DIGITALISIERUNG

IoT-based Finance - mit Daten Risiken managen

Neue Geschäftspotenziale durch Risk-and-Revenue-Sharing

Dr. Lars Rüsberg, Foto: BDL (Jens Schicke)

Das Asset lernt sprechen und übermittelt Daten. Finanzdienstleister, die assetbasierte, nutzungs- oder ergebnisabhängige Finanzierungen ermöglichen, erschließen sich weitere Ertragsquellen, übernehmen aber auch zusätzliche unternehmerische Risiken. Erfolgreich wird sich derjenige in diesem neuen Markt positionieren, der das Asset über seinen gesamten Lebenszyklus begleitet, in entsprechenden Ökosystemen Partner und deren Services orchestriert - und mit den vom Asset übermittelten Daten die Steuerung seiner Risiken optimiert. Das Internet of Things (IoT) ist dabei der Schlüssel zum Erfolg. (Red.)

Hersteller suchen nach neuen Möglichkeiten der Absatzförderung, ihre Kunden möchten jedoch nicht Kapital binden, nicht investieren, sondern flexibel bleiben: von Capital Expenditure (Cap-Ex) zu Operational Expenditure (OpEx). Und die Finanzierung? Embedded. Sollen dabei die anfallenden Kosten in Einklang gebracht werden mit erzielbaren Erträgen, so spannt sich ein magisches Dreieck auf - mit Herstellern, Kunden und deren Finanzierern als Beteiligten, mit unterschiedlichen Interessen sowie mit Chancen und Risiken, die es entsprechend der jeweiligen Positionierung zu verteilen gilt.

Bei der Finanzierung wird seitens des Finanzdienstleisters meist auf die Bonität der Beteiligten abgestellt. Das Asset spielt - außer im Leasing - oft eine nur untergeordnete Rolle - als Sicherheit, deren Wert bereits mit der Inbetriebnahme signifikant gesunken sein kann.

Transformation aufgrund der Megatrends Industrie 4.0, Digitalisierung und Nachhaltigkeit, die mit schnellen Veränderungen im Kundenverhalten einhergeht, erfordert aber eine erhöhte Flexibilität. Statt Kauf aus Liquidität oder kreditfinanziert mit fester Annuität während einer vertraglich vereinbarten Laufzeit, statt Besitz- und Risikoübergang vom Verkäufer auf den Käufer und Nutzer einer Maschine sind Finanzierungsmodelle gefragt, die den (neuen) Interessen der Beteiligten Rechnung tragen. Und Finanzdienstleister und/oder Investoren? Als Spezialisten für Risikobeurteilung und -steuerung erwarten diese bei zusätzlicher Risikoübernahme auch eine adäquate Risikomarge. Gleichzeitig müssen sie darauf achten, dass die (höheren) Kosten einer "atmenden" Finanzierung nicht die Vorteile aus der gewonnenen Flexibilität beim Nutzer überkompensieren.

Begriffs- und Angebotsvielfalt

Kaufvertrags- und Mietrecht, bestimmt über § 433 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und § 535 ff. BGB, bilden die Eckpunkte. Kredit und Leasing haben feste Regeln. Für flexiblere Finanzierungen hat sich hingegen eine Formen- und Begriffsvielfalt entwickelt, die im Folgenden unter PPX zusammengefasst wird:

- vom altbekannten Pay-per-Use mit entsprechenden Maßgrößen für "Usage" im Sinne von Output wie zum Beispiel Kilometer (Auto), Clicks (Kopierer) oder Quadratmeter (Reinigungsmaschinen)

- über sogenannte Smart-Performance-Finance-Lösungen für Equipment, Technologie und Software mit in größeren Abständen notwendigen Erneuerungen oder Migrationen

- zum Pay-for-Outcome, ergebnisorientiert entsprechend einem passenden Key-Performance-Indicator (KPI) wie verpackte Einheiten (Verpackungsmaschinen) oder Ernteertrag (Landmaschinen).

