FACTORING

Sustainable Supply-Chain-Finance

Nachhaltigkeit und Verantwortung in der Lieferkette

Ingo Waltermann, Foto: Michael Schmitt

Immer mehr Unternehmen legen auf nachhaltige Finanzierungsmöglichkeiten in der Lieferkette Wert. In diesem Beitrag werden die besonderen Anforderungen nachhaltiger Supply-Chain-Finance skizziert, mit denen sich auch die Vorgaben aus dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz beziehungsweise der EU-Richtlinie zur Förderung der nachhaltigen Tätigkeiten von Unternehmen erfüllen lassen. Grundsätzlich lassen sich dabei zwei Ansätze unterscheiden, die im Folgenden vorgestellt und eingeordnet werden. (Red.)

Im Jahr 2015 haben 195 Nationen im Pariser Klimaabkommen das Ziel ausgerufen, den Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur auf maximal zwei Grad zu begrenzen. Bis 2030 sollen die europäischen Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent reduziert werden. Wiederum bis 2050 soll das sogenannte "Net-Zero-Ziel" erreicht sein - ein emissionsfreies Europa.

Laut einer McKinsey-Studie aus dem Jahr 2020 müssen für die Transformation der Wirtschaft Investitionen in Höhe von 28 Billionen Euro getätigt werden, um diese Emissionsfreiheit bis 2050 zu erreichen. Zahlen, die verdeutlichen, dass sich die Finanzwirtschaft einer großen Aufgabe gegenübersieht. Gleichzeitig birgt diese Herausforderung aber auch großes Potenzial, das notwendige Kapital für die Transformation zur Verfügung zu stellen.

Nachhaltiges Wirtschaften gewinnt an Dynamik

In den letzten Jahren hat sich in Bezug auf nachhaltige Finanzierungsmöglichkeiten einiges bewegt. Auf der einen Seite besteht bei Investoren eine hohe Nachfrage, in nachhaltige Anlagegegenstände zu investieren. Auf der anderen, der Unternehmensseite, besteht dagegen ein hoher Bedarf an Zugang zu nachhaltigen Finanzprodukten. Zudem haben europäische und nationale Behörden sehr umfangreiche regulatorische Anforderungen aufgestellt. Die EU-Taxonomie hilft bei der Bewertung von nachhaltigen Aktivitäten, definiert also was grün ist. Das hilft den Investoren und den Unternehmen. Ferner versuchen sie etwa über die "Non-Financial Reporting Directive" (NFRD) und "Corporate Sustainability Reporting Directive" (CSRD) in strukturierter Form Transparenz über nachhaltiges Wirtschaften der Marktteilnehmer zu schaffen.

In diesem Umfeld haben sich bereits unter anderem sogenannte grüne Anleihen (Green Bonds), grüne Schuldscheine oder auch nachhaltige Darlehen etabliert, bei denen genau definierte Standards eingehalten werden müssen. Wichtig bei der Beurteilung nachhaltiger Finanzprodukte ist immer, dass der Bezug beziehungsweise der Anreiz zum nachhaltigen Agieren über die Laufzeit klar nachvollziehbar und eindeutig gegeben ist. Das sogenannte Greenwashing ist unbedingt zu vermeiden. Die Anwendung der entwickelten Marktstandards und der im Zweifel strikteren Interpretation hilft, dem Greenwashing vorzubeugen.

Nachhaltigkeit kann je nach Zielsetzung unterschiedliche Dimensionen und Ausprägungen aufweisen. Um diese unternehmerische Nachhaltigkeit auch messbar zu machen, erfreuen sich die sogenannten ESG-Kriterien immer größerer Beliebtheit. Die Rede ist dabei von Parametern wie Umwelt- beziehungsweise Klimafreundlichkeit (Environmental), sozialem Verhalten wie der Beachtung von Menschenrechten, der Vermeidung von Kinderarbeit oder würdigen Arbeitsbedingungen (Social) sowie der Einhaltung gewisser Regeln guter Unternehmensführung wie etwa der Vermeidung von Korruption oder der Beachtung von Diversität und Inklusion (Governance). Eine hohe Transparenz hinsichtlich dieser ESG-Kriterien hilft Unternehmen, Vertrauen bei ihren Stakeholdern, ihren Eigentümern sowie den Banken und Konsumenten zu erhöhen.

