FACTORING

Nachhaltigkeit in der Finanzwirtschaft

Einblicke aus der Factoring-Branche

Oliver Böhm, Foto: O. Böhm

Für Deutschland bedeutet der Weg zur Klimaneutralität zusätzliche Investitionen von mehreren Billionen Euro in den nächsten beiden Jahrzehnten. Der Finanzsektor begleitet die Transformation durch Bereitstellung entsprechender Mittel. Der Beitrag definiert zunächst die sogenannten ESG-Kriterien und stellt die Bemühungen der Europäischen Union hin zu mehr Nachhaltigkeit vor. Daraus ergeben sich wichtige Marker zur Ausgestaltung von Sustainable-Finance-Produkten. Dabei müssen immer auch die regulatorischen Anforderungen im Blick behalten werden. (Red.)

Nachhaltigkeit ist eines der großen Themen dieser Zeit. Deutschland möchte bis zur Mitte des Jahrhunderts klimaneutral werden. In der von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Auftrag gegebenen Studie "Der Beitrag von Green Finance zum Erreichen von Klimaneutralität in Deutschland" werden die bis zum Jahr 2050 in Deutschland anstehenden Klimaschutzinvestitionen auf fünf Billionen Euro angegeben. Mit Blick auf das inzwischen verschärfte Ziel, bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu werden, sind Mehrinvestitionen von jährlich 72 Milliarden Euro zu erwarten. (1) Eine kürzlich erschienene Studie von McKinsey beziffert die Investitionsbedarfe sogar auf sechs Billionen Euro. (2)

In bestimmten Industrien ist der Investitionsbedarf dabei besonders hoch. Insbesondere die energieintensiven Grundstoffbranchen (Gas, Stahl, Chemie) stehen hier vor größeren Herausforderungen, um auf klimafreundlichere Produktionstechniken umzustellen. Speziell in den Bereichen Gewerbe, Handel und Dienstleistungen werden Investitionen in energieeffizientere Prozess- und Gebäudetechnik erwartet. Da die Deckung der transformativen Bedarfe öffentliche und private Investitionen erfordert, kommt dem Finanzsektor bei der Finanzierung dieser Investitionsbedarfe eine bedeutende Rolle zu. (3)

Der Transformationsprozess der deutschen Volkswirtschaft umfasst dabei ebenfalls die veränderten Anforderungen aus Digitalisierung und Globalisierung. Um Produktionsweisen und Geschäftsmodelle zukunftsfähig zu machen und von den Chancen nachhaltiger Entwicklung zu profitieren, müssen die betroffenen Unternehmen in den nächsten Jahren massiv Investitionen tätigen. Der Finanzwirtschaft und damit auch der Factoring-Industrie kommt dabei eine entscheidende Aufgabe zu, da sie ein wichtiger Baustein für die Bereitstellung der nötigen Mittel für diese Transformationsanstrengungen darstellt.

Zunächst ein paar Grundlagen für ein besseres Verständnis: Wenn ein Institut in Finanzierungsentscheidungen die Faktoren "Environment" (E), "Social" (S) und "Governance" (G) berücksichtigt, wird von "Sustainable Finance" gesprochen.

Einordnung von Sustainable Finance

Die Abkürzung ESG geht auf das Drei-Säulen-Modell der nachhaltigen Entwicklung zurück und hat sich schon am Kapitalmarkt sowie als Standard für nachhaltige Anlagen etabliert. Der weltweite Markt für sogenannte Green Bonds betrug im Jahr 2020 nach Angabe der Climate Bonds Initiative schon 269,5 Milliarden US-Dollar. Nach diesem Konzept handelt ein Unternehmen nachhaltig, wenn es wirtschaftliche, umweltbezogene und soziale Ziele gleichrangig verfolgt. Die drei Buchstaben E, S und G beschreiben dabei die zentralen nachhaltigkeitsbezogenen Verantwortungsbereiche:

  • "E" ist die Abkürzung für Environment, die Umwelt. Hierunter werden unter anderem Aktivitäten verstanden, die die Treibhausgase in der Atmosphäre reduzieren beziehungsweise stabilisieren.
  • "S" steht für das soziale Element Social. Hierunter zählt beispielsweise die Einhaltung anerkannter arbeitsrechtlicher Standards. (4) Unter den sozialen Aspekten werden neben Arbeitsnormen aber auch die Wahrung von Menschenrechten genauso wie Fragestellungen im Bereich Gesundheit und Sicherheit genannt. (5)
  • Hinter "G" verbirgt sich der Begriff Governance, die Unternehmensführung. Beispielhaft können hier Maßnahmen zur Verhinderung von Korruption und die Gewährleistung von Arbeitnehmerrechten genannt werden. Wertvolle Hinweise, welche Aspekte hierunter zu verstehen sind, enthalten die 17 Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals).