Weitere Modelle finden sich unter dem Begriff "as-a-Service" (aaS), wahlweise als Asset-, Equipment- oder Everything-as-a-Service (AaaS / EaaS / XaaS) bezeichnet. Sie unterscheiden sich unter anderem in den Zahlungsstrukturen (fest / fest und flexibel / flexibel) oder Leistungsversprechen (verfügbarkeits- oder ergebnisorientiert). Allen damit beschriebenen Nutzungs- und Finanzierungangeboten ist gemein, dass sie einer expliziten Definition und einer spezifischen vertraglichen Vereinbarung der Rechte und Pflichten bedürfen, die die Vertragsparteien in der jeweiligen Rolle und Konstellation allgemein oder in Bezug auf das Asset zu erfüllen haben. Dies ist zugleich ein Teil der Komplexität, die es zu beherrschen gilt.

Nicht jedes Asset kommt für IoT-based Finance in Betracht. Als (demnächst auch selbst-)fahrende Computer sind Autos für nutzungsbasierte Modelle sehr geeignet. In dieser Hinsicht gilt "Business-to-Business follows Business-to-Consumer", denn die Auto-Abo- und weiteren Mobilitätsangebote haben sich im Segment "Automotive Finance" bereits fest etabliert und helfen dem meist privaten Nutzer über eine Kaufentscheidung hinweg. Beispielsweise, weil dieser aufgrund neuer Arbeitsbedingungen (Homeoffice) oder sprunghaft höherer Betriebskosten sein künftiges Nutzungsverhalten nicht kennt.

Ob mobil oder immobil: Entscheidend ist die mögliche Nutzung eines Assets durch weitere Nutzer, am besten auch an einem anderen Ort. Die Standardmaschine schlägt die Sonder- und Spezialmaschine, Flexibilität im Einsatz schlägt Single-Use. Umgekehrt ist das richtige Asset allein nicht Garant für den Erfolg. Vielmehr ist es eine notwendige, aber noch nicht hinreichende Voraussetzung.

IoT - das Asset lernt sprechen

Ermöglicht werden die Finanzierungsund Abrechnungsmodelle durch das Asset selbst - und das Internet of Things (IoT). Das Objekt ist IoT-siert: über vielfältige Sensoren verbunden mit dem Internet der Dinge, kann es Orts-, Zustands- und Nutzungsdaten in die Cloud übertragen - für industrielle Use-Cases (Predictive Maintenance) ebenso wie für versicherungsspezifische oder finanzierungsrelevante Angebote.

IoT mindert die Abhängigkeit vom Nutzer. Er muss keine Kilometerangaben machen (beim Kilometer-Leasing), nicht mehr die Anzahl der Kopien ablesen und übermitteln (im Pay-per-Click-Modell). Das Asset weiß, wie lange der Toner reicht und bestellt einen Neuen - oder fordert den Wartungstechniker an, der bereits die passenden Ersatzteile zum Beispiel für eine Produktionsmaschine mit deren systembedingten technischen Unterschieden mitbringt.

Dabei steht IoT-based-Finance noch am Anfang. Daher sind vielfältige Fragestellungen zu beantworten: Welches sind die finanzierungsrelevanten Daten je Assetklasse? In welcher Frequenz beziehungsweise in welchem Aggregationsgrad werden diese benötigt? Wie können die Daten manipulationssicher gemacht werden? Wie robust ist das System bei zeitweiligem Verlust der Konnektivität? Können variable Abrechnungen transparent erstellt und beim Kunden effizient geprüft und abgerechnet werden? Der Weg ist das Ziel - und mit jedem Geschäft wächst die Erfahrung.

Datenschutz und -sicherheit

Zentrale Fragestellungen ergeben sich aus den neuen Daten: Wer ist der Eigentümer der Daten, die das Asset übermitteln kann? Wie dürfen diese Daten genutzt werden? Daraus ergeben sich weitere Anforderungen, die sicherzustellen sind, leiten sich doch Aktionen aus den vom Asset übermittelten Daten ab: Ist die jederzeitige Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit gewährleistet?

Ist das Teilen der Daten zwischen Hersteller und Nutzer eines Assets oft noch gestaltbar, so ist die Einbeziehung des Finanzdienstleisters meist problematischer. Dieser darf durch Datenanforderungen nicht die Sicherheit oder Effizienz der Produktion gefährden. Welche Schlüsse darf er aus den Daten ziehen? Der Kunde wird der Nutzung der Daten nur zustimmen, wenn ein entsprechender Vorteil für ihn entsteht: do ut des.

