When the going gets tough

Philipp Otto Chefredakteur, Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

"Es gibt Wochen, die prägen Jahrzehnte - und die erleben wir gerade." Das sagte der deutsche Finanzminister Christian Lindner auf dem traditionellen, in diesem Jahr Mitte April stattfindenden Frühjahrsmeeting von Internationalem Währungsfonds und Weltbank in Washington. Seine Hauptsorge: Es gilt, eine globale Schuldenkrise zu verhindern. Die Sorgen sind keineswegs unberechtigt. Laut dem in Washing ton vorgelegten IWF-Frühjahrsgutachten wird sich die Verschuldung der meisten Staaten deutlich über dem vor der Coronavirus-Pandemie üblichen Niveau einpendeln. Weltweit rechnet der IWF für 2022 und 2023 mit einer durchschnittlichen Verschuldung der öffentlichen Hand im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung von rund 94 Prozent. Bis 2027 wird sogar noch einmal ein leichter Anstieg auf Werte von 95 Prozent oder darüber erwartet. Der bisherige Rekordwert wurde im ersten Corona-Jahr 2020 mit 99,2 Prozent erreicht. Das größte Problem dabei sind die deutlich gestiegenen Lebensmittelpreise, eine Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine, die vor allem für Schwellenländer zu einem ernsten Problem werden, in denen teilweise heute schon bis zu 60 Prozent des verfügbaren Einkommens für Lebensmittel ausgegeben werden muss.

Hinzu kommen weitere Folgen des Angriffskriegs Russlands, der als "crisis on top of a crisis" die Weltwirtschaft erschüttert. In der Tat stehen unruhige Zeiten bevor. Der von den Sanktionen gegen Russland hervorgerufene anhaltende Anstieg der Energie- und Rohstoffpreise verstärkt den Preisdruck und birgt ein erhebliches Risiko, dass die Inflation länger hoch bleibt und sich verfestigt, was länger anhaltende Zweitrundeneffekte auslöst. Viele Ökonomen betonen die steigende Gefahr einer neuen weltweiten Rezession. Das könnte letztendlich zu einer weiteren Verschärfung der Lage bei den globalen Versorgungsketten führen, was wiederum den Inflationsdruck verstärkt. Diese Art von externem Stagflationsschock stellt für alle Entscheidungsträger eine besondere Herausforderung dar.

Auch der IWF reagierte auf die Entwicklungen. Er senkte seine Prognose in Washington noch einmal ab und rechnet nun nur noch mit einem globalen Wachstum von 3,6 Prozent. Das sind gegenüber der schon im Januar angepassten Hochrechnung noch einmal 0,8 Prozentpunkte weniger. Heftig trifft es die Eurozone, für die der IWF nun noch ein Wachstum von 2,8 Prozent erwartet, das sind 1,1 Prozentpunkte weniger. Und für Deutschland wurden die Wachstumsaussichten nahezu halbiert von 3,8 Prozent auf 2,1 Prozent. "Das ist ein massiver Rückschlag für die weltweite Erholung", sagte die geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds Kristalina Georgiewa. "In Wirtschaftssprache: Wachstum runter, Inflation rauf. In der Sprache der Menschen: Das Einkommen schrumpft und die Not wächst."

Die aufgrund ihrer früheren Tätigkeit bei der Weltbank und dabei möglicherweise zugunsten Chinas geschönter Daten keineswegs unumstrittene IWF-Chefin versucht aber auch, Mut zu machen. Sie greift sinngemäß auf Merkels bewährtes "Wir schaffen das" zurück. Es brauche halt einfach Geld. Der Währungsfonds habe noch rund 700 Milliarden Euro zur Verfügung. Und weitere Hilfe kommt. Deutschland hat laut Bundesfinanzminister Lindner weitere sechs Milliarden an Krediten zugesagt, um über den IWF ärmere Staaten zu unterstützen. Weitere 100 Millionen Euro gibt die Bundesrepublik für Zinssubventionen aus. Und auch die amerikanische Finanzministerin Janet Yellen sagte im Vorfeld der Frühjahrstagung weitere Unterstützung für IWF und Weltbank zu. "Wir müssen sicherstellen, dass der IWF die Instrumente hat, um seine Rolle als finanzielle Feuerwehr auszufüllen", so Yellen.