Nachhaltiger SCF-Markt in der Findungsphase

Auch in Bezug auf die Forderungsfinanzierung wird das Thema Nachhaltigkeit zunehmend diskutiert, insbesondere im Rahmen von Supply-Chain-Finance (SCF beziehungsweise Reverse Factoring genannt). Beim herkömmlichen SCF bietet ein Abnehmer seinen Lieferanten an, die ihm gegenüber bestehenden Forderungen durch einen Finanzierer sofort nach Prüfung und Bestätigung der Ware respektive Dienstleistung zu begleichen. Der Abnehmer selbst bezahlt dann seine Verbindlichkeit zum festgelegten Fälligkeitstermin an den Finanzierer.

Im Gegensatz zu Green Bonds und Green Loans, bei denen das zur Verfügung gestellte Kapital für spezifische Investitionen in umwelt- oder klimafreundliche Projekte genutzt wird, sind nachhaltigkeitsgebundene (Sustainability-linked) Finanzierungen an die Erfüllung der gesetzten Nachhaltigkeitsziele der Unternehmen gekoppelt. Dies ist auch beim nachhaltigen SCF der Fall: Die zu zahlenden Zinsen für die Finanzierung orientieren sich am Erreichen definierter Nachhaltigkeitsziele. Werden diese ambitionierten Ziele, die bei Abschluss festgelegt wurden, erreicht, erhält der Lieferant einen Abschlag auf die zu zahlenden Zinsen. Werden die Ziele verfehlt, wird ein Zuschlag fällig.

Insbesondere das im Sommer 2021 beschlossene Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz beziehungsweise die jetzt von der EU-Kommission veröffentlichte Richtlinie zur Förderung der nachhaltigen Tätigkeiten von Unternehmen, erhöhen die Aufmerksamkeit für nachhaltiges SCF. Das Unternehmen, das einen ESG-gebundenen SCF einführt, verpflichtet seine Lieferkette zur Nachhaltigkeit und kann gleichzeitig die Einhaltung seiner eigenen Verpflichtungen aus dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz unterstützen. Entgegen des Anleihe- oder Schuldscheinmarktes hat sich im SCF noch kein Standard für eine nachhaltige Produktvariante entwickelt und der Markt befindet sich noch in der Findungsphase. Generell lassen sich zwei unterschiedliche Ansätze erkennen:

  • Die Nachhaltigkeitsziele basieren auf Erreichung eines festgelegten Nachhaltigkeitsratings beziehungsweise branchenüblichen Zertifikaten, die ein nachhaltiges Handeln dokumentieren: Es gibt verschiedene Ratingagenturen, die Unternehmen nach zumeist recht standardisierten Kriterien ein spezifisches ESG-Rating zuweisen. Alternativ gibt es Zertifizierungen in verschiedenen Branchen, die nachhaltiges Handeln dokumentieren. Zum Beispiel in der Nahrungsmittelbranche sind verschiedenste Zertifizierungen weit verbreitet. Erreicht ein Lieferant ein bestimmtes Rating beziehungsweise wird entsprechend zertifiziert, kann er Zinsvorteile generieren. Im umgekehrten Fall hat er keinen Vorteil oder sogar einen Nachteil.
  • Die Nachhaltigkeitsziele für die Lieferanten orientieren sich an den unternehmensspezifischen ESG-Zielen des Kunden. Heißt konkret: Das kaufende Unternehmen legt seine eigene Nachhaltigkeitsagenda zugrunde und bricht diese herunter auf seine Lieferanten. Und auch hier gilt: Bei guter Zielerreichung erhält der Lieferant einen Zinsvorteil, bei Zielverfehlung einen Zinsaufschlag. Und im gleichen Maße, wie sich die eigenen Ziele im Zeitablauf entwickeln, werden diese ebenfalls für die Lieferanten im Zeitablauf angepasst.