Gelingt es nicht, potenzielle Nachteile auszuschließen (etwa Rückschlüsse aus der Nutzung des Assets auf Produktionsverfahren und -geheimnisse), wird sich der Datenbesitzer verweigern. Insbesondere, wenn das Vertrauen in den Finanzierungspartner fehlt, könnte dieser doch aufgrund der erhöhten Transparenz aus einer Nicht-Nutzung des finanzierten Assets eine sich verschlechternde Bonität des Finanzierungsnehmers ableiten und seine Konsequenzen ziehen, zum Beispiel Kürzung einer eingeräumten Finanzierungslinie. Und ebenso können sich für den Finanzdienstleister neue - technologische oder auch regulatorische - Herausforderungen ergeben: aus einer noch nicht etablierten Cloud-Nutzung, gegebenenfalls aus der Auslagerung von rechnungslegungsrelevanten Abrechnungsprozessen und andere mehr.

Bislang nur selten finden sich "True-Pay-per-Use-Finanzierungen": der Nutzer zahlt ausschließlich entsprechend der festgelegten KPI, das Risiko der Nicht-Nutzung des Assets oder einer nicht ausreichenden Performance trägt allein der Hersteller oder Finanzierer, da dem Kunden keine "Grundmiete" in Rechnung gestellt wird. Auch vom Restwertrisiko oder dem Risiko einer weiteren Verwendung beziehungsweise Verwertung ist der Nutzer bei einem echten Pay-per-Use befreit - rechtlich gesehen handelt es sich um eine Miete.

Risiken bestimmen das Finanzprodukt

Im Vorteil sind bei einem echten Payper-Use die Captives, die herstellereigenen Finanzierungsgesellschaften wie Autobanken, aber auch die Financial-Service-Einheiten großer Hersteller, die sich in enger Kooperation im Konzern diese Risiken von der Herstellerseite abfedern lassen: der Hersteller kennt sein Produkt am besten, kann es auffrischen, wenn es aus einem Einsatz zurückkommt, und über die auflaufende Nachfrage nach Gebrauchtmaschinen oder in einem eigenen Mietpark erneut zum Einsatz bringen. Dies erfordert jedoch ein Management des Produktlebenszyklus, das bei vielen Herstellern, aber ganz sicher bei einem reinen Finanzdienstleister, über ein Ökosystem zunächst aufzubauen ist.

Aus dem Umfang der Verlagerung der aufgeführten Risikoarten wird deutlich, dass die beim Nutzer entstehende Flexibilität und Freiheit ihren Preis hat - und durch den Risikoträger zu kalkulieren und in Rechnung zu stellen ist (Abbildung 1).

Chancen und Grenzen eines Herstellers

Ein Hersteller, der - wie beschrieben - sein Asset über den gesamten Lebenszyklus mit zusätzlichen Services begleitet, vergrößert gegenüber einem bisher getätigten One-Time-Sale die Ertragspotenziale und kann über Finanzierungs- und Vertragsbedingungen Einfluss nehmen auf den laufenden Support, die Wartung und im Schadensfall die Reparatur et cetera. Eine derart intensivierte Kundenbeziehung eröffnet meist Potenzial für weitere ergebnis- oder leistungsbasierte Mehrwertdienste. Entscheidend für den Erfolg des Herstellers sind die konsequente Entwicklung beziehungsweise Ausweitung der Geschäftsmöglichkeiten, das Erzielen von Wettbewerbsvorteilen sowie die Generierung kontinuierlicher Umsatzströme.

Erste Studien aus dem Automobilbereich, aber auch aus dem Maschinenund Anlagenbau zeigen, dass die Ertragspotenziale aus der Betreuung des Assets über einen Lebenszyklus in der Spitze das Fünffache erreichen können. Selbst im Schnitt sind das Zwei- bis Dreifache des aus dem einmaligen schnellen Verkauf Erzielbaren erreichbar. Nur wenige Hersteller können sich jedoch die Finanzierung ihrer Assets leisten. Die Verkaufserlöse des heutigen Geschäftsmodells fallen für die bereitgestellten Assets sofort weg, die Cashflows (und die in ihnen liegenden Ergebnisbeiträge) fließen erst über die Laufzeit in das Herstellerunternehmen zurück - bei rein nutzungs- oder ergebnisabhängen Modellen mit einem zuvor nicht bestimmbaren Zuflussplan in Bezug auf Zahlungszeitpunkte oder -beträge.