Genau daraus könnten aber weitere Gefahren resultieren. Denn die Arbeit des Internationalen Währungsfonds ist keineswegs unumstritten. Ein kurzer Rückblick: Die Geburtsstunde des IWF schlug 1944 auf der internationalen Währungs- und Finanzkonferenz der Vereinten Nationen in Bretton Woods. Kern des Abkommens war die Schaffung internationaler Organisationen, um die weltweite wirtschaftliche Zusammenarbeit in der Nachkriegszeit auf eine solide Grundlage zu stellen. Ursprüngliche Aufgabe des Währungsfonds, der am 1. März 1947 seine operative Tätigkeit aufnahm, in diesem System war es, im Falle von Zahlungsbilanzungleichgewichten mithilfe kurz- bis mittelfristig gewährter Kredite aus dem ihm allgemein zur Verfügung gestellten Reserven die inneren Anpassungsmaßnahmen der Länder zu unterstützen. Gleichzeitig sollte der Währungsfonds als zentrales währungspolitisches Konsultationsorgan dienen.

Die IWF-Schwester Weltbank war von jeher dagegen für Entwicklungshilfe meist in Form von Projektfinanzierung zuständig, was ihre Aufgabe bis heute etwas leichter erscheinen lässt. Denn während sich die Maßnahmen der Weltbank recht eindeutig nachvollziehen lassen, werden die Hilfen des IWF über die jeweiligen National- beziehunsgweise Notenbanken der Länder ausgezahlt. Die Regierungen können dann relativ frei, natürlich im Rahmen des vorab festgelegten IWF-Programms, über die Gelder verfügen. Und es gibt nicht wenige, keineswegs nur Globalisierungsgegner, die fehlende Transparenz bemängeln und dem Währungsfonds sogar vorwerfen, durch sein teils vorschnelles Handeln, was wiederum eine Existenzberechtigung für den IWF darstellt, Moral-Hazard-Verhalten zu provozieren, sprich durch seine Hilfen ökonomische Fehlanreize zu setzen und damit keineswegs zu einer Verbesserung der Lage in den betroffenen Ländern beizutragen.

Der amerikanische Ökonom David Malpass, der seit 2019 Präsident der Weltbank ist, formulierte es in Washingten vorsichtig. Die Hilfe müsse weitergehen und langfristig und nachhaltig sein, mahnte er an. Neben all den Finanzprogrammen, um strauchelnde Volkswirtschaften zu stützen, komme es aber auch darauf an, die Menschen nicht zu vergessen. Wenn Staaten langfristig widerstandsfähig sein wollten, müsse die Bevölkerung in der Lage sein, Wirtschaftswachstum zu schaffen. Wie wahr, wie wahr.

Die Probleme des IWF begannen 1973 mit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems fester Wechselkurse. Das System fester Wechselkurse wurde zugunsten frei floatender Währungen aufgegeben. Darüber hinaus haben sich mit Blick auf die ehemaligen Kernaufgaben auch die Größenverhältnisse und Agilität privater Kapitalströme verändert, soll heißen, der Kapitalmarkt ist - von großen Verwerfungen wie der Finanzkrise einmal abgesehen - ausreichend liquide, Zahlungsbilanzdefizite auszugleichen. Drittens sind die Märkte durch die Aufhebung von Handelsbarrieren eng verwoben, was Transaktionskosten auf ein Minimum reduziert. Und viertens ist die Zahl der Mitglieder auf aktuell 190 explodiert, sodass der Fonds zunehmend universeller arbeiten muss und die hohe Nachfrage nach Unterstützung immer wieder die Frage nach der Finanzierung aufkommen lässt.

Durch all diese Veränderungen im internationalen Währungsgefüge hat der IWF eigentlich seine Existenzberechtigung verloren. Eigentlich. Denn Institutionen entwickeln im Angesicht des eigenen drohenden Endes eine enorme Widerstandskraft, Kreativität und Agilität. Und so machte man sich im IWF in den vergangenen Jahrzehnten munter daran, immer neue Aufgabenbereiche zu erfinden: Mikroökonomische Strukturreformen, Bankenaufsicht, Finanzmarktregulierung, Konkursrecht, Arbeitsmarktpolitik, Makropolitik, Steuerreformen ... es fällt schwer, Bereiche zu finden, für die der Währungsfonds nicht zuständig sein wollte und teilweise immer noch will.

Dabei wäre doch gerade jetzt der richtige Moment, sich wieder auf die ursprünglichen Aufgaben zu besinnen. Denn die Herausforderungen der aktuellen Zeit sind enorm. Angesichts der von Georgiewa angesprochenen "crisis on top of a crisis" braucht es ein Zusammenrücken von Industrie- und Schwellenländern, es braucht neue Ideen und Konzepte für die globale Ordnung, es braucht sicherlich auch mutige Entscheidungen - im IWF, für den IWF, in Deutschland, in Europa, in all den internationalen Gremien. Denn jetzt werden Entscheidungen getroffen werden müssen, die die kommenden Jahrzehnte prägen. "When the going gets tough, the tough get going." Dieser Leitspruch der Familie Kenndy hat gerade in bewegten Zeiten nichts an Aktualität eingebüßt.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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