Blick hinter die Rating-Kulisse

Wie sind die beiden unterschiedlichen Ansätze zu bewerten? Der Ratingansatz ist momentan am häufigsten zu beobachten. Der wesentliche Vorteil liegt dabei darin, dass die Ratings- beziehungsweise Zertifikate standardisierte und objektiv nachvollziehbare Bewertungsmethoden widerspiegeln. In der Regel versenden die Ratingagenturen mehr oder weniger standardisierte Fragebogen an die Unternehmen und werten die Rückläufer entsprechend aus und generieren daraus das Nachhaltigkeitsrating. Bei den Zertifikaten durchlaufen die Unternehmen dann einen standardisierten Zertifizierungsprozess. Diese Vereinheitlichung ermöglicht eine vergleichsweise einfache Skalierung insbesondere auch für Lieferantenportfolien mit einer höheren Anzahl an Unternehmen.

Gleichzeitig stellt sich jedoch die Frage, wie verlässlich die auf Selbstauskünften generierten Ratings das nachhaltige Handeln der Lieferanten wirklich widerspiegelt. Da die Ratings in der Regel alle drei ESG-Kriterien berücksichtigen, ist zudem zu überlegen, wie zutreffend die Bewertung hinsichtlich der kundenspezifischen Ziele ist. Ein Unternehmen aus der Textilindustrie etwa wird bei seinen Zulieferern im Zweifel mehr Wert auf die soziale Komponente der Nachhaltigkeit legen. Ein Energieversorger legt gegebenenfalls mehr Wert auf die Klimafreundlichkeit.

Diese individuellen Bedürfnisse in der Bewertung kann ein allgemeingültiges Rating allerdings nicht so einfach befriedigen. Denn die direkte Auswirkung des Handelns der Lieferanten auf die eigene Nachhaltigkeitsagenda ist mit einem allgemeingültigen Rating nur schwer mess- beziehungsweise darstellbar. Es lohnt sich daher, einen genaueren Blick auf das angewendete Rating zu werfen: Was umfasst es im Detail? Wie individuell beziehungsweise standardisiert ist es? Wie entwickeln sich die Anforderungen im Zeitablauf? Nach welchem Verfahren wird das Rating festgelegt? Insbesondere bei Multibank-Programmen ist dann sicherzustellen, dass alle Investoren beziehungsweise Banken diesem Rating folgen wollen.

Transparenz und Offenheit im Fokus

Das Modell unter Berücksichtigung unternehmensindividueller ESG-Ziele versucht hingegen, die eigene Nachhaltigkeitsagenda in den Fokus zu stellen. Das bedeutet jedoch, dass sich sowohl Unternehmen wie auch SCF-Partner intensiver mit der Definition von Zielen sowie der Überwachung, ob beziehungsweise wie diese eingehalten werden, auseinandersetzen müssen. Der Detaillierungsgrad der Zielsetzung ist wesentlich höher. Das heißt aber auch, dass es nahezu unmöglich ist, sehr viele Lieferanten oder sogar das gesamte Lieferantenportfolio in ein solches nachhaltiges SCF-Programm einzubeziehen.

Daher identifiziert man in einem ersten Schritt die für das spezifische ESG-Ziel wesentlichen Lieferanten. Im Beispiel des Textilunternehmens werden dann die Lieferanten identifiziert, die die größte Relevanz hinsichtlich der Einhaltung von Menschenrechten und guten Arbeitsbedingungen haben (Social). Beim Energieversorger hingegen identifiziert man die Lieferanten, die den höchsten Einfluss auf die Emission von Treibhausgasen haben (Environmental). Und nur diese Lieferanten werden dann in das nachhaltige SCF-Programm eingebunden.

