20 Jahre BaFin

Philipp Otto Chefredakteur, Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Am Anfang war das Amt. Nein, halt. Dafür müsste man noch sehr viel weiter zurückgehen als zum Geburtstag der Jubilarin. Am Anfang war die Anstalt. Denn am 1. Mai 2002 wurden das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen und das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel zur neuen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) verschmolzen. Das galt damals grundsätzlich allen Beteiligten/Betroffenen als Fortschritt. Weil die aufgeteilten Kompetenzen der einzelnen Ämter mit der schnell fortschreitenden Entwicklung in der Finanzbranche nicht mehr mithalten konnten, weil die bisherige Trennung in drei Aufsichtsbehörden angesichts der immer engeren Verknüpfung von Kreditgewerbe, Assekuranz und Börse und des zunehmend gleichen Angebots von Produkten und Dienstleistungen zu einer immer künstlicheren Segmentierung wurde, weil gleiche Risiken nach gleicher Beaufsichtigung verlangten, weil die Stabilität des gesamten Finanzsystems das Oberziel all der Unterziele des Verbraucher- und Anlegerschutzes darstellte.

Unumstritten war die neue Super-Aufsichtsbehörde aber keineswegs. Während sich Banken mit ihr noch anfreunden konnten, wurde bei Versicherungen und Aktiengesellschaften ein Verlust an Fachwissen, Einfluss, Entscheidungsgewalt und sogar eine "feindliche" Übernahme der eigenen Aufsichtsinstitutionen durch die Bankenaufseher gefürchtet. Schließlich war das BAKred-Urgestein Jochen Sanio zum ersten Präsidenten der BaFin gekürt worden, während sowohl der ehemalige Präsident des BAWe als auch des BAV in den Ruhestand verabschiedet wurden. Doch sowohl die "heimatlos" gewordenen Versicherer und ehemals vom BAWe Beaufsichtigten als auch die Deutsche Bundesbank haben ihren Platz schnell gefunden. Das ist sicherlich auch Sanios Verdienst, dem es gelungen war, das Verhältnis zur Bundesbank schon in den keineswegs einfachen Basel-Verhandlungen zwar nicht ganz spannungsfrei, aber doch auskömmlich zu halten.

Die neue Behörde mit Dienstsitz in Bonn und Frankfurt/Main beschäftigte damals rund 1 000 Mitarbeiter und sollte 2 700 Kreditinstitute, 800 Finanzdienstleister und über 700 Versicherer überwachen. Die Zusammenführung der drei alten Ämter war eine Herkulesaufgabe. Denn ob im Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, das Versicherungswesen oder den Wertpapierhandel - überall fehlte es an Mitarbeitern und Geld, um Unternehmen zu folgen, die jedes Jahr Milliarden in Personal und Technik investierten. Längst waren Konzerne wie die Deutsche Bank oder die Allianz deutschen Grenzen entwachsen. Hinzu kamen zusätzliche Aufgaben wie die neuen Eigenkapitalvorschriften nach Basel I (heute sind wir bei Basel IV) und die damit verbundene Prüfung der Risikoprozesse der Banken - für die BaFin waren all das große Herausforderungen. Für Jochen Sanio auch. "Die Finanzwelt setzt große Hoffnungen auf Sie, Herr Sanio", rief der damalige Finanzminister Hans Eichel dem neuen Aufsichtschef in seiner Rede beim Festakt zur Gründung der BaFin zu. Sanio selbst nannte die Aufgabe "heroisch", hatte er doch längst erkannt, dass sich Aufsicht grundlegend ändern musste - weg von der Auswertung von Zahlenreihen hin zu einer qualitativen Aufsicht.

Die Bundesanstalt war noch keine Woche alt, und der offizielle Start am 4. Mai 2002 lag nur einige Stunden zurück, da folgte die erste wirkliche Amtshandlung. Am 6. Mai musste die Gontard & Metallbank auf Anordnung der Behörde ihre Türen schließen. Die weiteren Monate und Jahre waren aufregend: Die Dotcom-Blase war Anfang 2001 geplatzt und es zeichnete sich eine weltweite Rezession ab, am 11. September verursachten die Terroranschläge in New York ein weltweites Börsenbeben, wie es das seit der Weltwirtschaftskrise 1929/30 nicht mehr gegeben hatte, mit erheblichen Auswirkungen für die deutsche Versicherungsbranche. Es folgte die WestLB-Pleite, die einerseits zwar die neuen, weitreichenden Befugnisse der BaFin gezeigt hat, so soll Sanio hinter verschlossenen Türen mit der Abberufung des gesamten Vorstands wegen mangelnder Eignung gedroht haben, andererseits aber auch die Grenzen, denn nach wie vor kann sich die Aufsicht nur im Rahmen der geltenden Gesetze bewegen und selbst die von Sanio angeordnete "Manndeckung" konnte die WestLB nicht mehr retten. "Wir Aufseher sind nur so gut wie die Regeln, nach denen wir arbeiten", sagte Sanio später einmal. Warum die vielen Landesbank-untypischen Geschäfte wie Boxclever aber nicht schon früher bei Prüfungen aufgefallen sind, hängt der BaFin als Malus seitdem an.