Die EU-Kommission hat ebenfalls die ESG-Faktoren aufgegriffen. So wurde mit Blick auf die Zielsetzungen des Green Deal ein Aktionsplan zur nachhaltigen Finanzierung vorgelegt, in dem die Erwartungshaltung an die Finanzwirtschaft formuliert wurde, ESG-Aspekte in die Geschäftsstrategie beziehungsweise in die Risikobewertung einfließen zu lassen.

In diese reiht sich auch die Europäische Taxonomie für nachhaltige Aktivitäten, die die Investitionstätigkeit unter anderem mit den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens (1,5-Grad-Ziel) verbindet. Abgeleitet daraus sollte eine wirtschaftliche Tätigkeit wesentlich zu mindestens einem der dort genannten Umweltziele beitragen, darf den anderen keinen nennenswerten Schaden zufügen (Do No Significant Harm - DNSH) und muss ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit gewähr leisten. Für eine entsprechende "ordnungsgemäße Due-Diligence-Prüfung" (6) kommen neben ESG-Ratings und ESG-Zertifizierungen auch die Erkenntnisse aus Jahresabschluss- und Nachhaltigkeitsberichten, sich aus dem im Kundendialog ergebenden Informationen sowie entsprechenden Erkenntnisse aus der Presseberichterstattung in Betracht.

bienen-leasing_vxl.jpg

Von der PB Factoring GmbH geleastes Honigbienenvolk.

Die Taxonomie ist komplex. Dennoch ist sie es ein erster und wichtiger Schritt zu mehr Standardisierung im Markt und eine Benchmark zur Ausgestaltung von Sustainable-Finance-Produkten. Sie ermöglicht auch Factoring-Finanzierungen unter ESG-Gesichtspunkten zu klassifizieren und somit den Kunden gegenüber transparent zu zeigen, welche wirtschaftlichen Tätigkeiten als nachhaltig eingestuft werden können.

Um Kunden bei ihren Transformationsanstrengungen zu unterstützen, bieten erste Factoring-Institute entsprechende Produkte an. Im Dreiecksverhältnis zwischen den drei Parteien Factor, Kunde und Debitor ist die ESG-Klassifizierung nicht ganz trivial, daher sind es vor allem sogenannte ESG-gelinkte Factoring-Produkte.

Anwendungsbeispiel für ESG-linked Produkte

Um die Transformationsanstrengungen der Kunden zu unterstützen, bietet zum Beispiel die PB Factoring GmbH, der Factoring-Anbieter des Deutsche Bank Konzerns, das ESG-gelinkte Produkt Nachhaltigkeits-Factoring an.

Die nachhaltigkeitsbezogene Struktur dieses Factoring-Produkts wird dabei an spezifischen Nachhaltigkeitsleistungszielen, sogenannten Sustainability-Performance-Targets beziehungsweise Key-Performance-Indicator (KPI) festgemacht. Die zugrundeliegenden KPIs verknüpfen dabei die wichtigsten branchenspezifischen ESG-Herausforderungen, denen sich der Kunde gegenübersteht; beispielsweise der Übergang zu einem weniger CO2 -intensiven Geschäftsmodell. Die KPIs werden dabei regelmäßig überprüft und berichtet (vorzugsweise von qualifizierten Drittanbietern) und können Einfluss auf die Preisgestaltung haben, sollten diese KPIs anspruchsvoll genug sein.

Für die konkrete Ausgestaltung solcher KPIs stehen auf Anbieterseite geschulte ESG-Experten zur Verfügung. Denkbar ist die Vereinbarung des Erreichens eines qualifizierten ESG-Ratings einer Ratingagentur und eines auf den CO2-Ausstoß bezogenen Reduktionsziels, idealerweise unterlegt durch entsprechende Initiativen, die der Kunde dazu ergreift. Das umfasst zum Beispiel Maßnahmen, um die Energieeffizienz der Produktionsanlagen zu erhöhen oder die Umstellung des Fuhrparks auf Fahrzeuge mit alternativem Antrieb. Das Interesse an diesem Produkt ist hoch, da es die Nachhaltigkeitsagenda der Kunden aufgreift und einen Beitrag leistet, auf ein nachhaltigeres Geschäftsmodell umzustellen.