Diese Transformation gilt es zu managen, zumal auch die genannten Zusatzerträge aus der Pflege und mehrfachen Vermarktung des Assets erst später anfallen. Sofort hingegen wirkt die Bilanzverlängerung aus dem Nicht-Verkauf des Assets, die einhergeht mit einer Verschlechterung von bonitätsrelevanten Kennzahlen wie dem Verschuldungsgrad, der Eigenkapitalquote und zunächst sicher auch -rentabilität. Wesentliche Aufgaben für den Hersteller sind daher, das für Kunden passende Geschäftsmodell zu finden, die Finanzierung sicherzustellen, die Risiken abzusichern sowie die digitale (IoT-)Transformation zu meistern. Kann der sich beteiligende Finanzdienstleister an den Ergebnisbeiträgen partizipieren, muss auch ein True-Pay-per-Use (TPPU) bei allen Kalkulationsbestandteilen für übernommene Risiken für den (End-) Kunden nicht teurer sein.

Motive der Kunden

Der Erfolg wird sich aber erst einstellen, wenn auch der Kunde seine durch ein TPPU erreichte höhere Flexibilität wertschätzt. Für den Umfang dieser Wertschätzung ist unter anderem das Motiv entscheidend, das er mit einer nutzungsbasierten und/oder ergebnisorientieren Finanzierung verfolgt. Folgende Kundentypen haben sich bei internen Analysen der Siemens Financial Services GmbH herauskristallisiert:

- Der Outsourcer möchte die Verantwortung über das Asset und die Auslastung verlagern und verfolgt konsequent ein Outsourcing der (Nicht-Kern-)Aktivitäten - und ist auch bereit, dafür gut zu zahlen.

- Der Technikaffine liebt State-of-the-Art-Technologie und sieht sich gegebenenfalls durch die sich aktuell verstärkende ESG-Thematik im Nachhaltigkeitsstreben bestätigt. Er betreibt gern die neueste Technologie und profitiert und realisiert kontinuierliche Verbesserungen; in der Regel ist ihm dies auch etwas wert.

- Der Teil-Auslaster hat volatiles Geschäft zu managen oder braucht nur zeitweise - zum Beispiel zur Abwicklung eines größeren Auftrags - zusätzliche Kapazitäten. Er vermeidet sprungfixe (Investitions-)Kosten und wandelt diese durch ein Pay-per-Use-Modell in variable Kosten. Vorteile sieht er, ist aber - je nach Vorhersagbarkeit seiner Auftragslage - nur bedingt bereit, andere partizipieren zu lassen.

- Der Bilanzorientierte ist getrieben durch Finanz-KPI, möchte eine Cap-Ex-zu-OpEx-Verschiebung realisieren, wird aber - je nach anzuwendenden Accounting-Standards - vor die Herausforderung gestellt, eine Struktur zu finden, die die Bilanzierung des Assets außerhalb seiner Bilanz realisiert und eine steuerliche Zurechnung vermeidet. Dem misst er meist einen eher überschaubaren Wert bei - es sei denn, er möchte bewusst seine Marktkapitalisierung im Sinne der Erkenntnisse der Deutschen Bank verbessern: "US stock markets love companies that are asset-light."

PPX-Basismodelle

Je nach Beziehung zwischen den Parteien haben sich vier Basismodelle herausgebildet, die aus Sicht des Finanzierers bezeichnet werden können als

- Refinanzierungsmodell: Der Finanzdienstleister refinanziert den Hersteller, der einem Kunden ein TPPU ohne eine Basismiete bietet. Diese Refinanzierung erfolgt unabhängig vom PPX-Grundgeschäft des Herstellers mit dem Kunden, bevorzugt über einen "atmenden" Kredit oder ein Saleand-lease-back, möglichst kongruent, möglichst bilanzverkürzend.

- Finanzierungsmodell: Der Finanzdienstleister finanziert dem Nutzer das Asset mit einem volatilen Zahlungsstrom zum Beispiel über einen PPX-Kredit oder ein PPX-Leasing. Hierzu benötigt er für die Rechnungsstellung die abrechnungsrelevanten Daten des Assets, die er beispielsweise aus der Cloud bezieht und dann verarbeiten und in seinem Enterprise-Resource-Planning-System flexibel abbilden können muss.

