Seit dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers und der damit beschleunigten globalen Finanzkrise im Jahr 2008 bemühen sich Akteure wie Bankenaufseher, Interessen- und Prüfungsverbände sowie die Kreditinstitute selbst die Stabilität des Finanzsystems zu erhöhen. Im Zentrum der Überlegungen steht die Verbesserung der Risikotragfähigkeit (RTF) der Kreditinstitute auf der Grundlage einer Risikotragfähigkeitskonzeption. Damit wird das Ziel der langfristigen Existenzsicherung der Kreditinstitute verfolgt.
Nach dem klassischen Risikotragfähigkeitskalkül ist die RTF gegeben, wenn die Risikodeckungsmassen eines Instituts stets mindestens der Höhe der Risiken dieses Instituts entsprechen. In diesem Kontext wird Risiko als eigenständiges Konzept verstanden. Entscheidungsträger haben in einer auf diesem Kalkül basierenden RTF-Konzeption drei wesentliche Fragen zu beantworten. Sie haben darzulegen,
• wie viel Risikokapital sie investieren wollen,
• wie das Risiko gemessen und
• wie das Risiko auf die einzelnen Risikoklassen verteilt werden soll.
Unberücksichtigt bleibt dabei eine rationale Bewertung von Entscheidungsalternativen, z. B. auf der Grundlage der axiomatisch begründeten Erwartungsnutzentheorie.
In der vorliegenden Arbeit werden diese Fragen und die daraus resultierenden Entscheidungsprobleme zusammenhängend analysiert und aus der Perspektive eines rational handelnden Akteurs beantwortet. Zunächst werden allgemeine Grundlagen und Probleme einer RTF-Konzeption diskutiert. Ausführlich wird auf die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten von Risiko im Rahmen von (rationalen) Entscheidungen eingegangen. Darüber hinaus werden die wesentlichen in einer RTF-Konzeption zu behandelnden Entscheidungsprobleme herausgearbeitet. Diese betreffen die Festlegung der Risikotoleranz, die Wahl von Haltedauer und Konfidenzniveau im Rahmen der Risikomessung und die Verteilung des Risikokapitals.
Danach werden sehr detailliert die Elemente einer entscheidungstheoretisch fundierten RTF-Konzeption entwickelt. Auf der Grundlage einer qualitativen Studie werden zunächst die relevanten Faktoren herausgearbeitet, welche bei der Festlegung der Risikotoleranz und der Wahl von Haltedauer und Konfidenzniveau zu beachten sind. Darauf aufbauend werden geeignete Entscheidungsmodelle entwickelt. Zur Verteilung von Risikokapital
wird ein nicht kompensatorisches lexikografisches Risiko-Wert-Modell vorgeschlagen. Dies ermöglicht eine Verbindung der Theorie zur Wahl zwischen riskanten Alternativen mit der Behandlung von Risiko als eigenständiges Konzept.
Eine zusammenfassende Darstellung der entscheidungstheoretisch fundierten RTF-Konzeption findet sich in Teil 3. Zudem werden die Möglichkeiten und Grenzen herausgearbeitet. Auf der Grundlage der Einflussmodelle und Entscheidungsregeln wird eine analytische Behandlung der Entscheidungsprobleme unterstützt. Ferner wird die Risikotoleranz systematisch hergeleitet und die Risikoeinstellung über die Nutzenfunktion sichtbar gemacht. Die strategische Allokationsentscheidung wird als integraler Bestandteil der RTF-Konzeption betrachtet. Insgesamt ermöglicht die hier vorgestellte Konzeption Entscheidungen,
die im Einklang mit den Präferenzen des Entscheidungsträgers und den Anforderungen der Bankenaufsicht widerspruchsfrei zum Ziel der langfristigen Existenzsicherung des Instituts getroffen werden. Hervorzuheben ist, dass an verschiedenen Stellen heuristische Entscheidungsregeln einbezogen werden. Breiten Raum nehmen die Handlungsempfehlungen ein, die für Institute, Institutsgruppen und Sicherungssysteme gegeben werden.
Die vorliegende Arbeit zeichnet sich durch eine sehr interessante Kombination angewandter Forschungsmethoden aus. Trotz des hohen formalen Anspruchs bleibt sie verständlich. Mit den Ergebnissen dieser Arbeit wird der wissenschaftliche Erkenntnisstand auf dem Gebiet der Risikotragfähigkeitskonzeption erheblich vorangetrieben und damit zugleich ein großer praktischer Nutzen generiert. Es ist ihr eine weite Verbreitung und eine intensive Diskussion in Wissenschaft, Bankenregulatorik und Praxis zu wünschen.
Duisburg, im Mai 2019
Bernd Rolfes
Auch als E-Book erhältlich.