Nachhaltige Finanztransaktionen können für den Kunden auch ein guter Ausgangspunkt sein, ein robustes Berichtssystem in puncto Nachhaltigkeit aufzubauen. Unter den jüngsten regulatorischen Entwicklungen reiht sich der Entwurf der EU-Kommission vom 23. Februar 2022 für eine EU-Lieferkettenrichtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence) ein, der die Wertschöpfungskette von größeren Unternehmen unter Nachhaltigkeitsaspekten in den Blick nimmt.

Da viele der regulatorischen und unternehmerischen Anstrengungen darauf abzielen, eine wirksame Kapitalallokation verbunden mit einem belastbaren Risikomanagement zu aktivieren, (7) können Prozesse, die rund um solche Produktinnovationen entwickelt werden, auch einen Beitrag für die Berücksichtigung von ESG-Erwägungen in der Risikobewertung leisten. Sie können dabei unter anderem die Umsetzung regulatorischer Anforderungen im Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken unterstützen.

Nachhaltigkeitsrisiken

Neben ihrer Rolle bei der Bereitstellung der nötigen Mittel für die kundenseitigen Transformationsanstrengungen, müssen Institute zudem die regulatorischen Anforderungen, die vor allem Risikoaspekte der Nachhaltigkeit adressieren, in den Blick nehmen. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) kündigte zuletzt an, dass sie die angemessene Behandlung von Nachhaltigkeitsrisiken zunehmend in Aufsichtsgespräche und perspektivisch auch in örtliche Prüfungen sowie den aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess einbeziehen will. (8)

In ihrem Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken weist sie auf Risiken von Ereignissen oder Bedingungen aus den Bereichen Umwelt, Soziales oder Unternehmensführung, deren Eintreten tatsächlich oder potenziell negative Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage sowie auf die Reputation eines beaufsichtigten Unternehmens haben können, hin. Dabei führt sie beispielhaft physische Risiken, die sich sowohl im Hinblick auf einzelne Extremwetterereignisse und deren Folgen als auch in Bezug auf langfristige Veränderungen klimatischer und ökologischer Bedingungen ergeben, und transitorische Risiken, die sich unter anderem im Zusammenhang mit der Umstellung auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft abzeichnen, an. (9) In der anstehenden siebten Novelle der Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) sollen weitere Konkretisierungen und die jüngsten Entwicklungen in puncto Nachhaltigkeit adressiert werden; unter anderem aus dem Ende 2020 veröffentlichten Leitfaden der Europäischen Zentralbank zu Klima- und Umweltrisiken.

Im Hinblick auf die weiter steigenden regulatorischen Anforderungen ist insgesamt davon auszugehen, dass Institute künftig vermehrt ESG-Aspekte in ihre Organisation und Geschäftsprozesse, inklusive des internen Kontrollsystems, einfließen lassen müssen. (10)

Da diese Risikoarten auch die wirtschaftlichen Verhältnisse der Forderungsverkäufer und deren Debitoren betreffen können, ist ein Institut schon aus Eigeninteresse gut beraten, sich mit ESG-Aspekten in der Risikobewertung auseinanderzusetzen. So können etwa Naturkatastrophen zu Ratingabstufungen bei Forderungsverkäufern und Debitoren führen und durch physische Schäden deren Bilanz belasten. Die Methoden aus einem im Institut aufgestellten Sustainable-Finance-Framework können hierbei nützlich sein. Eine hierzu aufgebaute Risikoklassifizierung kann auch Ausgangslage für die Nachhaltigkeitsbewertung von Vendoren im Auslagerungsprozess sein.