- Mietmodell: Der Finanzdienstleister, typischerweise eine Captive, eher eine Leasing-Gesellschaft als eine Bank, vermietet das Asset meist mit weiteren Services und bilanziert es auch. Im Rahmen der Kooperation übernimmt der Hersteller technische Risiken oder die Aufbereitung und Logistik vor einem zweiten oder dritten Lebenszyklus.

- Intermediärmodell: Der Finanzdienstleister oder spezialisierte Berater strukturiert die Finanzierung für eine Kapitalmarkttransaktion oder einen Investor.

Ein schneller Einstieg gelingt einem Finanzdienstleister über das Refinanzierungsmodell, die weiteren Entwicklungsstufen Finanzierungs- und Mietmodell sind Zwischenschritte vor der "High-end-Lösung" Intermediärmodell; diese ist jedoch nicht für jedes Asset geeignet und aufgrund der Kosten für die initiale Konstruktion nur lohnend bei hochskalierenden Assets oder umfangreichen (Maschinen-)Pools.

Die in Abbildung 2 angeführten Referenzen stellen jeweils typische Beispiele für die vier Modelle dar. Je nach spezifischem Bedarf können aus diesen vier Grundformen weitere Mischformen abgeleitet werden.

Beratungsbedarf

Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Geschäftsmodelle ist stets ein PPX-Modell so zu gestalten, dass es den Anforderungen aller Beteiligten Rechnung trägt. Die Ausarbeitung sollte in den folgenden vier Schritten erfolgen:

- vertriebsorientierte Analyse eines neuen PPX-Geschäftsmodells mit Beispielen und Ideen, Hürden und Möglichkeiten für den Hersteller,

- ausgehend von den Basismodellen Erarbeitung von Finanzierungskonzepten und Risikoabsicherung respektive -verteilung auf die Partner,

- Ausarbeitung der technischen Umsetzung und Gestaltung der Prozesse und Rahmenbedingungen,

- Umsetzung und Implementierung. Im Sinne des Plan-Do-Check-Act-Ansatzes sollte dann ein nächster Rundlauf zur Optimierung eingeleitet werden. Die Komplexität ergibt sich unter anderem im Detail.

Folgende Fragen, die unter den Partnern, meist aber durch den Finanzdienstleister geklärt beziehungsweise gelöst werden müssen, können dies exemplarisch untermauern: Wer übernimmt die Beschaffungsrolle mit dem Beschaffungsrisiko? Wer generiert die Forderungen gegenüber den Endkunden? Wer übernimmt die (monatliche) Rechnungslegung, das Forderungsmanagement, das Risiko der Wiedervermietung und die Weitervermarktung der Assets? Welche regulatorischen Anforderungen sind zu beachten?

Diese Fragen zeigen, dass

- derjenige Finanzdienstleister, der im Rahmen einer Kooperation oder als Captive Rückgriff auf den Hersteller nehmen kann, Vorteile hat,

- es weiterer Partner in einem aufzubauenden Ökosystem bedarf,

- Vorbereitungen innerhalb der Organisation des Finanzdienstleisters zu treffen sind, um alle sich ergebenden Aufgabenstellungen effizient abwickeln zu können - insbesondere, wenn das Geschäft skaliert werden soll.

So erklärt es sich auch, dass sich manche Fintechs auf dieses Marktsegment spezialisiert haben und entsprechende Services anbieten, orchestrieren und/ oder selbst planen, Risiken zu übernehmen oder zu strukturieren und bei Investoren oder am Kapitalmarkt zu platzieren.

Restwertrisiko

Aus Sicht einer Leasing-Gesellschaft ist eine der wesentlichen, den Erfolg des Geschäfts bestimmenden Risiken das Restwertrisiko eines Assets, zum Beispiel nach dem typischerweise finanzierten ersten Lebenszyklus. Bewertungsdivergenzen ergeben sich stets, da der technische Wert, der Zeitwert und der Marktwert zu unterscheiden sind.

Abbildung 1: Die Risiken bestimmen das Finanzprodukt Quelle: Südleasing GmbH
Abbildung 1: Die Risiken bestimmen das Finanzprodukt Quelle: Südleasing GmbH

Perspektivisch ist ein Echtzeitgutachten zu einem Asset per Klick möglich, wenn es IoT-siert ist, also im Sinne eines Logbuchs Nutzung und regelmäßige Wartung nachweisen kann. Das Vertrauen in ein gebrauchtes Asset ist dann höher, wenn es sachgerecht zum Einsatz gekommen und scheckheftgepflegt ist. Der damit bestimmbare technische Wert kann ergänzt werden um not wendigen Instandhaltungsaufwand und dynamische Zeitwerteinflüsse, sodass ein Sicherungswert ermittelt werden kann.

