsprognose für Unternehmen ohne vollständige Finanzinformationen mithilfe eines vereinfachten Verfahrens, sondern auch eine Einschätzung zur Entwicklung der Kapitaldienstfähigkeit in zukünftigen Perioden. Analog zu den bei der Kalibrierung von Ausfallwahrscheinlichkeiten etablierten Begrifflichkeiten folgt die zweite Säule hinsichtlich der Kapitaldienstfähigkeitsprognose dem Through-the-Cycle-Ansatz, während durch die konjunkturbedingte Adjustierung innerhalb der dritten Säule ein Point-in-Time-Ansatz verfolgt wird.

Bei der Entwicklung der einzelnen methodischen Bausteine wurde insbesondere darauf Wert gelegt, dass einfache und gut nachvollziehbare statistische Modelle zum Einsatz kommen, welche regelmäßig verfügbare und leicht zugängliche Informationen verarbeiten und anhand langjähriger Zeitreihen historischer Daten geschätzt, kalibriert und belegt werden können. Insbesondere die Konjunkturprognosen erheben nicht den Anspruch besonderer Genauigkeit, sondern sollen eine realistische Einschätzung des zukünftig zu erwartenden Konjunkturverlaufs auf Grundlage der zum Entscheidungszeitpunkt verfügbaren Informationen geben.

Nutzen der Anwendung im Tagesgeschäft

Die Anwendung eines vereinfachten Verfahrens im nicht risikorelevanten Geschäft hat im Wesentlichen drei Vorteile:

  • Die Ermittlung der Kapitaldienstfähigkeit unterstützt medienbruchfrei die hochautomatisierten Antragsprozesse insbesondere von Asset-Finance-Anbietern, ohne dass es zu Prozessabbrüchen und in der Folge zu manuellem Nachbearbeitungsbedarf kommt.
  • Durch die Berücksichtigung zukünftiger (gegebenenfalls modellierter) Cashflows, die Hinzunahme konjunktureller Prognosen sowie Stressszenarien wird die Konformität mit den regulatorischen Anforderungen sichergestellt.
  • Das Creditreform-Modell zur Ermittlung der Kapitaldienstfähigkeit verfügt über eine hohe Datenkonsistenz und -verfügbarkeit. Dies ist durch Wirtschaftsprüfer mehrerer Institute, die das Modell bereits nutzen, bestätigt worden.

Es bleibt abzuwarten, welchen Rahmen die siebten MaRisk-Novelle den BaFinbeaufsichtigten Instituten vorgeben wird, insbesondere inwieweit kleinere Institute von Proportionalitätsregeln profitieren werden.

Stephan Schütrumpf , Mitglied der Geschäftsleitung , Creditreform Rating AG, Neuss
Alexander Nielsen , Branchenmanager Banken und Finanzdienstleister , Verband der Vereine Creditreform e. V., Neuss

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