Leitartikel

Wohneigentum ist Altersvorsorge

Selten erregen Umfragen viel Beachtung. Denn Demoskopen befragen andere Leute, um ihnen zu sagen, was sie geantwortet haben. Vor allem akademische Statistiker lieben diese Befragungen, denn in dem Informationsdickicht lassen sich auch die krudesten Zusammenhänge noch scheinbar plausibel zurechtbasteln. In aller Regel fördern die Volksumfrager aber nichts zu Tage, was nicht schon längst bekannt - zumindest aber "gefühlt" - wäre. Hin und wieder gelingt es den Meinungsforschern dann aber doch, mit dem öffentlichen Meinungsbild die vermeintlich wohl informierte publizistische und fachliche Öffentlichkeit zu entsetzen. Zuletzt "glückte" dies den Trendsuchern aus Allensbach, die im Auftrag der Postbank die Deutschen zu ihrer privaten Altersvorsorge interviewten. Die Ergebnisse in Kürze: Für 32 Prozent der Berufstätigen ist private Altersvorsorge kein Thema. 17,4 Prozent haben ihre private Altersvorsorge reduziert oder sogar aufgelöst. 53 Prozent wollen ihre private Vorsorge nicht weiter ausbauen. Als diese Zahlen bekannt wurden, heulte die in den letzten Jahren politisch protegierte Altersvorsorgeindustrie entsetzt auf.

Aber sind die Erkenntnisse der Meinungsjäger vom Bodensee tatsächlich so neu und überraschend? Mit Sicherheit nicht. Aber sie lassen erstmals erkennen, dass es um das Sparen für die eigene Rente nicht gut bestellt ist. Schnell, vorschnell vielleicht, werden die Gründe dafür in der aktuellen konjunkturellen Lage vermutet. Das scheint plausibel, naheliegend und darum unfragwürdig zu sein. Ganz so einfach ist es jedoch nicht. Das dürfte all jenen, die private Altersvorsorge produzieren, bewusst sein. Zumindest drückt sich der Studien-Besteller Postbank hinsichtlich der Kausalitäten vorsichtig aus. Demnach könne aus der Finanz- und Wirtschaftskrise jetzt eine langfristige Krise der Altersvorsorge in Deutschland werden, wird aus der Bonner Zentrale kommentiert. Die Demoskopen - auch das ist ein Merkmal dieses Berufsstandes - enthalten sich jeglicher Wertung oder Ursachenerklärung. Tatsächlich ist die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise bestenfalls ein Auslöser, vielleicht auch ein Katalysator für die Erosion der Policen.

Denn Altersvorsorge wird hierzulande vor allem als Angstprodukt verkauft. Dabei mag die Furcht vor Altersarmut in Prosperitätsphasen, wenn die Haushalte ihren geringfügig gestiegenen Lebensstandard auf alle Ewigkeit konservieren möchten, als Absatzargument ziehen, spätestens wenn die Zeiten schwieriger sind, werden sämtliche Ausgaben hinterfragt. Dabei ist die Altersvorsorge zunächst ein Posten der viel kostet, dessen Ertrag in weiter Zukunft liegt und dessen reale Rendite ungewiss ist. So fragt sich laut Postbank-Erhebung jeder dritte Berufstätige, welche Anlageformen überhaupt noch Sinn machen. Und 31 Prozent vertrauen den Informationen zur privaten Altersvorsorge nicht mehr. Das ist ein Armutszeugnis für die Vorsorge-Industrie. Ihr ist es nicht gelungen, die private Altersvorsorge zu etwas so Selbstverständlichem zu machen, wie ein Girokonto, eine Fahrkarte für den öffentlichen Nahverkehr oder eine Wohnung.

Die private Altersvorsorge muss ein Wohlfühlprodukt sein. Wie das erreicht werden kann, erfährt man, wenn dem Volke im besten lutherischen Sinne aufs Maul geschaut wird. Die Postbank und ihre Demoskopen haben das getan: Inzwischen will jeder zehnte Berufstätige in Deutschland ein Haus oder eine Wohnung als Teil seiner Altersvorsorge erwerben. Sogar 63 Prozent der Berufstätigen betrachten die eigenen vier Wände als besonders sichere Altersvorsorge - soviel Vertrauen genießt keine andere "Rentenform". Dass aber nur 39 Prozent der noch nicht im Ruhestand befindlichen Deutschen erwarten, im Alter tatsächlich im Eigenheim zu wohnen - der niedrigste Wert seit 2003 - sollte den Baufinanzierern ein Ansporn sein. Denn so gut die Sympathiewerte für das Eigenheim sind, über die staatliche Förderung wissen noch zu wenige Bescheid. 46 Prozent aller Deutschen haben noch nie etwas von Wohn-Riester gehört, obwohl die Produkte seit genau einem Jahr am Markt sind.

Bisher sind es vor allem die Bausparkassen, die das Lebensgefühl Wohnen äußerst geschickt und offensiv mit dem Bedarfsprodukt Altersvorsorge verbinden. Dass sich der damit einhergehende propagandistische und administrative Aufwand lohnt, zeigen die Absatzzahlen. Allein in den ersten neun Monaten dieses Jahres verzeichneten die Bausparkassen insgesamt rund 229 000 Abschlüsse von Wohn-Riester-Verträgen. Davon entfallen 124 000 Policen allein auf die Landesbausparkassen, die intensiver als viele Wettbewerber die Eigenheimrente im Vertrieb thematisieren. Und immerhin sind in der gesamten Bausparbranche schon rund 99 000 Wohn-Riester-Verträge mit einer Bausparsumme von 3,2 Milliarden Euro eingelöst. Wobei auch hier die LBS-Gruppe mit rund 77 000 Verträgen und einem Volumen von 2,6 Milliarden Euro beweist, dass sich die Produkte auch in wirtschaftlich widrigen Zeiten mit entsprechender Öffentlichkeitsansprache verkaufen lassen. So meldete jüngst die LBS Bayern, dass Wohn-Riester 20 Prozent ihres Neugeschäfts zwischen Januar und September 2009 ausmachte. Bei der LBS Baden-Württemberg betrug der Anteil in den ersten acht Monaten dieses Jahres sogar 21,3 Prozent gemessen an der Brutto-Bausparsumme.

Die bislang gezeigte Vertriebskraft der Bausparkassen in der privaten Altersvorsorge ist im aktuellen Marktumfeld ohnehin bemerkenswert. Anerkennung verdienen die Institute aber auch, weil sie es fertigbringen, ein wegen seiner Komplexität faktisch unverkäufliches Produkt an den Mann und die Frau zu bringen. Denn Wohn-Riester ist für die Produzenten, die Vertriebe und die Kunden schwere Kost. Für die Baufinanzierer sind erhebliche Investitionen in ihre Prozesse nötig. Dieser Aufwand schlägt sich letztlich in der Rendite nieder. Zudem ist die Steuerproblematik so erklärungsbedürftig, dass sie den Vertrieb hemmt. Wenn im volkswirtschaftlich und politisch gewünschten Sinne Wohneigentum als private Altersvorsorge gestärkt werden soll, muss hier dringend bürokratisch und steuerlich nachgebessert werden. Das zumindest hat die neue Regierungskoalition erkannt. Allerdings wird sie sich daran messen lassen müssen, wie und wann sie ihre Ankündigung, die Eigenheimrente zu vereinfachen, in der Praxis umsetzt. Die aktuellen Umfragewerte zur privaten Altersvorsorge sind Mahnung zu raschem und entschlossenem Handeln. L. H.

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