Abbildung 2: Beispiele für PPX-Basismodelle Quelle: Siemens Finance & Leasing GmbH
Abbildung 2: Beispiele für PPX-Basismodelle Quelle: Siemens Finance & Leasing GmbH

Der Marktwert hingegen wird auch weiterhin aufgrund von Sonderfaktoren abweichen, etwa wenn eine neue Modellreihe mit zusätzlicher Funktionalität oder geringerem CO2-Fußabdruck eingeführt wurde. Somit wird es auch in absehbarer Zukunft keine fixen Relationen zwischen Betriebsstunden oder anderen KPIs einerseits und Marktpreis andererseits geben.

Eine weitere Facette, die nicht unbeachtet bleiben darf, ist die Refinanzierung des Geschäfts - insbesondere für eine Leasing-Gesellschaft als Finanzdienstleister in den genannten Basismodellen. Soweit rein nutzungs- oder ergebnisabhängig Zahlungen durch den Nutzer erfolgen, gibt es keinen bestimmbaren Cashflow, der sich durch einen Refinanzierer im Rahmen einer Forfaitierung refinanzieren ließe.

Refinanzierung

Insofern bliebe für die Leasing-Gesellschaft nur eine (Darlehens-)Finanzierung, die auf die Bonität abstellt - und damit gegebenenfalls im Wettstreit um andere zu finanzierende Bilanzkategorien (zum Beispiel Working Capital) innerhalb eines bestehenden Finanzierungsrahmens stände.

Die Bildung von Assetpools (zum Beispiel bei einem Flottenbetreiber oder über mehrere Nutzer hinweg in einem virtuellen Maschinenpark) könnte ein möglicher Lösungsansatz sein, über den einem Refinanzierungsinstitut ein mit hoher Wahrscheinlichkeit zufließender (Rück-)Zahlungsstrom nachgewiesen werden kann. Damit geht es um die Verstetigung der variablen Cashflows einzelner Assets zu einem möglich schwankungsarmen Zahlungsstrom über alle Assets hinweg (Portfolio-Ansatz).

Ein langer Weg zum Erfolg?

Erfolgreich skalierbare PPX- beziehungsweise XaaS-Geschäftsmodelle erfordern ein gutes Verständnis der Stellhebel und unternehmerisches Agieren. Einerseits muss der Finanzdienstleister für sich selbst die erforderlichen Voraussetzungen schaffen; dies kann er durch Einbeziehung spezialisierter Dienstleister. Anderseits sollte er - wenn das Geschäft wachsen soll - auch den Hersteller und Kunden in spezifischen Entwicklungsschritten unterstützen können. In jedem Fall gilt es, den Vertrieb von vornherein einzubinden, zu schulen (Financial PPX Education) - und auch zu incentivieren.

Doch eine wesentliche Hürde bleibt: die temporäre Diskrepanz von Angebot und Nachfrage. In Zeiten schwieriger wirtschaftlicher Perspektiven gibt es zwar eine hohe Nachfrage der Nutzer und ein großes Interesse der Hersteller, aber die Finanzdienstleister sind risikobedingt zurückhaltend. Umgekehrt verhält es sich in guten Zeiten. Dann besteht bei hoher Maschinenauslastung eine nur geringe Nachfrage, wohingegen das Angebot der Finanzdienstleister aufgrund niedriger Risikoerwartung steigt.

Monetarisierung von Daten

Diese grundsätzliche Diskrepanz kann über unterschiedliche Entwicklungsstufen auf dem Weg vom Produkt zum Ökosystem relativiert werden. Zunächst kommt der Hersteller vom klassischen Produktverkauf, bevor er seine Maschinen IoT-siert und Daten senden lässt. Um im nächsten Schritt von IoT-sierten Produkten zu Produktservices zu gelangen, muss er den Wert der Daten und deren Nutzen verstehen - und ihre Vermarktbarkeit verproben: zum klassischen Produktverkauf kommen Nutzungs- beziehungsweise Abonnementgebühren hinzu. Um die Kundenbeziehung dauerhaft zu intensivieren, muss Output verkauft werden: das Produkt als Service (XaaS), etwa im Full-Service mit entsprechenden Verfügbarkeitsabsicherungen.