Konform zu den eigenen Zielen legt man dann für die Lieferanten individuelle Ziele über einen bestimmten Zeitablauf fest, bevor man zusammen mit dem SCF-Partner bestimmt, welche Zielerreichung zu einem Bonus und welche zu einem Malus in der Zinsberechnung führen. Das bedeutet allerdings auch, dass die Einhaltung der Ziele individuell bei jedem Lieferanten überwacht werden müssen. Hier stellt sich die Frage, ob die Veröffentlichungen der Lieferanten die notwendigen Informationen hergeben oder ob man über Wirtschaftsprüfer oder als Finanzierungspartner selbst andere Wege findet, die entsprechenden Informationen einzuholen.

Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Bereitschaft bei den Unternehmen, mehr Transparenz hinsichtlich nachhaltigkeitsrelevanter Informationen zu schaffen, in naher Zukunft weiter stark steigen wird. Zum einen wird es notwendig sein, um das gestiegene Interesse der Gesellschaft an Nachhaltigkeit zu befriedigen. Zum anderen wird es gefordert sein, um einen nachhaltigen Finanzierungsmarkt funktionsfähig zu halten. NFRD und CSRD haben bereits Reporting-Standards für größere Unternehmen gesetzt und einen Zeitplan für kleinere Unternehmen festgelegt. Diese regulatorischen Anforderungen führen zu einer viel stärkeren Transparenz. Die zweite Variante basierend auf den spezifischen Nachhaltigkeitszielen des kaufenden Unternehmens wird dadurch an Attraktivität gewinnen.

Interessante Ansätze, seine Lieferanten bezüglich Nachhaltigkeit zu bewerten, sind auch branchenspezifische Lösungen wie zum Beispiel in der chemischen Industrie. 2011 hat sich in Brüssel die Initiative "Together For Sustainability" gegründet, der eine Vielzahl bedeutender Chemiekonzerne beigetreten sind. Hier wird nachhaltiges Handeln der Lieferanten nach branchenspezifischen Standards bewertet. Die Bewertung basiert zwar auf Selbstauskünften, wird aber durch Dokumente und unabhängige Audits vor Ort verifiziert. Das heißt, man berücksichtigt zumindest branchenspezifische Kriterien und erreicht durch die Standardisierung dennoch eine gewisse Skalierbarkeit.

Individuelle Ziele und Bedürfnisse

Welche Form des nachhaltigen SCF ein Unternehmen wählen möchte, ist entsprechend auch davon abhängig, welche Ziele es mit der Einführung des Programms verfolgt. Möchte es allgemein Anreize für nachhaltiges Handeln fördern und Anreize beziehungsweise Möglichkeiten für niedrigere Finanzierungskosten schaffen, ist die Variante über Ratings oder Zertifikate einfacher umzusetzen. Verfolgt ein Unternehmen eine eigene Nachhaltigkeitsagenda, möchte diese im Hinblick auf die Lieferkette zielgerichtet umsetzen und sie Interessengruppen wie Anteilseignern, Investoren und Banken transparent aufzeigen, ist eher die Variante über spezifische heruntergebrochene Ziele erfolgreicher.

Auch im Hinblick auf das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hilft die zweite Variante, Lieferanten hinsichtlich der vom Gesetz geforderten Merkmale zu bewerten und zu überwachen. Somit kann man seinen Verpflichtungen aus dem Gesetz für diesen Teil nachkommen. Ein wesentlicher Faktor ist außerdem die Zusammensetzung des Lieferantenportfolios. Ein breit gestreutes Portfolio an Lieferanten ist einfacher über Ratings zu bewerten. Sind im Lieferantenportfolio einige wenige wesentliche Treiber für die Nachhaltigkeitskriterien, ist die zweite Variante zielgerichteter. Welche nachhaltige Produktvariante es also letztlich wird, bleibt immer eine Frage der individuellen Ziele und Bedürfnisse eines Unternehmens.

Ingo Waltermann , Business Manager Receivables and Supply Chain Finance , SEB, Frankfurt am Main
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