Lang und steinig

Philipp Otto, Chefredakteur, Foto: Fritz Knapp Verlag GmbH

Jede Krise hat offensichtlich tatsächlich auch ihr Gutes. Denn wann kam es das letzte Mal vor, dass der deutsche Bankensektor Lob und Dank von den Aufsichtsbehörden bekam? Mehr als zehn Jahre lang waren Banken und Sparkassen die Buhmänner und Sündenböcke, kämpften gegen verloren gegangenes Vertrauen und die Vorwürfe, zu teuer, zu kompliziert, zu behäbig zu sein. Und nun? Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling bedankte sich jüngst explizit bei der Branche: "Zuallererst möchte ich meinen Dank aussprechen: Die dringend benötigte Kreditversorgung funktioniert. Die Banken übernehmen eine zentrale Aufgabe bei der Krisenarbeit und erfüllen sie mit hohem persönlichem Einsatz - und mit Erfolg", sagte er in der Begrüßung zur virtuellen Bankenaufsichtskonferenz der Deutschen Bundesbank. Er bedankte sich dafür, dass Politik und Wirtschaft auf eine leistungsfähige Finanzwirtschaft zurückgreifen könnten, dass das operative Geschäft weiterlaufe und die Grundversorgung im Bankbetrieb aufrechterhalten werde. Das sei in erster Linie ein Verdienst der Institute selbst, aber auch der Bankenaufsicht.

Lob gab es vom Präsidenten der BaFin, Felix Hufeld, der sicherlich eher dafür bekannt ist, klare Worte zu finden, anstatt Samthandschuhe anzuziehen. "Der Bankensektor hat das Zeug, die Krise zu überstehen - wenn auch mit einigen Blessuren", so sein Fazit auf der Jahrespressekonferenz der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Und auch Hufeld erwähnte den Beitrag der Bankenaufsicht zu dieser neuen, unbekannten Situation.

Und das zu Recht. Denn bei allen Beschwerden der Branche über hohen Aufwand, steigende Kosten, Einschränkungen im Geschäftsbetrieb durch stark verbraucherschutzgetriebene Regeln und ein Übermaß an Vorschriften haben BaFin und Bundesbank in den vergangenen Jahren erheblich dazu beigetragen, den deutschen Bankensektor auf ein solides Fundament zu stellen. Banken und Sparkassen sind aktuell stabil und es sind hohe Puffer für Kreditvergabe und gegebenenfalls auch Kreditausfälle vorhanden und nutzbar.

In Zahlen heißt das laut Geschäftsbericht der BaFin: Das harte Kernkapital ist von 473,1 Milliarden Euro im Jahr 2016 auf 511,7 Milliarden Euro per Ende vergangenen Geschäftsjahres gestiegen, die gesamten Eigenmittel erhöhten sich im gleichen Zeitraum von 544,6 Milliarden Euro auf 573 Milliarden Euro. Die Kernkapitalquote stieg entsprechend von 15,3 auf 16,6 Prozent, die gesamte Eigenmittelquote von 17,7 auf 18,6 Prozent. Hinzu kommen laut aktuellen Zahlen aus der Bankenstatistik noch rund 117 Milliarden Euro an stillen Reserven aus dem Fonds für allgemeine Bankrisiken, in den in den vergangenen zehn Jahren gut 100 Milliarden Euro geflossen sind.

Das deutsche Bankensystem in seiner dreigliedrigen Aufstellung mit vielen kleineren, regional tätigen Instituten hat sich auch in dieser Krise wieder einmal als robust, anpassungsfähig und solide erwiesen. Das weiß auch Felix Hufeld und wird dies nach eigenem Bekunden auch in den sicherlich bald wieder anstehenden Gesprächsrunden auf internationaler Ebene um eine weitere Harmonisierung der Vorschriften einfließen lassen. "Das deutsche Bankensystem wird im Ausland nicht immer verstanden. Bei mehr und mehr einheitlichen Spielregeln kommt es aber auf ein möglichst gutes Verständnis an. Proportionalität ist ein Thema, das wir sehr nachhaltig vertreten haben und weiterhin vertreten werden", so der BaFin-Präsident.

Er weiß aber auch um die große Schwäche des wettbewerbsintensiven deutschen Bankensystems, denn in solchen Gesprächen wird dann von den ausländischen Bankenaufsehern gerne schnell auf die mangelnde Profitabilität der Institute hingewiesen. Auch das leider zu Recht. In den vergangenen fünf Jahren ist das aggregierte Betriebsergebnis laut BaFin von 0,40 Prozent der durchschnittlichen Bilanzsumme auf 0,30 Prozent gefallen. Und das bei historisch niedrigen Ausfallraten von gerade einmal 0,02 Prozent der DBS im vergangenen Jahr. Den Rückgang des Zinsüberschusses in diesem Zeitraum von 1,11 Prozent auf 1,06 Prozent der DBS kann man den Instituten nur bedingt ankreiden, sind sie hier doch in erster Linie abhängig von der Geldpolitik. Aber der zögerliche Anstieg des Provisionsüberschusses von 0,35 Prozent auf 0,40 Prozent der DBS zeugt davon, dass sich zu viele noch an alte, bewährte Strukturen klammern, und der spürbare Zuwachs der Kosten von 1,05 Prozent auf 1,18 Prozent der DBS weist sicherlich ein Stück weit auch auf mangelnde Hartnäckigkeit und Härte hin.