Weichenstellung für die Zukunft

Um den angemessenen Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken gerecht zu werden, sind neben Kompetenzaufbau Änderungen von Strategien, Vorgaben, Methoden und operativen Prozessen, die Konzeption oder Anpassung von Stresstests, die Würdigung von Nachhaltigkeitsrisiken im institutseigenen Risikoinventur- und ICAAP-Prozess sowie die Weiterentwicklung des Reportings unter Berücksichtigung von Proportionalitätsüberlegungen erforderlich. Das Normativ zielt dabei auf die Überprüfung ab, welche Bereiche wesentlichen ESG-Risiken ausgesetzt sind und ob Leitplanken, beispielsweise in Form der Adjustierung des Risikoappetits oder Limitierungen, eingezogen werden müssen, um diese Risiken einzuschränken. (11) Bis zum Erreichen von Klimaneutralität und einer nachhaltigeren Zukunft sind noch viele Schritte zu gehen. Um zu einer nachhaltigeren Welt beizutragen, bedarf es insgesamt großer transformatorischer Anstrengungen, massiver Investitionen und der hierfür nötigen Mittel. Laut dem Abschlussbericht des Sustainable-Finance-Beirats der Bundesregierung ist es Ziel, Deutschland zu einem führenden Sustainable-Finance-Standort zu machen. (12) Auch die eingangs von der KfW in Auftrag gegebene Studie ermuntert den Finanzsektor, grüne Finanzprodukte zu entwickeln und Deutschland als Standort für Green Finance zu etablieren. (13) Mit den ersten ESG-linked Factoring-Produkten am Markt leistet die Factoring-Industrie ihren Beitrag dazu.

Vor dem Hintergrund der Dekarbonisierungsziele, der aufsichtsrechtlichen Leitplanken, von verantwortungsbewusstem Handeln und der Gefahren von ESG-Risiken ist es wichtig, sich weiter intensiv damit auseinanderzusetzen und die richtigen Weichenstellungen für die Zukunft zu treffen.

Fußnoten

1) KfW, 2021, 5 Bio. EUR klimafreundlich investieren - eine leistbare Herausforderung, Research Bericht Nr. 350.

2) Vgl. McKinsey, 2021, Net-Zero Deutschland - Chancen und Herausforderungen auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045.

3) KfW, 2021, 5 Bio. EUR klimafreundlich investieren - eine leistbare Herausforderung, Research Bericht Nr. 350.

4) Vgl. ILO-Kernarbeitsnormen bzw. UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte.

5) Vgl. UNEP Inquiry 2016, S. 10.

6) Vgl. Europäische Zentralbank, 2020, Leitfaden zu Klima- und Umweltrisiken - Erwartungen der Aufsicht in Bezug auf Risikomanagement und Offenlegungen, S. 29.

7) Vgl. Sustainable Finance Beirat der Bundesregierung, 2021, Shifting the Trillions - Ein nachhaltiges Finanzsystem für die Große Transformation, S. 2-4.

8) Vgl. BaFin, 2021, Der deutsche Finanzsektor und die Nachhaltigkeitsrisiken: Eine Sachstandserhebung durch die BaFin, S. 24.

9) Vgl. BaFin, 2019, Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken.

10) Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V., 2020, Positionspapier - Sustainable Finance als Teil der Teil der nachhaltigen Transformation, S. 7.

11) Ebd., S. 3.

12) Vgl. Sustainable Finance Beirat der Bundesregierung, 2021, Shifting the Trillions - Ein nachhaltiges Finanzsystem für die Große Transformation.

13) Vgl. Prognos/Nextra/NKI, 2021, Beitrag von Green Finance zum Erreichen von Klimaneutralität in Deutschland, Studie im Auftrag der KfW, S. 161.

 
Beitrag zur Klimaneutralität
 
Nachhaltigkeit fängt dabei schon vor der eigenen Haustür an. So hat die PB Factoring GmbH für sich das Ziel gesetzt, mit seinen eigenen Verbräuchen bewusster umzugehen und klimaneutral zu werden. Prozesse wurden digitalisiert, um nachhaltig Papier einzusparen. Für die Verbräuche, die sich nicht vollständig vermeiden lassen konnten, wurden Initiativen umgesetzt, um diese bestmöglich auszugleichen. Die Gesellschaft unterstützt außerdem regelmäßig Nachhaltigkeitsprojekte. Im jüngsten Projekt engagiert sich das Institut für die Bienenversorgung und hat ein eigenes Honigbienenvolk geleast, um Teil der Kette zu sein, die etwas gegen den stetigen Rückgang der Honigbienenpopulation unternimmt.
Oliver Böhm , Generalbevollmächtigter, PB Factoring GmbH, Bonn
Noch keine Bewertungen vorhanden


X