Die höchste Stufe ist erreicht, wenn es gelingt, Mehrwerte zu verkaufen. Denn dann steht nicht mehr das Asset im Vordergrund, sondern dessen Leistung. Die Nutzungs- respektive Abonnementgebühren können so um weitere Mehrwert- beziehungsweise leistungs- oder ergebnisabhängige Gebühren ergänzt werden.

Innovation braucht Community

Ist zwischenzeitlich ein entsprechendes Ökosystem entstanden, können gegebenenfalls weitere Vermittlungsgebühren erzielt werden - durch den Verkauf zusätzlicher Leistungen rund um die angefragte Lösung, die in einem Partnernetzwerk gemeinschaftlich angeboten werden. Der Finanzdienstleister begleitet, finanziert, trägt Risiken, partizipiert. IoT-based-Finance wird zum Game-Changer.

Damit nicht ein Finanzdienstleister allein vor den vielfältigen Aufgaben steht, wurde im Frühjahr 2021 im Rahmen der Mindsphere World e.V. die Interest Group Finance and Insurance gegründet. Die großen Marktteilnehmer - Banken, Leasing-Gesellschaften und auch Captives - sind vertreten und tauschen sich vertrauensvoll über die zu lösenden Themenkreise aus.

Gemeinsam werden in einem wettbewerbsfreien Rahmen die Voraussetzungen für eine erfolgreiche - idealerweise sich an herausbildenden Standards und Usancen orientierende - vertragliche, aufsichtliche und technische Umsetzung geschaffen, um so dem vom Hersteller und dessen Kunden gewünschten Zukunftsmarkt zum Durchbruch zu verhelfen.

Interest Group Finance and Insurance Wie kann die Finanzindustrie IoT-Daten sinnvoll nutzen?Diese Frage steht im Mittelpunkt der Mindsphere World In terest Group Finance and Insurance. Denn sowohl Banken als auch Leasing-Unternehmen, Erst- und Rückversicherer müssen sich verstärkt mit der Frage auseinander setzen, wie sie mit Daten der durch sie finanzierten/versicherten Assets Risiken transparenter erfassen können. Das resultiert nicht nur in einer verbesserten Risikosteuerung, es eröffnet auch zusätzliche Ertragspotenziale. Gleichzeitig entstehen in direkter Kooperation mit der Industrie neue Geschäftsmodelle, von denen alle Beteiligten profitieren.Weitere Schwerpunkte bilden die Digitalisierung und Automatisierung von regulatorischen Berichts-, Dokumentations- und Nachweisanforderungen sowie die gemeinsame Entwicklung neuer übergreifender Standards und Richtlinien. Schon heute zählen zu regelmäßigen Mitgliedern der Interest Group mehr als 20 namhafte Unternehmen aus der Finanz- und Versicherungsbranche.
 
"Mit dem digitalen Wandel und - konkreter - der IoT-based Finance kommt es zu einer natürlichen Evolution des Leasing-Geschäfts. Für die Leasing-Wirtschaft wird ein 'weiter wie bisher' auch in einer Nische nicht ausreichen. Es ist erforderlich, dass sich die Branche proaktiv weiterentwickelt. Das eigene bisherige Geschäftsmodell muss auf den Prüfstand gestellt werden, bevor es andere tun. Dabei sind interne Prozesse genauso zu überdenken wie externen Auswirkungen zu hinterfragen.Die Evolution des Leasing-Geschäfts fordert einen enormen Change-Prozess, nicht nur im Bereich der IT, sondern vor allem für die Mitarbeiter. Bestehende Kompetenzen in den Leasing-Gesellschaften müssen neu gedacht und weiterentwickelt werden. Der Vertrieb und die Geschäftsführung werden zunehmend IT-Kompetenz benötigen. Es wird mehr qualifiziertere Mitarbeiter brauchen. Beschäftigte müssen mitgenommen, geschult und weitergebildet werden. Gezielte Personalplanung muss dem generellen Fachkräftemangel und Nachwuchsthemen entgegengesetzt werden."
Dr. Lars Rüsberg , Gründer und Inhaber von Innovating Innovators, München, und leitet die Interest Group Finance and Insurance der Mindsphere World e.V.

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