Auch hier mag die Krise ihr Gutes haben. Aktuell ist bei den großen Instituten jede dritte Filiale geschlossen. Und der Bankbetrieb? Läuft trotzdem weiter. Es gibt laut Bundesbank und BaFin keinerlei Einschränkungen festzustellen. Alle Institute sind telefonisch und online für ihre Kunden erreichbar, Kreditabschlüsse, Kontoeröffnungen, Wertpapierberatung, all das geht auch ohne stationäre Präsenz, Bargeld ist über die Automaten ausreichend verfügbar, der Zahlungsverkehr läuft weitgehend bargeldlos. All das sind wichtige Erkenntnisse für eine weiterhin erfolgreiche Zukunft auch nach Corona. Darauf lässt sich aufbauen, denn natürlich müssen sich die Institute allesamt digitaler und effizienter aufstellen. Denn eines muss auch klar sein: Die Krise verschärft die Probleme, die die Banken vorher schon hatten. Wenn sie vorbei ist, müssen sich die Institute umso dringender mit ihren Geschäftsmodellen beschäftigen.

Für die Bankenaufsicht heißt das auch weiterhin, die Branche mit einem wachsamen, aber nicht allzu strengen Auge zu beobachten. Denn noch profitieren die Institute von vielen aufsichtlichen Erleichterungen, mit denen seitens der Aufseher auf den Ausbruch der Corona-Krise schnell und unbürokratisch reagiert wurde. Diese fangen an bei vereinfachten Kreditwürdigkeitsprüfungen im Zusammenhang mit den KfW-Rettungsprogrammen. Dann gibt es die flexible Handhabung von Governance-Anforderungen durch Aufweichung der MaRisk-Vorschriften, denn Bankmitarbeiter dürfen während der Corona-Krise Handelsgeschäfte auch aus dem Homeoffice tätigen. Dann wurde sehr schnell seitens der BaFin klargestellt, wann eine einzelfallbezogene Stundung bei einem Schuldner, der sich in finanziellen Schwierigkeiten befindet, nicht als Ausfall zu werten ist. Nämlich dann, wenn sie zu den zuvor festgelegten Konditionen ("zum ursprünglichen Effektivzins") erfolgt und dadurch der Barwert der ausstehenden Zahlungen - gemessen am vereinbarten Effektivzins - um weniger als ein Prozent sinkt. Darüber hinaus wurde die ursprünglich für Ende 2020 geplante Novellierung der MaRisk auf das erste Quartal 2021 verschoben, der SREP-Zuschlag wurde ausgesetzt, das heißt die bisher festgesetzten Kapitalzuschläge bleiben für das Jahr 2020 konstant und Verstöße gegen die Meldefristen werden zunächst bis Mitte dieses Jahres nicht verfolgt.

Hufeld betonte, dass all das kein blinder Leichtsinn sei und man sich nicht außerhalb geltenden Rechts bewege. Die Ausnahmen gingen nur so weit, wie es Finanzregulierung, Rechnungslegungsvorschriften und die Finanzstabilität zuließen. Aber er betonte auch: All das ist nur temporär. Zwar werde man keine Bank dafür bestrafen, dass sie jetzt ihren Beitrag zur Stabilisierung der Wirtschaft leiste, sagte Hufeld. Aber er kündigte spätestens ab Herbst dieses Jahres die Rückkehr zur aufsichtlichen Normalität an, "mit der gebotenen Zeit, Schritt für Schritt". Das wird spannend werden, ist doch die Einführung von Ausnahmeregelungen sehr viel einfacher als das Zurückdrehen. Die EZB kann mit Blick auf die Geldpolitik ein Lied davon singen, wie lang und steinig die Suche nach dem Ausstieg aus zu vielen erleichternden Maßnahmen sein kann.

Zudem kommen die harten Zeiten für die Banken in Deutschland erst noch. Denn zu den sinkenden Einnahmen gesellen sich bald noch rezessionsbedingt steigende Aufwendungen für Kreditausfälle. Das mit der "aufsichtlichen Normalität" in Einklang zu bringen, wird eine neuerliche Herausforderung - für die Institute selbst natürlich, aber auch für die Bankenaufsicht. Dreht man zu schnell und zu fest, ist man verantwortlich für ein Blutbad, dreht man zu sanft und zu langsam, ist man wieder einmal an allem schuld und hätte es doch besser wissen müssen. Wer möchte da schon Bankenaufseher sein?

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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