2006 schließlich erschütterte ein millionenschwerer Skandal um einen hochrangigen BaFin-Beamten, der mit Scheingeschäften systematisch Geld veruntreut hatte, die Aufsichtsbehörde. Sanio und sein Vize-Präsident Karl-Burkhard Caspari überstanden auch das. Allerdings wurde die Führungsstruktur der Ba-Fin angepasst und dem mächtigen Präsidenten Sanio ab 2008 vier eigenverantwortliche Exekutivdirektoren zur Seite gestellt, mit denen er sich im künftigen "Direktorium" abstimmen musste. Ab 2007 schließlich beschäftigte die Finanzkrise die Aufsichtsbehörden weltweit, für viele Jahre. Ende 2010 folgte mit der Einrichtung des Ausschusses für Finanzstabilität eine weitere Reform der nationalen Finanzaufsicht, was allerdings ohne nennenswerte Auswirkungen auf die BaFin blieb, die nun lediglich auf die im Ausschuss für Finanzstabilität gewonnen makroprudenziellen Erkenntnisse zurückgreifen konnte.

Einschneidender war die Gründung der drei europäischen Aufsichtsbehörden, die sogenannten ESAs (European Supervisory Authorities), die am 1. Januar 2011 ihre Arbeit aufnahmen. Nicht nur, dass diese nun für die Aufsicht über die systemrelevanten Finanzinstitute zuständig waren. Viel schwerer wog, dass in dem neu geschaffenen Europäischen System der Finanzaufsicht, zu dem auch noch der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ERSB) gehörte, durch die Entwicklung und Umsetzung technischer Regulierungs- und Durchführungsstandards die nationalen Anpassungsmöglichkeiten der europäischen Vorschriften eingeschränkt, teils sogar ganz ausgeschlossen wurden. Die BaFin fand auch hier - unterstützt von der Deutschen Bundesbank - ihre Rolle.

Vor einem Jahr dann folgte als Reaktion auf den nächsten handfesten Bilanzskandal in Deutschland, die Wirecard-Pleite, die nächste umfassende Reform der BaFin. Der 7-Punkte-Plan führte eine sogenannte Fokusaufsicht ein. Darüber hinaus wurde eine forensisch geschulte Taskforce eingerichtet, die BaFin erhält mehr Zugriffsrechte und mehr kompetentes Personal, insbesondere Wirtschaftsprüfer, die Erkenntnisse von Whistleblowern sollen künftig systematisch erfasst und ausgewertet werden, der BaFin-Präsident wird dahingehend gestärkt, dass er mehr Verantwortung in Fragen der zentralen Steuerung der BaFin erhält (hatten wir das nicht schon einmal - wir erinnern uns an 2008 und die Schaffung des Direktoriums) und eine zentrale Data Intelligence Unit (DIU) soll das Rückgrat einer IT-getriebenen Aufsicht bilden. Kurz: Die BaFin soll vorausschauender, entschlossener, risikoorientierter und zeitgemäßer arbeiten. Und einen neuen Präsidenten bekam die BaFin mit Mark Branson auch gleich, denn Felix Hufeld übernahm Verantwortung. Für Branson spielen bei seiner Interpretation einer vorausschauenden Aufsicht zwei Dinge eine zentrale Rolle: Zum einen permanente und umfassende Szenarioanalysen und Stresstests, um zukünftige Risiken erfassen zu können. Zum anderen eine sehr viel offenere Kommunikation. "Wenn wir etwas feststellen, müssen wir das den Märkten mitteilen und dabei auch Ross und Reiter nennen", sagte er bei der Jahrespressekonferenz 2022. Das macht eine Aufsichtsbehörde sicherlich transparenter, aber natürlich auch angreifbar.

Diese 20 Jahre BaFin zeigen, wie sehr eine Aufsichtsbehörde bemüht sein muss, einer sich enorm schnell wandelnden und immer komplexer werdenden Finanzindustrie folgen zu können und wie ohnmächtig sie doch immer wieder krimineller Energie einerseits und externen Schocks andererseits ausgesetzt ist. "Ich weiß nicht, wie die deutsche Finanzindustrie in zehn Jahren aussehen wird", sagte Jochen Sanio bei Gründung der BaFin. "Aber eines weiß ich sicher, sie wird ganz anders aussehen als heute, und das ist - nebenbei bemerkt - keine schlechte Nachricht." All diejenigen, die mit verklärtem Blick zurückschauen, mögen das bezweifeln. Aber diese Weisheit Sanios gilt sicher auch für die kommenden Jahre. Wer weiß, wie man dann denken wird!

Die Präsidenten der BaFin
  • 2002 - 2011 Jochen Sanio
     
  • 2012 - 2015 Elke König
     
  • 2015 - 2021 Felix Hufeld
     
  • 2021 - Mark Branson
Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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